Predigt über Lukas 15, 1-10

  • 20.06.2021 , 3. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Welche Freude, liebe Gemeinde,

Ein großes Fest wegen eines wiedergefundenen Groschens. Das steht in keinem angemessenen Verhältnis, ist unwirtschaftlich und völlig irrational. Aber so ist sie nun mal, die tief aus dem Innersten entsprießende Freude. Sie fragt nicht nach Sinn oder Unsinn. Sie ist einfach da. Groß ist die Freude weil der Schmerz über Verlorenes geheilt wird, weil das einzelne Schaf genauso wichtig ist, wie die gesamte Herde.

Der Evangelist Lukas erzählt uns aus zwei Perspektiven ein und dieselbe Geschichte. Somit konnten und können viele Menschen anknüpfen. Somit ist der Boden bereitet für die Botschaft, auf die es schließlich ankommt – himmlische Freude über sich zu Gott bekehrende Menschen ist groß.

Die Hirte und Herdensymbolik war den Menschen bekannt, auch theologisch. Denn Psalm 23 war als Alltagstext fest eingebunden in das Glaubensleben seiner Zuhörer. Damit spricht Lukas die Landbevölkerung an.

Und mit dem Suchen im kleinen Zimmer ohne Fenster knüpft er an die Erfahrungen einer eher ärmeren Stadtbevölkerung an. In beiden Fällen handeln der Mann und die Frau völlig unvernünftig, verbrauchen Ressourcen, die doch an anderer Stelle notwendiger wären.

Hier nun kommt die erste Pointe der Gleichnisse.

Gottes Mathematik ist anders, liebe Gemeinde.

Bei ihm sind 100-1 nicht 99, sondern 0.

Gerade darin liegt ja der Charme biblischer Erzählungen und Gleichnisse, dass sie uns auf alltagstaugliche Weise anschaulich vor Augen führen, mit welchen Maßstäben Gott misst.

Ökonomisch macht es keinen Sinn, das Leben der 99 Schafe zu riskieren, um ein einzelnes zu retten. Berechnend kommen wir hier immer zum falschen Ergebnis. Es ist vielmehr der Impuls, gesetzt aus Liebe und Fürsorge. Er lässt uns laufen und suchen, er gibt Kraft und Durchhaltevermögen bis das Verlorene gefunden ist.

Wir stehen als Gemeinde immer vor der Frage, dem einen nachgehen oder sich um die 99 kümmern? Gerade bei schwindenden Ressourcen ist die Ausrichtung wichtig.

Beide haben natürlich ihre Berechtigung. Gemeinde wächst nach innen und sie wächst nach außen. Dort, wo das verloren gegangen Gemeindeglied, aus welches Gründen das auch geschehen sein mag, keine Rolle mehr spielt, zerbricht ein Stück der Gemeinschaft, zu der wir doch berufen sind. Und gleichermaßen braucht diese Gemeinschaft Stärkung und inneren Halt. Der kann nur gegeben werden, wenn sie sich ebenso geborgen weiß wie das verlorenen Schäfchen auf Jesu Schulter.

Und auch für die Zuhörer, für die Murrenden, die es immer gibt, hat der Evangelist Lukas eine Botschaft: Christi Gemeinschaft überschreitet Grenzen, sowohl soziale Grenzen, wie auch ökonomische. Grenzenlos ist Gottes Liebe und seine Sehnsucht nach uns Menschen. Besonders groß ist sie nach denen, die sich von ihm entfernt haben. Das mag selbstverschuldet oder unverschuldet sein, auch dafür bieten alle drei Gleichnisse die ganze Palette der Möglichkeiten. Am Ende zählt der wartende und suchende Gott und das heimgekehrte Menschenkind.

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei

Die Coronakrise hat uns deutlich vor Augen geführt, liebe Gemeinde, wie Menschen unter Einsamkeit leiden können. Abgeschottet, nur die absolut notwendigsten Kontakte und das über Monate hin, da schwinden die inneren und äußeren Kräfte schnell. Umso wichtiger war und ist es, niemanden aufzugeben und Kontakt zu halten. Das wird nicht immer zu einhundert Prozent gelingen. Suchbewegungen sind wichtig für eine Gemeinde, die sich nicht selber genug ist. Wir haben in den letzten Monaten versucht, alte und junge Menschen zusammenzubringen, indem die einen als Boten dienten für die anderen, um die Botschaft auch in die kleine Wohnung oder das Zimmer weiterzutragen. Kontakt halten mit den Möglichkeiten, die verantwortbar sind ist Ausdruck einer lebendigen Gemeinde auch in Pandemiezeiten. Dass trotzdem die Sehnsucht nach Gemeinschaft hier in der Kirche, dort im Gemeindesaal oder in anderen Räumlichkeiten groß bleibt, steht dem ja nicht entgegen. Wir Menschen sind vom Anbeginn der Schöpfung auf Gemeinschaft angewiesen und daraufhin geschaffen.

Auch derjenige oder diejenige, die gerne alleine leben, möchten eingebunden sein in einen Kreis von Vertrauten, von Freunden. Groß muss er nicht sein, dieser Kreis. Aber ganz ohne Gemeinschaft verkümmern wir Menschen.

Gott als Guter Hirte ist ein sehr eindrückliches Bild aus dem 23. Psalm. Den meisten von uns sind diese Verse seit Kindertagen bekannt. Der gute Hirte deckt den Tisch für den verlorenen und angefeindeten Menschen. Er deckt ihn inmitten einer aufgewühlten und unwirtlichen Umgebung. Denn in der Tischgemeinschaft entscheidet sich Gemeinschaft mit Gott.

Der gute Hirte Jesus lässt Niemanden im Stich. Er geht auf Suche und zwar solange, bis er den Verlorenen gefunden hat. Mühe zählt hier nicht, weil das Ergebnis um ein vielfaches wertvoller ist als der Einsatz – Verlorene Menschen sind genauso wichtig, wie diejenigen, die in der Gemeinschaft leben. Denn diese ist erst komplett, wenn alle da sind. Und deshalb wird das Fest in allen drei Gleichnissen vom Verlorenen gefeiert.

Am Tisch gemeinsam zusammensitzen, sich vom Brot des Lebens stärken lassen und sich den Wein einschenken lassen, bringt die Lebensfreude zurück zum Verlorenen wie zu den Wartenden.

Himmlische Freude – irdische Freude

Lukas, der sehr anschaulich erzählende Evangelist, stellt uns vor Augen, wie es im Himmel sein wird - Vollkommene Freude, weil alle da sind. Diese himmlische Freude kann eben auch erst dann vollkommen sein, wenn niemand mehr fehlt. Deshalb sind beide Bewegungen wichtig. Zum einen die Bewegung des verlorenen Sohnes, der sich besinnt und der bereut, was er getan hat und zum anderen die Suchbewegung Gottes durch seinen Sohn Jesus Christus hin zu denen, die abhandengekommen sind.

Dabei lädt uns Christus ein, ihm genau in dieser Suchbewegung nachzufolgen. Und wo das nicht möglich ist, darf das Mitfreuen zum Gelingen des großen Festes der Gemeinschaft beitragen. Weil himmlische Freude so überschwänglich ist, können wir hier auf Erden uns davon anstecken lassen.

Denn wir haben jemanden zur Seite, der uns begleitet und, wenn es sein muss, alles stehen und liegen lässt, um uns herauszuholen aus der Einsamkeit. Wir haben mit Jesus Christus einen wahren Freund des Lebens geschenkt bekommen. Seine Freundschaft zeigt sich darin, dass ihm jeder Einzelne wichtig ist. Er holt mich aus der Tiefe menschlicher Abgründe heraus und lässt mich erfahren, dass der Tisch für mich gedeckt ist

Er gibt neuen Lebensmut, wenn mutlos alles hingenommen wird. Er richtet mich auf, wenn das Selbstvertrauen zerrinnt, indem er mir deutlich vor Augen führt – du bist in diesem Moment wichtiger als alle anderen. Denn diese können sich gegenseitig stärken, aber Du brauchst jetzt das getragen werden auf meiner Schulter.

Darauf dürfen wir uns im Glauben immer verlassen. Und die Antwort, liebe Gemeinde, kann nur Freude sein. Lasst sie uns gemeinsam singen und am Tisch des Herrn gemeinsam feiern. Amen.