Predigt über Lukas 19,1-10

  • 18.09.2022 , 14. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über Lukas 19,1-10 am 18. September 2022 14. Sonntag nach Trinitatis

Und Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. 2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. 3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. 4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. 5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm:

Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. 6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. 7 Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. 8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. 9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

Anmerkung: Während der Lesung wurde ein Werk von Sebastian Reim aufgeführt („Antwort auf Lukas 19“). In diesem Werk flüstert, raunt und zischelt der Chor immer wieder „Zachäus, Zachäus“. Der Chor stellt die Menschen in Jericho da, die Zachäus für einen Sünder und Halunken halten.

Liebe Gemeinde,

„Zachäus, Zachäus…“ Geraune und Gezischel, sie zischen hinter ihm her, diesem Oberzöllner, den sie für einen Oberhalunken halten. Damit muss Zachäus leben. Das ist er für sie: Ein Sünder, igitt. Geraune und Gezischel. Mit dem lieber nichts zu tun haben….

Zachäus. Ein Sünder? Was heißt das überhaupt? Man konnte damals Zollstationen bei den Römern pachten. Was abzuführen war, wenn man in eine Stadt wollte mit seinen Handelswaren – das lag zwar fest. Aber es war durchaus üblich, darüber hinaus noch etwas in die eigene Tasche zu wirtschaften. Und man musste auch immer etwas abführen an den Oberzöllner, wenn man sozusagen „Unterpächter“ war. Zachäus: Ein Oberzöllner also. Einer, der andere anweist, sich die Hände schmutzig zu machen. Er lebt gut davon, dass andere betrügen. Aber was heißt er lebt gut. Wo gezischelt wird, wenn man auftaucht – wer kann das ab? Die Blicke, die sich in den Rücken bohren. Schon manch einer ist an seinem Reichtum innerlich zugrunde gegangen. So mancher Lottogewinner hat sich schon gewünscht, wäre das doch nie passiert. Ob es nun der Neid der anderen ist oder was auch immer, ihr „Gezischel“, das macht etwas mit einem Menschen. Und solange jemand nicht völlig abgestumpft ist, merkt er: Da komme ich nicht so einfach raus.

Ich verstehe die Figur des Zachäus jedenfalls so. Da ist einer, der hat sich in seinem Leben für einen Weg entschieden, den kann er nicht so einfach verlassen. Er profitiert von den Vorteilen. Aber irgendwie hat er sich selbst darin auch verloren. Gibt ihm das wirklich Halt so zu leben? Er weiß: Wenn er es ändern will, dann geht das nicht, ohne mindestens beschämt zu werden. Wenn nicht mehr, wenn er nämlich öffentlich zugeben muss: Ich habe mich da verheddert in meine Betrügereien. Ich möchte noch mal anfangen. Teil sein der Gesellschaft ohne Gezischel…

Wo habe ich mich in meinem Leben verloren? Meistens geschieht das schleichend. Warum fällt es uns eigentlich so schwer, von für uns offensichtlich schlechten Entscheidungen zurückzutreten? Wir fürchten kaum etwas so sehr wie den Moment mit der beschämenden Konfrontation. Und dann bleibe ich lieber unglücklich und verteidige mein Unglück lieber nach außen, anstatt es vor mir selbst und dann auch vor anderen zuzugeben und zu sagen: Ich habe mich da verrannt. Ich denke, eigentlich kann man es nur so erklären, warum Leute sich immer weiter reinreiten. Wie sie sich zum Beispiel auf Teufel komm raus weiter reinsteigern in absurdeste Ansichten und Theorien, wenn man den Moment verpasst hat, da auszusteigen, geht’s immer weiter in diese Richtung…

Es kann ja sein, und für mich spricht viel dafür, dass Zachäus jetzt intuitiv den Moment spürt, er kann daraus befreit werden. Jetzt kann es geschehen, wo der vorbeikommt, von dem er das gehört haben mag. Das macht ihn neugierig. Da ist einer, der Menschen helfen kann, aus ihrem Tunnel rauszukommen, in dem sie stecken. Selbst Blinde heilt er, das hatte sich gerade herumgesprochen in Jericho. Und so klettert er unstandesgemäß auf einen Baum. Und da hängt er nun zwischen der Realität und den mehr oder weniger bewussten Sehnsüchten seines Lebens. Genau das scheint Jesus zu sehen. Er hat genau in diesem Moment ein Auge auf diesen Oberzöllner. Er spricht ihn an. Mit seinem Namen: Zachäus. Kein Gezischel. Jesus meint ihn, den Menschen – mit seinem Haus, mit seinem ganzen Leben, denn dafür steht in der Bibel das Haus: „Ich muss heute bei Dir einkehren“. Und macht damit den Menschen hinter all dem sichtbar, was sich an diesen Ast klammert. „Zachäus, steige eilend herunter, ich muss heute in deinem Hause einkehren.“  Es ist keine Moralpredigt, die Jesus Zachäus hält: Komm runter von deinem hohen Ross. Er sagt: Ich komme in dein Haus. Heimsuchung ist das. Im besten Sinne. Er kommt zu Zachäus selbst, dorthin, wo er lebt, wo er leidet, wo er Leid verursacht. Kommt damit quasi in sein Innerstes. Kommt dahin, wo Zachäus eigentlich beheimatet sein sollte und es doch nicht ist. Aber: Dort soll er heute noch ankommen. Bei sich.

Zachäus erkennt den Moment dafür. Kein Warten und kein Zaudern – jetzt ist dem Moment, sich dem zu stellen. Der ganzen Beschämung seines Lebens. Darin ist er gesehen worden – aber eben nicht weiter beschämt worden. Die murrende Menge drum herum hätte das gerne. Denn wenn man andere beschämen kann, scheint es sich leichter zu leben. Manche leben davon und fühlen sich überlegen, wenn es da noch einen neben einem gibt, der sich noch tiefer reingeritten hat als man selbst. Letztlich auch eine Reaktion auf die Angst davor, dass die eigene Erbärmlichkeit irgendwann aufgedeckt wird. Aber Jesus will all die verschiedenen Zachäus-Typen von den Bäumen holen, zu denen auch wir gehören. Er sucht sie. Will sie wieder hereinholen ins Leben - ohne sie zu beschämen. Und Zachäus begreift das. Nochmal: Jetzt ist der Moment. Er erkennt, wann er rauf muss auf den Baum. Er erkennt, wann er runter muss vom Baum.

Und dann passiert es. Zachäus kommt bei sich an. Bei sich zuhause. Er hat Kontakt zu sich und den anderen. Sie essen. Sie feiern. Er lebt wieder. Er ist gefunden: „Heute – heute - ist diesem Haus Heil widerfahren.“ Wir haben den Ruf aus dem Stück von Sebastian Reim noch im Ohr. Zachäus erkennt, wie für ihn der Weg aus der eigenen Beschämung heraus gehen kann. Und da geht es nicht darum, dass da einer nur etwas bereut und gelobt, es eben besser zu machen – und vielleicht daran schon wieder scheitert, weil er sich zu viel vornimmt. Denn ist sein Versprechen realistisch, die Hälfte des Besitzes den Armen zu geben und vierfach zurückzugeben, wo er betrogen hat? Ersteres vielleicht noch, letzteres klingt schon auffällig nach gutem, nicht einzuhaltendem Vorsatz – und das wäre am Ende doch ein enttäuschender Ausgang der Geschichte. Allerdings: So ist es im Gesetz im Alten Testament vorgesehen: vierfach für Ersatz zu sorgen, wenn man einen Betrug wieder gut machen will. Das heißt also: Zachäus will wieder einsteigen in Gemeinschaft und das, was sie zusammenhält. Er will sich an die Leitplanken halten, die zu einem Leben in Freiheit und Gemeinschaft nötig sind. Er begreift: Ich bin da immer mitverantwortlich, dass das funktioniert, ich als einzelne/r habe unser aller Freiheit mitzuverantworten. Und zum anderen: Es geht um das Jetzt. Der Moment für die Veränderung meines Lebens ist immer jetzt. Nicht morgen. Jetzt. Jetzt kann Zachäus das ansprechen und auf den Punkt bringen, was ihn beschämt. Den Betrug am eigenen Leben und an dem anderer. Sprich: Er kann es akzeptieren, dass er „klein von Gestalt“ ist, wie Lukas es ja so freundlich formuliert.  Die befürchtete Beschämung war und ist auszuhalten. Zachäus kommt nach Hause in seinem eigenen Haus. Kommt im wahrsten Sinne des Wortes zu sich.

Und kann so sogar Oberzöllner bleiben. Lukas erzählt nicht davon, dass er alles aufgibt, sein ganzes Leben ändert und mit Jesus mitzieht. Das gibt es zwar auch – aber diese Geschichte beleuchtet einen anderen Aspekt von Nachfolge. Und so ist uns vielleicht der Zöllner Zachäus näher als der Zöllner Levi, der alles verlässt. Wir können die bleiben, die wir sind – und wir können uns als die, die wir sind zugleich verändern und verändern lassen.  Wir können es, wenn wir das begreifen, was Zachäus begreift. Der Moment dafür, die Angst vor der Beschämung auszuhalten, ist jetzt. Heute. Heute soll unseren Häusern Heil widerfahren nach Jesus. Jesus sucht und findet, um selig zu machen. Lassen wir das zu. Auf welchem Baum auch immer wir derzeit herumkrebsen: Er hat uns längst gesehen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org