Predigt über Lukas 12,15-21

  • 01.10.2023 , 17. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über Lukas 12,15-21 am Erntedanksonntag, 1. Oktober 2023

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

13 Es sprach aber einer aus dem Volk zu Jesus: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile. 14 Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter über euch gesetzt? 15 Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat. 16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Land hatte gut getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. 18 Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Güter 19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! 20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Und wem wird dann gehören, was du bereitet hast? 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.

 

 

Liebe Gemeinde,

vor einigen Jahren hat das Evangelische Bauernwerk in Baden-Württemberg die Kirche aufgefordert, diesen Text nicht mehr als Predigttext am Erntedankfest zu verwenden. Mit der Begründung: „Das Bild eines Bauern, das darin dargestellt wird, schlägt unseren Landwirten, die am Erntedankgottesdienst teilnehmen, mitten ins Gesicht.“ Nun, es hatte wohl eher mit dem Leben seiner Hörer zu tun, dass Jesus sich dieses Bildes bediente. Heute hätte er vielleicht eine andere Berufsgruppe für sein Gleichnis verwendet. Ich denke, wir sind uns einig, worum es hier letztlich geht: Um jede und jeden von uns. Was über alle kulturellen und historischen Grenzen eindeutig zu vernehmen ist, ist diese Botschaft: Es funktioniert nicht, das Leben durch Sorge in den Stand der Sorglosigkeit zu bringen.

Wir begegnen hier einem Menschen, der alles, was er erreicht hat, ausschließlich für ein kalkulierbares Ergebnis des eigenen Tuns hält. Dabei geht es gar nicht um die Frage, ob Vorsorge nun sinnvoll ist oder nicht. In der Josefsgeschichte des Alten Testaments ist Josef ja gerade der Held, weil er es versteht, aus den sieben fetten Jahren Vorräte für die sieben mageren Jahre anzulegen. Hier, beim Kornbauer, ist es ganz anders. Es ist eine einzige große Sorge, die ihn antreibt –die Angst vor dem Leben selbst. Er rührt mich an, dieser Mensch, ich erkenne in ihm eine Seite von mir: Ich suche genauso nach Sicherheit in meinem Leben, ich rede ständig mit mir selbst wie dieser Mensch: „Was soll ich tun?“. Ich stelle mir diese Frage von morgens bis abends. Mit dem Ergebnis, dass ich oft um mich kreise und Selbstgespräche führe wie dieser Mensch. Ich suche nach Sicherheiten an den falschen Stellen, immer wieder, denke, wenn ich dies und das noch hätte oder wenn dies oder das so kommt, dann kann ich mich zurücklehnen und meine Seele hätte Ruhe. Und glaube immer wieder gern und von Neuem, dass meine innere Unruhe damit beendet ist, wenn ich mir Dinge verfügbar mache.

Aber das, liebe Gemeinde, ist die größte Illusion, die für uns gerade zusammenbricht. Die Illusion, ganz viel verfügbar zu haben, was wir lange für selbstverständlich gehalten haben - sie fällt gerade krachend in sich zusammen. Corona hat uns gezeigt, dass wir nirgends auf dieser Welt und zu keiner Zeit vor Seuchen gefeit sind. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine zerstört unsere bisherige Vorstellung einer europäischen Friedensordnung. Wir lernen im Portemonnaie wieder bzw. zum ersten Mal, was Inflation bedeuten kann und begreifen so nach und nach, wie sehr wir im Vergleich zum Rest von Europa und überhaupt auf der Welt von nahezu unanständig billigen Grundnahrungsmitteln gelebt haben – in Sachen Energie ist das ähnlich. Und nicht zuletzt wird in diesen Tagen und Wochen, auch durch das, was sich gerade in Berg-Karabach abspielt, auch dem Letzten klar werden: Wir hier in der sog. Ersten Welt in Europa können uns vor einer weltweiten Fluchtbewegung von Menschen, die vor Terror, Dürre, Flut, Armut etc. zu fliehen versuchen, nicht einfach nur abschotten dadurch, dass wir andere – und da sind ja einige drunter, die nicht zimperlich sind - dafür bezahlen, die Grenzen Europas bitte zu schließen für diese Bewegung. Nach dem Motto: Zäune hoch, dann ist alles gut und wir können weitermachen wie bisher. Wie lange soll das bitte noch gut gehen? Wir werden daraus aufwachen müssen so langsam um der Menschheit willen, es geht hier doch um nichts weniger als unser aller Leben, um das derer, die in ihrer Not losziehen als auch um die, die vor der Frage stehen, wie viele sie denn noch aufnehmen können und wie das alles bewältigt werden will. Wo ist denn da im Moment die Perspektive? Und wie kann da ein internationaler Kraftakt gelingen im Moment, vor allem, wenn man damit eher Parteipolitik macht statt es als eine der größten Herausforderungen der Menschheit zu betrachten? Und ständig Ängste zu schüren, dass es halt nicht reicht, nicht reichen kann für alle, dass die Scheunen halt zu klein sind? Das ist ein Riesenthema nicht nur für die Deutsche und Europäische Politik, sondern für die ganze Menschheit.

Für meinen eigenen Umgang mit diesen Fragen kann der Text ein bisschen helfen. Denn: Vielleicht würde der Kornbauer im Gleichnis anders leben können mit seinen Ängsten, wenn er die Frage „Was soll ich tun?“ nicht zu schnell und einsam beantwortet mit „Das will ich tun“ oder „Das muss man jetzt tun.“ Vielleicht würde es ihm gut tun, erst mal zu fragen: Wie kann ich damit leben, dass es nun mal Sorgen und Ängste gibt, gegen die nichts hilft, aber sie sind einfach Teile meines Lebens? Und was müsste ich ändern, um das hinzubekommen? Ich denke, dass wir das nicht richtig gut können, mit diesen Fragen umzugehen. Und so stehen wir in der Gefahr, Leuten nachzulaufen, die unsere Ängste und Verunsicherungen aufnehmen und uns wahrmachen wollen: Doch, wir können Euch diese Sorgen nehmen, und zwar, indem wir die Illusion von einem sorglosen Leben bedienen mit festen Grenzen, mit unten und oben, schwarz und weiß, gut und böse und in dem wir uns (ohne die anderen, die dem nicht entsprechen) abschotten – und dann ist alles gut. Wir sorgen dafür, dass Ihr immer so weiter machen könnt, wie ihr es gewohnt seid. Ja, an diesen Illusionen hängen wir einfach und wir sind da auch versuchbar. Wir hängen daran wie der Kornbauer, auf diese Weise guten Mut zu haben, und es uns wie er einzureden. Aber eigentlich wissen wir: Das führt uns direkt in den Missmut, wir werden alles andere als froh, sondern verbissen, verängstigt, unsicher und wir trauen auch unseren eigenen kleinen Scheunen nicht mehr, halten sie für zu klein, wollen sie abreißen. Es ist närrisch, in der Tat!

Hier hilft uns der Anfang der Geschichte. „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Das sagt Jesus dem Erbgierigen der beiden Brüder. Ja, werde reich in Deinem Leben, aber mache es richtig, werde reich bei Gott. Was heißt das? Ich denke, zunächst dies: Auf Gott hin zu leben. Der reiche Kornbauer ist ja nur bei sich, ich, meine Scheunen, mein kleines Leben – ganz anders als Josef, der Vorräte schafft, damit alle leben. „Reich bei Gott“, das bedeutet, sich offen zu halten für das, was kommt. Die Ruhe, nach der sich der Kornbauer sehnt, enthält dieses Moment der Offenheit ja gerade nicht. Unser Wunschtraum von „Ruhe“ will abgeschlossene Verhältnisse. Aber die einzige Ruhe dieser Art ist der Tod! Zu Lebzeiten gibt es solch eine Ruhe nur als Gelassenheit, die mein Leben heute bestimmt. Der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard hat das einmal so ausgedrückt: „Gottes zu bedürfen ist des Menschen höchste Vollkommenheit.“ Was dem Menschen fehlt, was uns fehlt – wir finden es nicht in vermehrter Anstrengung oder Optimierung unserer Selbst, was immer es ist, Körper, Ernährung, Spiritualität und was auch immer auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten für teures Geld zu erwerben ist. Wir finden es hier nicht, wir finden es in Gott, der uns zu seinem Gegenüber geschaffen hat. Vollkommen werden wir nur in dem Maße, wie wir Fehlendes nicht aus uns selbst heraus zu ersetzen suchen, sondern es in Gott suchen – und finden. Gott ist die offene Stelle in jenem Organismus, der tot ist, sobald diese Öffnung geschlossen wird.

 

Lebendig sein heißt also immer auch unruhig sein. Den Mut zu haben, auf die kleinen Vorräte zurückzugreifen, darauf zu vertrauen, die Scheunen meines Lebens sind groß genug, da muss nicht mehr rein. Es heißt, sich dem auszusetzen, was die Zeit bringt und was werden kann. Es heißt, sich abzufinden damit, dass Leben und Sorge miteinander verknüpft sind und zu begreifen, dass auch sinnvolles Vorsorgen daran nichts ändert. Aber dass dieses Problem auch eine Chance des Menschen sein kann, dass er hierin seine Freiheit findet. Dass er sein Leben als gesegnet empfindet, auch wenn man das Widerständige, Harte, Dunkle und Böse noch nicht hinter sich hat. Was wir als gegen uns gerichtet empfinden, kann in Wahrheit für uns sein.  So danken wir am heutigen Erntedanktag ja auch und gerade dafür, dass das Korn geschnitten, gedroschen und gemahlen wurde. Es musste sein, sonst wäre es kein Brot geworden. Gerade im Unangenehmen kann sich das Angenehme im Leben neu herausbilden. Das ist die Chance, uns nicht als Opfer zu verstehen, sondern als Subjekte des eigenen Lebens. Wir sind nicht getretene Opfer des Lebens, sondern gesegnete Menschen.

Und wie geht das nun, sich Schätze sammeln, die reich bei Gott machen? Es bleibt offen in Gleichnis bei Lukas, aber vom jetzt Überlegten her könnten es diese Dinge sein, die man in seinen persönlichen Erntedankstrauß einbinden kann:

  1. Alles zu tun, was einen dazu bringt, dass man sich nicht in sich selbst verschließt.
  2. das zweit und Drittwichtigste im Leben nicht für das Wichtigste halten.
  3. Alles zur Sprache bringen, was uns denken lässt: Wir haben so vieles, was unser Leben reich macht. Depressiven wird ja oft verordnet, jeden Tag drei Dinge in ein Heft zu schreiben, für die man dankbar ist. Das können wir eigentlich alle mal machen, ich stelle mir gern vor, was sich dann verändern würde. Wie auch immer: Alles ist gut, was uns hilft, unsere Lebensangst in den Griff zu bekommen. Das unangenehme Gefühl, egal, was ist, ich habe immer zu wenig, es geht nicht gut, ich stürze ab. Der Dank ist ein probates Mittel dagegen. Sich nicht fressen zu lassen von der Angst, sondern ihr selbst die Grenze zu setzen.
  4. Alles zu tun oder anzustreben, was meiner Habgier entgegensteht. Der Kornbauer nimmt ja auch anderen die Luft zum Leben, indem er sein Getreide wegsperrt. Die absurde Marktstrategie der künstlichen Verknappung von Gütern ist ja nicht nur im Modus des Weltweiten zu beobachten, sondern auch auf persönlicher Ebene: Was enthalte ich anderen vor? Wo enthalte ich mich anderen vor? Wage ich es auch mal, mich anderen zu überlassen?
  5. Damit zusammenhängend: Es wagen, auch mal ein paar Regale im Vorratshaus unseres Lebens leer zu lassen. Im Alten Testament findet sich das Gebot, bei der Ernte immer einige Reste auf dem Feld zu lassen. Nicht alles abzuernten, sondern den Armen etwas zu lassen. Und auch den Acker nicht komplett abzusammeln, sondern ihn anderen zu überlassen, um dort auch noch etwas zu finden. Ich habe neulich mal eine schöne Karte geschenkt bekommen, da stand drauf: Um Himmels willen, ich bitte Dich, lass Dir auch mal etwas entgehen!
  6. Zu den schönen Gaben auf den Altar des Lebens auch einen Korb stellen, wo mal nicht nur die Lebensware der Güteklasse A drin ist, sondern die angeschlagenen Früchte ohne blendende Form. Sie sind für unser Leben mindestens genauso nährstoffhaltig und kraftspendend wie das gut Gelungene – und auch für sie können wir durchaus danken.

Vielleicht kommt unsere Seele so am ehesten zu ihrer Ruhe, nach der sie sich sehnt und findet sich damit ab, dass wir unruhige und zuweilen getriebene Gestalten sind. Einen Versuch ist es wert und Nachdenken hat noch nie geschadet.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org