Predigt über Lukas 12,42-48

  • 26.11.2017 , Ewigkeitssonntag
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt am Ewigkeitssonntag 2017, Lukas 12,42-48

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.


Jesus sprach: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen an Getreide zusteht? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen. Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich voll zu saufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen. Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen. Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.

Liebe Gemeinde,
sagen wir es klar und deutlich: Das ist eine furchtbare und abstoßende Geschichte. Jedenfalls erst einmal. Da finden wir eine Menge schwarz-weiß, gut und böse, ein einfaches Schema von Lohn und Vergeltung und jede Menge Brutalität. Da werden Schläge angedroht, den einen mehr, den anderen weniger. Und den ganz Schlimmen steht gar bevor, in Stücke gehauen zu werden. Das sprengt alles, was wir gelernt haben mögen vom gnädigen und barmherzigen Gott, der am Ende doch auch immer noch selbst denen einen Weg offen lässt, die sich grob verfehlt haben. Wo ist in dieser Geschichte die Rede von der unverdienten Gnade und Barmherzigkeit, die immer größer ist als unser menschliches Herz zu denken vermag? Von der wir doch in so vielen Predigten hören, dass es sich mit ihr am Ende eben doch nicht 1:1 verhält so wie im hier aufgezeigten Schema von Lohn und Vergeltung? Dass es sich mit ihr Gottseidank nicht so verhält, muss man sagen. Denn wo würden wir landen, wenn mit uns so abgerechnet würde, dass nur derjenige ohne Schläge davon kommt, der stets zur rechten Zeit das Rechte tut?

Gerade heute am Ewigkeitssonntag haben wir zunächst allen Grund, besonderen Anstoß an diesem Text nehmen. Viele von uns haben Abschied nehmen müssen von einem geliebten Menschen. Manchen war die Zeit geschenkt, sich darauf vorbereiten zu können, anderen nicht. Alle aber dürften in unterschiedlicher Intensität das Gefühl kennen: Hätte ich ihm/ihr doch bloß öfter gesagt: Du bist mir wichtig, du bist mir lieb. Hätte ich mich ihm, ihr gegenüber doch manchmal bloß anders verhalten. Wir trauern heute auch um das Ungesagte und das Nichtgetane. Gerade dort, wo wir mit Grenze unseres Lebens konfrontiert sind, spüren wir ein Dilemma, in dem wir leben, besonders deutlich: Es ist völlig unmöglich, im menschlichen Miteinander unschuldig zu bleiben. Bei allem guten Willen: Das ist nicht möglich. Niemand ist immer zur rechten Zeit mit dem rechten Maß bei der Hand, wie es in dieser Geschichte offenbar gefordert wird. Und damit spüren wir gerade in der Situation des Abschieds von einem Menschen sehr genau: Wir sind alle miteinander auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit angewiesen. Jeden Tag, Lebende und Tote. Und darum haben wir Gott bei den Abschiedsgottesdiensten für unsere Verstorbenen auch um Vergebung der Schuld gebeten und uns seiner Güte und Barmherzigkeit anvertraut, die höher ist als wir denken können. Wenn wir uns nicht darauf verlassen könnten, dass Schuld vergebbar ist - dann wären wir nicht in einem Dilemma, sondern in einer Sackgasse ohne Ausweg.

Wenn wir diese Geschichte dennoch stehen lassen und ernst nehmen wollen, bleibt nur, ihr Anliegen anderswo zu suchen als in Gottes Abrechnung mit dem spitzen Bleistift. Beginnen wir Schritt für Schritt. Diejenigen, die Jesus damals zugehört haben, dürften ihn gut verstanden haben. Es war als Großgrundbesitzer gang und gäbe, die Verantwortung für das Land an einen Verwalter bzw. Treuhänder zu übertragen. Das war ein Vertrauensposten, auf dem man auch für diejenigen verantwortlich war, die auf diesem Land arbeiteten. Insbesondere die Tagelöhner waren davon abhängig, pünktlich und verlässlich das ihnen zustehende Getreidemaß zu bekommen. Wo das nicht geschah, musste zum einen eine Familie hungern und zum anderen geriet das den Bestand des Betriebes sichernde Verhältnis von Arbeit und angemessenem Lohn ins Wanken. Der erste Verwalter erfüllt seine Aufgabe ohne nachzudenken und ohne zu zögern. Der zweite tut das nicht. Er fängt an zu überlegen, was für ihn aus dem Anvertrauten rauspringen könnte, wenn er die Arbeiter zu noch mehr Leistung prügelt. Mit diesen Überlegungen zersetzt er, was unhinterfragt bleiben sollte und betrachtet zudem das Anvertraute unrechtmäßig als sein Eigentum.

Was ist das mit dieser inneren Haltung des zweiten Verwalters bei uns Menschen? Bin ich zu naiv, wenn ich bei meiner Beraterin von der Bank davon ausgehe, dass sie mein Geld als vorübergehend anvertraut betrachtet und mir nicht zu etwas rät, was am Ende doch riskanter ist als es dem Laien scheint - oder noch schlimmer: Das auf Kosten anderer geht? Und wenn ich mich darauf einlasse: Weiß ich nicht genau, dass immer jemand die Rechnung zahlt, dass Geld sich eben nicht von selbst vermehrt? Kann ich die Verantwortung von mir schieben? Bin ich damit nicht genau ein Teil des Systems, das sich auch da zeigt, wo ein Konzern wie Siemens gute Umsätze macht (sich vollsäuft) und dann von heute auf morgen Werke wie in Görlitz und Leipzig schließt? Nicht zuletzt ich selbst bin es ja, die trotz besserem Wissen immer wieder in Versuchung gerät und ihr auch nachgebe, wenn sich etwas noch günstiger machen lässt, kaufen lässt (wie gerade am „Black Friday"), verhandeln lässt - zu meinem Vorteil. Bin ich nicht genauso oft auch dieser sich vollsaufende Knecht, der die Mitknechte und -mägde zu schlagen beginnt, wenn er nur seinen Vorteil wittert? Was macht man mit seiner Verantwortung? Diese Frage stellt sich immer wieder aufs Neue, egal, an welchem Ort wir stehen, egal, wo unsere eigene und persönliche Verantwortung liegen mag. Auch unsere Politikerinnen und Politiker werden in diesen Tagen gefragt und fragen es sich natürlich (bzw. hoffentlich)auch selbst, nachdem bereits die Sondierungsgespräche für eine Regierungsbildung gescheitert sind: Was ist jetzt mit allem politischen Kalkül, was ist mit den eigenen Interessen - und was gebietet in solch einer Situation die Verantwortung für das Ganze, wenn man wie der Verwalter in der Geschichte einen solchen Auftrag bekommen hat?

Wann und wo auch immer: Niemand kommt an dieser Frage vorbei, die sich mal drängender, mal weniger aber doch immer stellt. Schon Petrus wollte von Jesus wissen - und diese Frage geht der Geschichte unmittelbar voraus - wer ist denn gemeint mit diesem Verwalter? Und wie eigentlich immer, wenn Jesus wie mit einer Gegenfrage antwortet, lautet die Antwort, ohne damit das soziale Gefüge und die manchen anvertraute besondere Verantwortung verwischen zu wollen, was wir auch nicht tun sollten: Wir sind es alle. Was mir anvertraut ist an Gut, ist mir nur anvertraut, aber es gehört mir nicht. Nicht einmal mein Leben. Ich habe es mir nicht selbst gegeben oder verdient. Es ist mir gegeben, aber ich werde es auch zurückgeben müssen und mich vor die Frage gestellt sehen: Was hast Du damit gemacht? Und wie im Gleichnis der anvertrauten Talente, wo auch derjenige noch unvorstellbar reich ist, der am wenigsten empfangen hat, profitiere ich dazu noch von all dem, was mir im Laufe dieses Lebens vermittelt wurde. Ich profitiere von den Gaben, die die anderen in zuverlässiger treuhänderischer Verwaltung an mich weitergegeben haben. Auch das bewegt uns ja heute, wenn wir an unsere Verstorbenen denken. An die Großeltern, Eltern, Geschwister, Kinder, die mit ihren mein Begabungen entdeckt und gefördert und, worüber man besonders froh sein kann, wenn sie einen die Selbstverständlichkeiten des menschlichen Zusammenlebens gelehrt haben. Natürlich gehört dazu auch, sich abgearbeitet zu haben an unterschiedlichen Positionen, an Widersprüchen und anderen Schwierigkeiten, die einem ja aber anderseits geholfen haben mögen, sprach-und streitfähig zu werden.

Der Ewigkeitssonntag ist deshalb auch gut dafür, die Kostbarkeit des mir - vorübergehend - Anvertrauten zu bedenken und mir neu die Frage zu stellen: Was fange ich damit eigentlich an? Werde ich dem Vertrauen gerecht, das damit in mich gesetzt ist? Wer sich diese Frage selbst stellt, geht damit den ersten Schritt auf dem Weg zur Rechenschaft über das Anvertraute. Und wer sich diese Frage stellt, zeigt, dass er sein Leben nicht nur als Gabe empfangen hat, sondern auch als Aufgabe versteht. Und dass es dabei um ein anderes Ziel geht, als es der zweite Verwalter im Auge hat, der letztlich nur beim Essen, Trinken und sich Vollsaufen landet. Diese Geschichte stellt uns die Frage: Nimmst Du ernst, wozu Du lebst? Der Theologe Fulbert Steffensky hat vor einigen Jahren genau von dieser Kanzel gesagt: „Gott nimmt den Menschen ernster als wir uns selbst nehmen." Wenn das so ist, dann müssen wir auch den Gedanken der Möglichkeit des harten Urteils über uns stehen lassen. Wenn wir Gott und uns selbst ernst nehmen, können wir ihn nicht zu Gunsten einer weichen Liebe aufgeben, die alles entschuldigt und letztlich den Menschen um den Ernst der letzten Prüfung betrügt. Und wo nichts auf dem Spiel steht, wo es nichts zu verlieren gibt, gibt es eigentlich auch nichts zu gewinnen. Ein anderer großer Theologe, Helmut Gollwitzer, hat in diesem Zusammenhang sogar von einem Privileg des Christenmenschen gesprochen: "Mein Privileg ist das Maß, an dem ich strenger als andere gemessen werde." Was bedeutet das anderes als „Wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern."

Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum wir die Härte des Urteils in dieser Geschichte stehen lassen müssen: Um der geschlagenen Mägde und Knechte willen drängt Gott darauf, die Gerechtigkeit zu schaffen, die wir nicht schaffen können oder wollen. Wo wir noch tief in dem Widerspruch verstrickt sind, zu wissen, wir müssten anders leben, damit auf dieser Welt Gerechtigkeit herrschen kann aber wo wir dann doch wieder so leben als sei alles in Ordnung und als hätten wir noch unendlich viel Zeit. Im Grunde müssen Christen sich nach einem Gott sehnen, der es sich noch einmal anschaut und eben nicht so stehen lässt. Es muss eine abschließende Klärung und Gerechtigkeit geben. Es geht in dieser Geschichte auch um diesen letzten Ernst, und dem entspricht, dass mit dem zweiten Verwalter auch Ernst gemacht wird. Einen Sklaven in Stücke zu schlagen, das war damals eine harte, aber eben auch verbreitete Strafe.

Bleibt abschließend die Frage: Bedarf es einer solch schrecklichen Geschichte, damit wir uns selbst ernst nehmen? Ja, denn anschaulicher kann man wohl gar nicht vor der Mentalität des zweiten Verwalters gewarnt werden, von dem ja auch immer etwas in uns ist. Und nur schrecklich ist diese Geschichte am Ende dann auch nicht. Denn es ist auch von der Möglichkeit die Rede, selig zu werden. Wer so wach ist, das anvertraute Gut zur rechten Zeit dem zukommen zu lassen, der es zum Leben benötigt, dem ist mehr als eine Belohnung versprochen - nämlich die Seligkeit. Oder das Glück, das dem des Himmels jetzt schon sehr nahe kommt und das von einer ganz anderen Kategorie ist als das, wofür hier essen, trinken und sich berauschen stehen. Ich stelle Angehörigen in jedem Gespräch vor einer Beerdigung die Frage: Womit konnte man ihm/ihr eine Freude machen? Die häufigste Antwort lautet: Wenn er/wenn sie sich für uns einsetzen konnte trotz widriger Umstände und auch noch aus dem Nichts etwas machen konnte. Was ist das anderes als die Erfahrung, da war ein Mensch treu und klug in dem, was ihm aufgetragen war. Da war jemand wach genug, auf das zu achten, was selbstverständlich ist und zur rechten Zeit das Rechte zu tun und sich so als treu und klug zu erweisen. Auch wenn es nicht immer so ist, dass wir das tun können - aber wo es gelingt, da ist es für alle Beteiligten ein Segen. Wir können und wollen in der Hoffnung leben, dass man auch einmal bei uns viel davon finden wird. Dass man auch einmal von uns sagen kann, dass es uns wichtig war. Und alles andere - was sonst könnten wir tun - vertrauen wir Gottes Gnade an, die allein unser Leben heil machen und vollenden kann.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org