Predigt über Lukas 24, 36-45

  • 17.04.2017 , Ostermontag
  • Vikarin Dr. Teresa Tenbergen

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen

Der kleine dunkle Raum kann sie kaum fassen. Sie haben sich noch nicht getraut, die Tücher von den Fenstern zu nehmen. Jene Tücher, die sie verbergen sollten vor römischen Soldaten oder religiösen Fanatikern, man wusste ja nie. Jene Tücher, die als Trauervorhänge das Licht von ihrer Dunkelheit fernhielten. Die Tücher hängen noch. Und doch ist alles anders. Die Welt ist nicht mehr, wie sie war. Schon wieder. Sie drängen sich in diesem Raum zusammen. Die Männer und Frauen, die mit Jesus nach Jerusalem gekommen waren. Die ihm gefolgt waren bis zum Schluss. Oder fast bis zum Schluss. Still haben sie den beiden zugehört, die eben aus Emmaus zurückgekehrt sind. Jetzt schwirren die Stimmen durch den Raum. Vibrierende Aufregung. Vorsichtige Freude. Fragen. Zweifel. 

„Als sie aber davon redeten, trat er selbst mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Seht meine Hände und meine Füße, ich bin's selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe. Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und Füße. Da sie es aber noch nicht glauben konnten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. Und er nahm's und aß vor ihnen. Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden."
Lukas hat das Bild der Szenerie in Worte gegossen. Dicht gedrängt stehen die Figuren in jenem kleinen Raum. In ihren Gesichtern spiegeln sich der Abgrund und der Glanz dieser letzten Stunden und Tage. Die ganze Geschichte. Ostern.
Maria Magdalena. Du bist noch ganz blass. Wahrscheinlich hast du nicht viel geschlafen in diesen letzten Tagen. Wie hast du das ausgehalten, frage ich mich. Bis zum Schluss bist du mitgegangen. Hast Jesus sterben sehen am Kreuz. All die Stunden. Hast du schon da all die Tränen geweint, die du hattest? Erst als sie ihn ins Grab gelegt hatten, hast du dich auf den Weg gemacht. Salben bereitet für jenen letzten Liebesdienst. Wenigstens konntest du etwas tun. Die ganze Trauer würde noch kommen, das wusstest du. Wie schwer das war, den Sabbat über zu warten. Welche Gefühle mögen in dir gestritten haben: Hoffnungslosigkeit, Nicht-wahr-haben-Wollen, Unruhe? Was sollte denn jetzt werden? In aller Frühe bist du nach dem Sabbat losgegangen. Schwer das Herz. Fest umklammert hielt deine Hand das Gefäß mit dem Salböl. Und dann war das Grab offen. Und die Angst erfasste dich. Jesus war verschwunden. Nicht nur tot, auch noch verschleppt, vielleicht gar geschändet? Auf deinen zitternden Körper fiel das Licht des Engels, als er dir sagte, du sollest den Lebenden nicht bei den Toten suchen. Und ganz tief in dir begann eine Hoffnung ganz sanft zu grünen. Aber die Jünger glaubten dir nicht. Vielleicht hast du dir auch selbst noch nicht glauben können. An diesem Morgen am leeren Grab, da hast du nicht nur das Gefäß mit dem Salböl zurückgelassen. Sondern auch alles, was du bisher kanntest. Die Formen der Trauerarbeit, mit denen du aufgewachsen warst, wurden durchbrochen. Du sollst den Lebenden nicht bei den Toten suchen. Selbst jetzt, als Jesus mitten in dem kleinen Raum auftaucht, bist du dir nicht sicher, ob er nicht vielleicht doch eine dieser Totenerscheinungen ist. Trauernde sehen manchmal die Verstorbenen als wären sie tatsächlich da. Maria, du mutige und treue Frau. Trau deinen Augen. Trau dem zarten Grün der Hoffnung in dir. Er lebt! Ja, du wirst loslassen müssen. Manchmal ist es so viel leichter, an den Tod zu glauben, als an das Leben. Aber die Welt ist nicht mehr, wie sie war. Die Auferstehung Jesu heißt für dich: Sieh über das Sichtbare hinaus.
Kleopas. Gerade bist du zurückkehrt aus Emmaus. Dein Gesicht leuchtet noch. Und wie angefüllt du erzählt hast von der Begegnung mit dem Mann unterwegs. Dabei hatte dieser Weg so ganz anders begonnen. Einen Fuß hast du vor den anderen gesetzt, aber eigentlich stand alles still. Du hattest es nicht mehr ausgehalten in Jerusalem. Zu zweit seid ihr losgegangen. Wenigstens laufen bis nach Emmaus, trotz der Schockstarre. Manchmal muss man losgehen, um zu verstehen. Plötzlich war dieser Mann da. Und ihr habt ihm erzählt, was euch nicht aus dem Kopf gehen wollte, den ganzen Rucksack eurer Traurigkeit habt ihr ausgebreitet vor diesem Fremden. Er ging mit euch. Erklärte, legte euch aus. Manchmal muss man weitergehen, um zu verstehen. Die Worte reichten euch nicht. Aber etwas hielt euch an, diesen Mann zu überreden, mit euch einzukehren. „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget." Aller Hoffnungsglanz war euch untergegangen. Begraben. Im Dunkeln. Und trotzdem habt ihr darauf bestanden. „Bleibe bei uns." Manchmal muss man weitergehen, um zu verstehen. Und als er das Brot brach mit euch, da habt ihr ihn erkannt. Bestimmt wart ihr schnell auf dem Rückweg. Und überfließend in euerm Erzählen. Und dann, Kleopas, steht Jesus wieder direkt neben dir. Diesmal erkennst du ihn gleich. Trotzdem erschrickst auch du. Aber dann bittet er um etwas zu essen und eilfertig schiebst du ihm einen Fisch hin. Im gemeinsamen Mahl müssten es doch alle sehen wie du, dass er der Herr ist. Und obwohl er kein Brot bricht diesmal, macht er sich mit dem Essen des Fisches wieder zum Teil eurer Gemeinschaft. Er wird auch diesmal nicht bleiben, das weißt du. Aber die Welt ist nicht mehr, wie sie noch gestern war. Er lebt! Jesu Auferstehung heißt für dich: Es geht weiter. Du gehst weiter in einem von Gott bewegten Leben.
Simon Petrus. Du hältst dich ein bisschen im Hintergrund verborgen. Mag sein, dass dir jene Nacht noch in den Knochen steckt. Man hatte dich gefragt, ob du auch zu Jesus gehörst. Und du hast nein gesagt. Die Tränen deiner Enttäuschung über dich selbst haben Spuren auf deinem Gesicht hinterlassen. Wie oft wirst du noch aus dem Schlaf hochschrecken, weil der Hahn in deinen Träumen kräht? Als die Frauen dir erzählt haben, dass das Grab leer ist, hast du ihnen nicht geglaubt. Und es mit deinen eigenen Augen zu sehen, lässt dich auch nur verwundert zurück. Du hast begonnen, dir zu misstrauen. Und dann steht er plötzlich wieder vor dir. Und du begreifst: Die Wirklichkeit des Auferstandenen ist nicht der Erfolg deines Suchens und auch nicht der Erfolg eines unerschütterlichen Glaubens. Sie stellt sich ein. Einfach so. Obwohl du gescheitert bist an deinem eigenen Anspruch. Obwohl du im leeren Grab nichts sehen konntest als ein leeres Grab. Du hattest ihm ein besonders treuer Jünger sein wollen, eifrig und klug und rational. Und jetzt steht er da und sagt: „Ich bin es selbst. Fasst mich an und seht." Und du verstehst endlich, dass du erstmal sehen sollst und fühlen, dass er wirklich lebt. Gleich wird Jesu Aufruf zur Verkündigung des Evangeliums folgen - und du wirst ein großer Prediger werden, Simon Petrus - aber noch sollst du einfach sehen und hören. Die Welt ist nicht mehr, wie sie war. Und Jesu Auferstehung heißt für dich Verstehen.
Und du Jesus, der Auferstandene. Auch in deinem Gesicht sind die Spuren des Geschehenen zu sehen. An deinen Händen und Füßen trägst du noch die Wunden deines Sterbens. So, wie Lukas dich hier gezeichnet hat, bist du ganz und gar Mensch. Nicht nur in der Erinnerung schimmernd, nicht nur in einem Scheinleib. Das ist für Lukas wichtig in der Auseinandersetzung mit solchen, die anderes behaupten. Du bist für Lukas auch nicht nur eine Erscheinung, eine Vision, wie Paulus sie schildert. Nein, ganz und gar bist du da, Jesus, in dieser gemalten Szenerie. Denn die Welt ist nicht mehr, wie sie war. Du, der du tot warst, bist nicht bei den Toten. Sondern als Lebendiger bei den Lebenden. Dort wirst du bleiben, auch wenn du nicht mehr zu sehen sein wirst. Deine Auferstehung ist Zeichen einer neuen Wirklichkeit. Und mitten in ihr bist du. Du bist es, wirklich.
Und irgendwo zwischen den dicht gedrängten Figuren in diesem Osterbild sehe ich auch mich. Irgendwo zwischen dem Zweifeln und Verstehen stehe ich. Und erhoffe und glaube über das Sichtbare hinaus in meinem Unterwegssein die Gegenwart des Auferstandenen. Er war und er ist das Leben. Er wird es sein. Und die Welt muss nicht bleiben, wie sie war.
Und der Friede, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

Vikarin Dr. Teresa Tenbergen