Predigt über Lukas 17,5-10 in "Christ the King Lutheran Church", Houston

Die Predigt hielt Pfarrerin Taddiken als Gast während ihres Aufenthaltes in unserer Partnergemeinde "Christ the King Lutheran Church", Houston, Texas

  • 06.10.2019 , 16. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Liebe Freunde hier in Christ the King,

ich möchte Euch herzlich grüßen aus unserer Thomaskirche aus Leipzig, von unserem Kirchenvorstand, vom Thomanerchor und von allen Gemeindegliedern! Ihr wisst, in dieser Woche feiern wir dort 30 Jahre sogenannte „Friedliche Revolution“. In Leipzig und in anderen Städten der früheren DDR waren im Herbst 1989 viele Menschen auf die Straße gegangen. Kleine Gruppen wurden größer. Im Friedensgebet der Nikolaikirche gab es im Sommer noch zweistellige Teilnehmerzahlen . Im Oktober war sie voll mit über 2000 Sitzplätzen. Was da passierte, entwickelte große Kraft. Offenbar war in dieser Zeit ein Punkt erreicht bei den Menschen. Sie hatten genug von den kaputten Häusern, von der schlechten Versorgung – und vor allem davon, im Grunde eingesperrt zu sein. Ins westliche Ausland durfte man nicht reisen. Und es gab keine Meinungsfreiheit. Wer die Regierung kritisierte musste damit rechnen, verhaftet zu werden – und er hatte in der Regel Schwierigkeiten in seinem Beruf oder im Studium oder in der Schule. Aber nun war es zu dem Punkt gekommen, wo etwas passieren musste. Allerdings musste man auch seine Angst überwinden. Und dafür gab es einen weiteren Grund. In China gab es ebenfalls Proteste. Und dort war es gerade passiert - auf dem Platz des himmlischen Friedens – dass Panzer in die Menschenmenge gefahren waren. Es gab viele Tote. Und man musste in Leipzig damals damit rechnen, dass das dort auch passiert. Einige Mitglieder der Regierung der DDR hatten China zu dieser „Lösung“ des Problems gratuliert. Und so hieß es. In Leipzig soll scharf geschossen werden am 9. Oktober sollte es zu Demonstrationen nach dem Friedensgebet in der Nikolaikirche kommen. In der Woche vorher waren Demonstranten bereits brutal verprügelt und verhaftet worden. Es war Nicht-Leipzigern dann auch offiziell verboten worden, sich am Nachmittag des 9. Oktober in der Stadt aufzuhalten. Aber die Leute kamen trotzdem. Es ist umstritten, wie viele es waren. 70.000 sagen einige, manche sagen: die Hälfte. Auf jeden Fall viele. Einigen ging es dabei darum, endlich frei seine Meinung sagen zu können, andere wollten reisen, wieder andere wollten, dass es ihnen endlich besser geht, andere wollten ein komplett neues politisches System und das Ende der DDR. Das war alles sehr verschieden. Nach dem Friedensgebet in der Nikolaikirche und übrigens auch in der Thomaskirche und in anderen Kirchen gingen die Menschen auf die Straße und riefen den anderen zu: Schließt Euch an! Der Protest blieb friedlich. Man zog um den Innenstadtring. Als man auf Höhe der verhassten Stasi-Zentrale kam, stellten einige Menschen Kerzen auf die Stufen. Wenn auch nur einer einen Stein geworfen hätte auf dieses verhasste Haus, dann wäre Schreckliches passiert. Die Kampftruppen der Volkspolizei standen schon in Bereitschaft. Sie zogen sich aber zurück, als sie Menge der Leute gesehen haben. Sie ahnten mehr als sie wussten: Was hier jetzt passiert, das kann man nicht mehr zurückdrehen. Der Abend ging friedlich zuende.

In Deutschland gibt es im Moment viele Diskussionen darüber, was da eigentlich passiert ist und woher diese friedliche Revolution gekommen ist. Eine Seite sagt: Aus der Kirche natürlich. Keine Gewalt, wurde da gepredigt. Und: Straße und Altar gehören zusammen. Christian Führer, der Pfarrer der Nikolaikirche, sprach bis zu seinem Tod vor fünf Jahren von einem „Wunder biblischen Ausmaßes“. Andere dagegen sagen: Nein, sicher hat die Kirche ihren Anteil, aber der ist sehr klein. Es war einfach so weit, die DDR war fertig. Und da wird auch gefragt, war das überhaupt eine Revolution – oder vielleicht nur der Anfang von der Ausdehnung West-Deutschlands in den Osten. Aber ich finde, was wir fragen sollten heute, in Deutschland und auch in anderen Ländern, auch hier: Was bedeutet denn das, was da vor 30 Jahren für uns heute?  

Aber warum erzähle ich das eigentlich heute in einer Predigt hier in Eurer schönen Kirche? Natürlich deshalb, weil der 9. Oktober jetzt vor uns liegt und weil mich das und viele bei uns sehr bewegt. Und ich weiß, auch viele von Euch. Und ich denke: Wie immer wir historisch bewerten wollen, ob es eine „Revolution“ war oder nicht: Ich finde es vor allem wichtig, sich daran zu erinnern, was mit den Menschen selbst passiert ist damals. Denn das hat mit dem heutigen Predigttext aus dem Lukasevangelium zu tun. Mit dem, was Jesus seinen Jüngern da sagt und wie er Kraft des Glaubens beschreibt.

Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! 6 Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und verpflanze dich ins Meer!, und er würde euch gehorsam sein.7 Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? 8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; und danach sollst du essen und trinken? 9 Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? 10 So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.

Großartig, liebe Gemeinde: Wenn man nur Glaube so groß wie ein Senfkorn hätte, würde man einen Maulbeerbaum dazu bringen, sich ins Meer zu verpflanzen. Nun, ein Maulbeerbaum hat mit die stärksten Wurzeln überhaupt, er ist eigentlich nicht zu verrücken. Schon gar nicht ab einem gewissen Alter. Und im Grunde war das damals mit den  Leipzigern so und auch anderen. Dass sie allenfalls senfkornartig Vertrauen setzen konnten in das, was sie da getan haben. Ganz klein war alles am Anfang. Sie waren in genau solch einer Situation wie die Apostel, haben sich eigentlich zu schwach gefühlt, das war doch so gefährlich wie vergeblich, so einen Staatsapparat, der fest verwurzelt war wie ein Maulbeerbaum ins Meer zu schicken. Aber man muss bedenken, was das Senfkorn für Eigenschaften hat, es sind vor allem zwei. Es ist zwar sehr klein, kleiner als 1mm Durchmesser – aber es  schießt sehr schnell zu einer drei Meter hohen Pflanze auf. Und: Es wird vor allem als Zwischenfrucht ausgesät. Es bewahrt und düngt den Boden, bleibt aber nicht. Es wird einfach untergepflügt um neuen Pflanzen Wachstum zu geben. Sprich: Eine sehr kleine Kraft erreicht sehr schnell eine gewaltige Stärke und zweitens: Diese Kraft ist vorübergehend. Sie ist nicht selbst das Ziel. Sondern sie bereitet den Boden für neue Lebensmöglichkeiten.

Liebe Gemeinde, es war nahezu unmöglich, dieses damalige totalitäre DDR-System zu verrücken oder gar herauszureißen. Die Staatsführung wollte von Gorbatschows Glasnot und Perestroika nichts wissen. „Wenn der Nachbar tapeziert, muss man das nicht auch machen“ - das war die offizielle DDR-Haltung in Bezug auf die damaligen sowjetischen Reformversuche des Sozialismus. Es passierten Dinge, die konnte man einfach nicht glauben! Als dann am 9. November die Mauer in Berlin fiel war das besonders deutlich. Jeder in Deutschland weiß, was er an diesem Tag gemacht hat. Ich war in Australien. An einer Tankstelle. Freunde kamen aus dem kleinen Haus, wo sie unsere Tankrechnung bezahlt hatten. Sie erzählten: Hast Du es schon gehört, in Berlin tanzen die Leute auf der Mauer! Ich habe gesagt: Das kann man nicht, dann wird man sofort erschossen. Ich konnte es noch nicht mal glauben, als ich dann diese Fernsehbilder sah, mitten im australischen Outback!

Was sich am 9. Oktober abgespielt hat – das ist für mich genau das, was Jesus hier in diesem Bildwort sagt. Glaube wie ein Senfkorn wirkt sich unglaublich groß aus – und schafft den Nährboden für Neues.  Und das, liebe Gemeinde, das ist das Erbe der friedlichen Revolution für uns heute! Nichts muss bleiben wie es ist. Aus kleinstem Ansatz kann sich Gewaltiges entwickeln, es kann Boden für Neues bereitet werden! Die Jünger kommen ja mit der Bitte: Stärke unseren Glauben. Das können wir verstehen. Wer hat sich das nicht schon mal gewünscht. Ich verstehe seine Antwort so, dass er sagt: Leute, verzweifelt nicht an Euch selbst. Gebt dem nagenden Gefühl in Euch nicht so viel Raum. Eure Zweifel – sie sind da. Ok. Aber guckt auf das Senfkorn an Glauben bei Euch. Wagt es doch, auf Gottes Möglichkeiten zu schauen.

Wie die aussehen können, haben wir - glaube ich – u.a. am 9. Oktober 1989 gesehen. Aber trotzdem haben wir natürlich auch als eigentlich Gläubige immer wieder Probleme damit, zu glauben oder zu meinen, es wäre nicht genug Glaube da oder er zerrinnt uns irgendwie zwischen den Fingern, so dass wir uns wünschen: O Gott, bitte lass mir den Glauben an Dich. Sie ist ins Lukasevangelium sehr schön hineinkomponiert, diese kurze Szene zwischen Jesus und den Aposteln. Sie zeigt uns, dass wir unseren Glauben nicht als etwas Isoliertes betrachten sollten. Als etwas, was man irgendwie substanzmäßig messen oder abwiegen und damit vergleichen könnte. Wenn Jesus von der Kraft des Glaubens spricht, dann hat das immer einen Zusammenhang zu dem, was wir denken und tun.  Glaube lebt in Beziehungen, er steckt in unserem Tun und Lassen  ohne dass man ihn wie eine Sache abtrennen könnte. Das wird in der Geschichte deutlich, die unserem Predigttext folgt. Ihr kennt sie vielleicht, die von dem Samariter, der als einziger von den zehn geheilten Aussätzigen zu Jesus zurückkehrt um ihm zu danken. Hier sehen wir einen Menschen, der Jesus vertraut als er ihm zuruft: Geh zum Priester und zeige dich. Die anderen 9 tun das auch. Und sind gesund geworden. Aber dieser Mensch ist heil geworden. Er hat erfahren, was sein Glaube bewirkt hat – und dass dazu der Dank gehört, dass man auch diesen Glauben geschenkt bekommen hat. „Dein Glaube hat dir geholfen“, das sagt Jesus immer wieder zu Menschen, die ihn um Heilung bitten. Und dieser Mann ist in Beziehung zu ihm geblieben in seiner Not. Er ist zurückgekommen. Er hat gedankt, er weiß, wem er das verdankt. Denn er war wirklich in Not.

Und diese Not, wir kennen sie ja auch. Dass wir verzweifeln mögen. Wenn etwa ein geliebter Mensch trotz aller Gebete, trotz allem Bitten doch nicht gesund wird. Dann kann man daran schon verzweifeln. Vor allem, weil alles Vertrauen weg zu sein scheint. Ich kenne so einige, denen das schlicht den Boden unter den Füßen wegreißt – und zwar auch denen, die gläubig sind. Ich kann dann eigentlich nichts anderes tun, als sie in die Arme zu nehmen, sie ganz fest zu halten und zu hoffen, dass sie etwas spüren von Beziehung zu Gott. Und dass es manchmal dann doch möglich wird zumindest zu ahnen, dass er oder sie in Beziehung bleibt zu Gott. So wie ja auch Jesus selbst. Auch sein Glaube war so. Er hat im Angesicht seines Todes einerseits geschrien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“. Das ist der Anfang des 22. Psalms. Aber er war dann andererseits auch fähig, das Lob Gottes mitzubeten. Der 22. Psalm geht ja noch weiter. Die Stimmung wandelt sich vom Aufschrei zum dankbaren Lob Gottes. In diesem Lob ist der Macht des Todes der Boden entzogen. In diesem Lob wird der Boden dafür gelockert, dass ein schwerer alter Baum doch noch verpflanzt werden kann. Ja, die Angst vor dem Tod ist wie ein schwerer alter Baum. Wir kriegen sie nicht so ohne weiteres weg. Und das ist ein drittes, was Glaube wie ein Senfkorn bewirken mag. Zu wissen, zu ahnen, und wenn es ein Hauch ist: Jesus hat die Macht des Todes mit Stumpf und Stiel ausgerissen, er hat seine Macht beschnitten.

Unser Glaube bedarf also weder besonders starker Menschen, noch besonders standhafter Glaubender. Unser christlicher Glaube ist wie ein Senfkorn und das reicht. Natürlich stehen wir in der Gefahr, darüber übermütig zu werden. Und ich denke, dass deshalb noch diese kleine Sequenz in unseren Predigttext aufgenommen worden ist mit den „unnützen Knechten“ Warum steht das eigentlich da? Weil es um Beziehung geht! Ich kann meinen Glaube, der sich wie ein Senfkorn auswachsen kann, nur staunend betrachten. Ich kann ihn nur als Geschenk annehmen. In Beziehung zu Gott kann ich nur auf der Empfängerseite stehen -  bzw. in der Vorstellung früherer Zeit als „Knecht“. Es gibt nichts, was ich ihm geben könne, dass ich nicht zuvor von ihm empfangen habe. Was ich vielleicht noch nicht glauben kann – es kann von ihm her geschehen. Vielleicht ist es schon im Werden. Das lehrt mich die friedliche Revolution von Leipzig, diese Tage vor 30 Jahren, wo möglich wurde, womit niemand in den kühnsten Träumen je gerechnet hat. Das mögen wir feiern – auch hier. Diese Friedliche Revolution ist ein Erbe der Menschheit. Es sollte uns in Deutschland und auch anderswo mehr Zuversicht geben, dass hier der Boden für Gutes bereitet worden ist. Für eine starke Demokratie in Freiheit und Gleichberechtigung aller. Und dass hier deutlich wurde: Es ist auch das möglich, was Du nicht glauben kannst. Aber wenn der Glaube daran auch nur so groß wie ein Senfkorn ist, dann kann es werden – mit Gottes Hilfe.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org