Predigt über Lukas 19,37

  • 10.05.2020 , 4. Sonntag nach Ostern – Kantate
  • Pfarrerin Britta Taddiken

„Singen verboten!“ (Süddeutsche Zeitung 2./3. Mai 2020) - liebe Gemeinde, ausgerechnet zum Sonntag Kantate kommt es darüber zum Streit: Kann man das verantworten, dass jetzt in Gottesdiensten gesungen wird? Sind wir damit einander nicht endgültig die Aerosol-und Virenschleudern schlechthin? Vor drei Tagen hat mich ein befreundeter Pfarrer angerufen: Unser Kantor weigert sich, die Gemeinde zu begleiten. Nur eine Person dürfe die Lieder mitsingen. Ist das bei Euch auch so? Nein, habe ich gesagt. Zum Glück nicht. Ganz im Gegenteil. Nun, wir haben eine große Kirche. Aber das haben die anderen auch. Was ist also los? Wie gefährlich ist es denn nun, zu singen?

Vielleicht hätten wir in einer winzigen Kapelle vernünftigerweise auch verzichtet. Aber wo man meterweit auseinandersitzt und jeder das Lob Gottes in seine Maske singt … man sollte da mal die Kirche im Dorf lassen, gerade wo man das Dorf jetzt wieder in die Kirche lassen darf! Hier singen schließlich nicht 100 Leute aus voller Kehle dicht gedrängt im Chor. Ich denke ja: Nicht singen hat schlimmere Folgen als Singen. Denn wer singt, stärkt nachweislich seine Immunkräfte. Vor allem die psychischen. Was läuft gerade ab in unserer evangelischen Kirche: Der Wettbewerb darüber, wer sich jetzt am angemessensten, fürsorglichsten – sprich- am richtigsten verhält?

Das betrifft nicht nur den Gemeindegesang, auch anderes. Ich sehe bei aller gebotenen Vorsicht auch die Gefahr der verkappten Fürsorge, die letztlich in der Entmündigung landet. Und zwar sowohl derer, die man zu schützen meint als auch derer, die die Dinge anders sehen. Schon klar: Corona kann man nicht weg beten und „Frömmigkeit ist kein Immunitätsverstärker“ (H. Prantl). Darum geht’s aber auch nicht. Sondern um die kluge Freiheit der Christenmenschen und darum, auf ihren Verstand zu setzen. Es geht drum, sich den Mund nicht verbieten zu lassen, im wahrsten Sinne des Wortes, auch wenn man im Moment gelegentlich eine Maske drüberziehen muss. Und noch schlimmer ist es, sich das Lob Gottes selbst zu verbieten, denn in diese Richtung geht es in dieser in unserer Kirche zu beobachtenden Mischung aus Furcht und Beflissenheit. Dabei gehört es zu unserem Selbstverständnis, dass wir als evangelische singende Gemeinde sind. Und wenn wir jetzt auch nur leise singen: In unseren Chorälen antworten wir auf das Evangelium. Wir sind erlöst vom letzten Anspruch aller Todesmächte auf uns -wenngleich wir gut daran tun, sie ernst zu nehmen, wie etwa eine Pandemie. Aber wir können uns das Leben nicht verbieten, zu dem Krankheit und Tod nun mal auch gehören. Es ist wohl ein Grund, Gott zu loben und zu singen, wenn wir es schaffen, sie in unser Leben so zu integrieren, dass sie uns nicht verbittern lassen – oder eben verstummen. Auf dieses Evangelium, diese gute Botschaft können wir eigentlich nur mit gehobener Stimme antworten: singend. Denn es geht über den Verstand hinaus und über das, was wir mit gesprochener Sprache sagen können.

Im Evangelium des heutigen Sonntags geht es genau darum. Das zu tun – davon weiterzusagen, von diesem Sieg des Lebens über den Tod. Und vom Sieg der Freiheit über die Knechtschaft. Und sich nicht den Mund verbieten zu lassen von denen, die dann zur Hochform auflaufen, wenn es wie jetzt darum geht, dass Paragraphen und Gesetze Leben retten können. Vielleicht können sie das – aber sie können und dürfen sich nicht des Lebens an sich bemächtigen. Wir sind auf dem Holzweg, wenn wir anfangen, das zu glauben. Als Jesus auf dem Esel in Jerusalem einzieht, singen die Mensch laut und deutlich das Lob Gottes: „Gelobt sei, der da kommt, der König in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe“. Die Pharisäer wollen das unterbinden: „Meister, weise doch deine Jünger zurecht!“ Aber er sagt ihnen: „Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“

Die gute Nachricht – sie ist in der Welt.  Wo Steine schreien, wirkt eine unglaubliche Kraft. Eine Kraft, vor der die Paragraphenreiter aller Couleur Angst haben. Wer das Lob Gottes singt: „Friede im Himmel – und Ehre in der Höhe“ – der hat immer auch eine gute Portion Skepsis gegenüber all denen im Gepäck, die sich irgendwie als Herren des Geschehens wähnen. Oder Herrinnen – Verzeihung. Nein, es hat seinen Grund, dass hier der König des Himmels gepriesen wird. Und nicht die der Erde. Seine Botschaft ist nicht totzukriegen: Dass wir freie Menschen sind. Mit Verstand. Die verantwortlich entscheiden können und sollen in dem, was gerade dran ist und dem Leben dient. Lasst sie uns singen – und nicht verstecken! „Kantate“ heißt: Singt die Botschaft davon, dass die Trauernden getröstet werden, die Gefangenen frei sein sollen, die Lahmen springen, die Tauben hören, die Stummen reden. Lasst uns Worte finden dafür im Moment – und Ideen, wie wir in diesem Sinne mit dem leben können, was nun mal in der Welt ist: mit diesem Virus. Abstand halten, Rücksicht nehmen, vorsichtig sein: aber frei, verantwortlich und geduldig. Eine Weile noch mit Mundschutz – aber nicht entmündigt. Singen verboten? Nicht mit mir!

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche
taddiken@thomaskirche.org