Predigt über Lukas 21,25-33

  • 08.12.2019 , 2. Advent
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, 26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. 27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. 28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: 30 wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass der Sommer schon nahe ist. 31 So auch ihr: Wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. 32 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. 33 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Liebe Gemeinde,

seit nunmehr fünf Jahren befindet sich der Paulineraltar wieder in der neuen Universitätskirche. Vorher stand er über 20 Jahre hier in der Thomaskirche. Viele von Ihnen haben es ja miterlebt, wie er nach und nach hier aufgebaut und zu Pfingsten 1993 geweiht wurde. Das mag diesem Altar das Leben gerettet haben. Nun ist er wieder dort, wo er hergekommen ist, an seiner alten Stelle. Und predigt – auf seine Art und mit seiner Geschichte. Und vielleicht besonders einen Satz aus unserem Predigttext. Jesus sagt: Himmel und Erde werden vergehen – aber meine Worte werden nicht vergehen. So ist auch dieser Altar hindurchgegangen durch Zerstörungs-und Vernichtungswillen von Menschen hindurch, durch Brausen und Wogen des Meeres der Zeiten, insbesondere der des 20. Jahrhunderts. Bewahrt davor, mit in die Luft gesprengt zu werden. Bewahrt vor dem nagenden Zahn der Zeit, der ihm im Keller des Verwaltungsgerichts sicher noch mehr zugesetzt hätte. Auch wenn wir erst sehr traurig waren, dass wir ihn zurückgeben mussten. Es ist eine starke Botschaft: Er ist jetzt wieder da, wo man ihn weghaben wollte. Ein wunderbares Zeichen mitten in unserer Stadt: „Die Herren dieser Welt kommen und gehen. Unser Herr kommt.“ Ein Zeichen des Advents im Advent - am vergangenen ersten Adventssonntag war Kirchweihfest in der Universitätskirche zum Gedenken an ihre Weihe vor zwei Jahren.

 Ein zweites adventliches Zeichen möchte ich diesem ersten an die Seite stellen. Eins, das wir gewissermaßen wiedergewonnen haben als Gemeinde, was zu uns zurückgekehrt ist: Ein Kerzenleuchter aus der am 4. Dezember 1943 bei den Luftangriffen auf Leipzig zerstörten Matthäikirche. Warum zurückgekehrt? Nun, die Gemeinden der Matthäi- und der Thomaskirche wurden im Jahr 1948 vereinigt. Und so hat ihn jemand zu uns gebracht. Zusammen mit einer Geschichte, ich lese sie im Wortlaut: „Als die Trümmer der zerstörten Kirche beseitigt wurden, hat ein junger Bauarbeiter in einer Nische hinter Trümmersteinen den Leuchter entdeckt. Aber er hat den Fund nicht gemeldet, sondern mit nach Hause genommen. Dass das nicht erlaubt war, musste ihm bewusst gewesen sein. Und somit ließ er diesen Leuchter in dem Zustand, wie er ihn vorgefunden hat und in dem er sich heute noch befindet. Er vererbte das Stück an seinen Sohn mit der Auflage, den Leuchter nicht zu putzen. Der nun seinerseits gealterte Sohn war  Hobbysammler und hat dann irgendwann diesen Leuchter eingetauscht, aber immer mit dieser Legende und so kam dieser Leuchter dann irgendwann mal  in meine Hände. Der Name des Finders ist nicht bekannt, er hat das, laut Legende, so festgelegt. Ich hatte auch schon vor einiger Zeit versucht, diesen Leuchter zurück zu führen, aber keinen Ansprechpartner gefunden, bin sogar gewarnt worden, das lieber bleiben zu lassen, es wirble nur unnötig Staub auf und bringe gar nichts. Ohne Adresse und Hausnummer ist es bloß ein Gegenstand ohne Beleg. Der Leuchter wurde weitergegeben, aber die Legende auch.“

 Nun, wir haben einige Zeit lang versucht, die Geschichte zu überprüfen und haben nach Fotos dieses Leuchters in der Matthäikirche gesucht. Letzte Sicherheit gibt es nicht, aber es spricht einiges dafür. Und so ist es heute eine gute Gelegenheit mitten im Advent und vier Tage, nachdem unsere Hauptkonfirmanden eine Andacht an der Gedenkstätte gehalten und einen Kranz niedergelegt haben, Ihnen als gottesdienstlicher Gemeinde als erster diesen Fund zu zeigen, ihn wieder in den Dienst zu nehmen und in zukünftig zu besonderen Anlässen leuchten zu lassen. Als Zeichen im Advent. Jesus sagt: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Sie werden auch das überdauern, was Menschen in ihrem Wahn, Krieg übereinander zu bringen, anrichten. Sie werden überdauern, was noch nach Jahrzehnten als Wunde schmerzt. Unser Herr kommt. Immer und immer wieder. Advent ist immer.

 Nun, man mag sich fragen: Inwieweit haben diese beiden adventlichen Zeichen Altar und Leuchter mit denen zu tun, von denen in unserem Predigttext aus dem Lukasevangelium die Rede ist? Wenn Sie noch mal draufschauen auf das, was Sie eben schon gehört haben in der Lesung: Jesus spricht dort ja erst einmal von kosmischen Zeichen. Von Zeichen, die geschehen werden an Sonne und Mond und Sternen, er spricht von Wogen des Meeres und davon, dass die Kräfte des Himmels ins Wanken kommen. Er spricht von Zeichen, die die Ordnungen der Welt erschüttern. Von dem was passieren wird, bevor er der Menschensohn zurückkommen wird in diese Welt. Und diesmal so, dass er alles vollenden wird und dass das Reich Gottes da sein wird. Endlich und ein für alle mal.

 Nun, glauben wir das denn nun noch wörtlich mit solchen kosmischen Zeichen, ist das nicht eher etwas für die Kaffeesatzleser, die hier und da erkennen wollen, dass das Ende der Welt nahe ist? Oder haben nicht zumindest diese Bilder wieder Konjunktur, sind sie nicht höchst aktuell, sind die äußeren Zeichen des Klimawandels nicht ein Hinweis darauf, dass –vereinfacht gesagt - alles dem Ende entgegengeht, wenn wir nicht schleunigst das Ruder herumreißen? Erleben wir sie nicht jeden Tag - die hier geschilderte Panik? Der Sommer war wieder zu heiß. Die Talsperren sind jetzt immer noch nicht gefüllt. Australien brennt und Venedig ist überflutet. Dürre hier und Hochwasser da. Sind das schon die Zeichen für das, was erst noch so richtig auf uns zukommen wird? Und ist das nicht so wie Lukas es beschreibt? „Die Menschen vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde.“

Für manche sind es diese Zeichen. Andere bleiben hartnäckig bei Ansicht: Den menschengemachten Klimawandel gibt es nicht. Doch irgendwo dazwischen lauert sie, die Angst vor der Zukunft bei den einen wie bei den anderen. Und zwar auf beiden Seiten. Sonst würde die Diskussion darum nicht so hoch- moralisch aufgeladen ablaufen, dass jeder, der noch Plastikzahnbürsten benutzt oder gar ins Flugzeug oder in den SUV steigt, ein Klimakiller ist. Und sonst würden sich nicht so viele so heftig und hässlich abarbeiten an Kindern und Jugendlichen wie Greta und den jungen Organisatoren von Fridays-for-future. Das würde nicht geschehen, wenn nicht alle sehr genau wüssten, dass es fünf vor zwölf ist oder möglicherweise auch schon später. Wie viele Menschen der südlichen Halbkugel werden Richtung Norden fliehen, wenn das Meer ihr Land holt? Das kann doch nur Mord und Totschlag geben – jedenfalls dann, wenn wir darauf nicht vorbereitet sind. Und das ist ja nur eins von dem, was geschehen mag. Ja, am Ende sind die alten apokalyptischen Bilder aus der Bibel aktueller und realistischer, als wir gedacht haben inklusive der Beschreibung, was das mit uns machen kann: „vergehen vor Furcht in der Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde.“

Und hier meine ich, ist anzusetzen bei diesem Text. Ich denke, Lukas bzw. Jesu geht es nicht vordergründig um die Auflösung der kosmischen Ordnung und um die Frage, woran genau kann ich sie denn nun erkennen. Schon gar nicht geht es um die Fragen, wie wir sie vielleicht heute haben: Wie kann ich sie verhindern? Wie können wir das abwenden? Nun, hier werden die seinerzeit gängigen Bilder benutzt, die die Menschen damals einordnen konnten. Wir können sie nicht eins zu eins auf unsere Zeit übertragen. Einige Verse davor warnt Jesus seine Jünger sogar vor denen, die aus solcher Kaffeesatzleserei Kapital schlagen wollen. Lasst Euch nicht verführen von denen, die damit Ängste schüren. „Lauft ihnen nicht nach“ sagt er. Und: „Entsetzt euch nicht.“ Es geht hier nicht darum, das Ende der Welt zu beschwören. Sondern darum, zu erkennen, wie wir auch in schwierigen Zeiten die Zeichen dafür zu deuten wissen, dass wir erlöste Menschen sind. Das Reich Gottes kommt – es bricht immer wieder hinein in unsere Welt. Bis es einmal ganz und gar da sein wird. Es geht darum, hinzusehen. Zeichen zu erkennen dafür. Wo andere sich nur fürchten und entsetzen können (und so in ihrer Lähmung gefangen bleiben), sollt Ihr – Jesus spricht hier mit seinen Jüngern – hinsehen. „Seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich Eure Erlösung naht.“ Er sagt das zu denselben Jüngern, die seine Heilungen erlebt haben als Zeichen des anbrechenden Reichs Gottes. Sie haben es erfahren. Es ist angebrochen. Und es wird auch vollendet werden. Unser Gott bringt die Menschheit an sein Ziel. Die Zeichen dafür zu sehen und in unser Leben zu integrieren, darum geht es. Immer wieder wird es hier wiederholt, „seht“.

 

Und dazu hebt vor allem den Kopf. Ja, den Kopf. Also das, womit wir nicht nur sehen, sondern auch denken und Nachdenken und reden, Worte finden füreinander und Lösungen für Probleme miteinander. Das ist viel mehr als ein „Kopf hoch, wird schon wieder.“ In diesem „Erhebt Eure Häupter“ ist viel mehr, da geht es darum, sich aufzurichten, sich gerade zu machen und auch nachzudenken, wo die Wogen hochgehen, wo viele Menschen Panik schieben oder sich verzagt zurückziehen in sich selbst. Genau gesagt, geht es um zweierlei. Zum einen: die Zeichen in dem zu erkennen, was uns als unverrückbar und unabänderlich erscheint. Die Zeichen an Sonne, Mond und Sternen stehen für das, woran einem schlagartig klar wird, dass Menschen nicht allmächtig sind und auch die Natur nicht ewig feststeht. Schon in der Schöpfungsgeschichte wird ja klar gestellt: Sonne, Mond und Sterne sind keine Götter, sie sind nichts anderes als Geschöpfe, die auf denjenigen hinweisen, der sie gemacht hat. Leuchtzeichen am Himmel für die Güte Gottes. Und das zweite, worum es geht, wenn man den Kopf hebt: Zeichen auch inmitten des größten Chaos wahrzunehmen. Gerade auch im größten Chaos meines  eigenen Lebens, wenn darin alles ins Wanken kommt und die Wogen hochschlagen.

 Natürlich, das geht nicht mal eben. Dieses Sehen, es will eingeübt sein. Immer wieder heißt es hier bei Lukas ja „seht hin“, „seht auf“. Ein Leben lang will es erlernt und geübt sein, die Schrecken und Schrecklichkeiten in meinem Leben nicht als blanke Widerfahrnisse zu erleben, sondern Gottes Handeln auch darin zu suchen, sich an ihn zu wenden, sich ihm im Gebet anzuvertrauen. Ich denke, Not lehrt aus sich heraus nicht das Beten. Ich denke, es ist anders herum: Das Beten lehrt mich, wie ich mit der Not umgehen kann. Es schenkt mir Erfahrung im Umgang mit meinen Ängsten. Und mit meinen schlimmsten Befürchtungen und Phantasien, die immer wieder alle Aufmerksamkeit aus mir heraussaugen wollen. Die mir Angst machen, sobald ich sie im Kopf habe und die genau dann drohen, Macht über mich zu gewinnen und den Kopf sinken zu lassen. Wenn ich den Kopf erhebe, widersetze ich mich ihnen. Wenn ich den Kopf aufhebe und mich aufrichte, nach oben schaue – wo eben Sterne, Sonne und Mond zu finden sind – dann habe ich es immerhin schon mal geschafft, den Blick vom Abgrund abzuwenden. Und dann kann ich ihn noch schärfen, immer mehr, Stück für Stück.

Oder im Advent formuliert: Licht für Licht? Die vier Wochen im Advent sind uns geschenkt, um unsere Hoffnung stärken zu lassen, dass Gott diese Welt zu dem Ziel bringen wird, das er mit ihr hat. Der Menschensohn, den wir sehen sollen und werden – er wird sein Werk vollenden. Denn der, der da zu sehen ist, ist der mit den Nägelmalen. Der „Menschen-Sohn“. Der Mensch wurde: Kind und Mann. Der sich in Liebe hingegeben hat und dafür vor dem Kreuz nicht verzagt hat. Sondern in ihm das Zeichen gesehen hat, das wir auch sehen sollen. Den Beginn unserer Erlösung aus Leid und Tod. Am zweiten Advent geht es darum, hinzusehen: Was Ostern begonnen hat, wird auch vollendet werden. Im wahrsten Sinne des Wortes „End-gültig“. Das wird die Welt ins Wanken bringen, jedenfalls all das, was wir gern als unverrückbar glauben wollen oder als unveränderlich befürchten. Darum geht es. Durch alles Vordergründige zu blicken, dass unsere Erlösung naht, dass sie kommt. Die Worte Jesu werden nicht vergehen. Seine Botschaft ist nicht weg zu sprengen, sie ist nicht weg zu bomben, sie vergeht nicht in Stürmen, Brausen und Meereswogen aller Art, und nun durch Menschen gemacht oder nicht. Sie lässt sich davon nicht aufhalten, nicht unterbrechen. Sondern sie kommt zum Ziel. Dafür sind der Paulineraltar oder dieser Kerzenleuchter aus der Matthäikirche Zeichen. Sie sind durch das alles hindurch gegangen, teils beschädigt, verrußt, verformt. Aber sie sind da. Und predigen uns täglich den Advent: „Seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich Eure Erlösung naht.“

 Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org.