Predigt über Lukas 2,41-52

  • 03.01.2021 , 2. Sonntag nach dem Christfest
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

plötzlich ist das Kind verschwunden. Ein Albtraum für alle Eltern. Panik und Sorge werden größer, je länger Vater und Mutter suchen müssen. Bricht dann noch die Dunkelheit ein, verzweifeln die Suchenden, weil sie wissen, dass die Chancen, ihr Kind zu finden, immer geringer werden. Maria und Josef bewahren nach dem ersten Schock zumindest soweit einen kühlen Kopf, als dass sie den ganzen Weg zurückgehen, zurück zum Ursprung ihres Aufbruchs. Wieder angekommen im Tempel, entdecken sie nach unzähligem Rufen und Suchen das geliebte Kind. Über der Freude stehen jedoch die Vorwürfe „Mein Kind, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“

In unserer Bibel ist der heutige Predigttext mit der Überschrift „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ versehen. Damit ist dem Leser zu Beginn schon klar, dass die Suche gut ausgehen wird und nimmt ein wenig von dem Schrecken, der die suchenden Eltern ergriffen hat. Das ehemalige Krippenkind bringt auch hier mit seiner Anwesenheit die Welt der Erwachsenen durcheinander und stellt sie auf den Kopf. Der Zuhörende wird zum Lehrenden. Das Kind wird zum Lehrer.

Auf zwei Gesichtspunkte aus dieser kleinen Erzählung, mit der Lukas seine Version der Kindheitsgeschichte Jesu abschließt, möchte ich heute gerne eingehen

  1. Das wahre zu Hause suchen und finden

Überall hatten die Eltern ihr Kind vermutet, nur nicht im Tempel mitten unter den Lehrern. Ein zwölfjähriges Kind ist hier als Fragender und erst recht als Antwortender fehl am Platze. Der heutige Predigttext fordert uns heraus zur Frage, wo denn mein Platz im Leben ist? Welchen Ort darf ich als mein Zuhause definieren? Dort, wo sich die biologischen Familie befindet, oder dort, wo ich im Herzen durch Angenommensein Heimat empfinde? Natürlich kann sich beides überlagern. Dem Evangelisten Lukas geht es hier jedoch um eine andere Perspektive. Er möchte uns mitnehmen auf die Suche nach einem Zuhause als Zufluchtsort für unser Herz und für unseren Glauben.

Nach der Begegnung im Tempel wird Jesus wieder gehorsam, wie Lukas so schön umschreibt. Aber die Wegmarkierung ist gesetzt.

Ich gehöre zu Gott. Er ist mein himmlischer Vater und schenkt mir dadurch Gewissheit, des Lebensweges verschlungene Pfade nicht alleine gehen zu müssen.

In den vergangenen Monaten und in der gegenwärtigen Situation taucht bei vielen Menschen die Frage nach dem Zuhause auf. Homeoffice und Ausgangsbeschränkungen lassen den Ort des Wohlbehagens verschmelzen mit Arbeit und Alltag. Und so manche Wohnung taugt nicht dazu, sich darin über Monate wohlzufühlen. Nicht ohne Grund bleiben auch in Pandemiezeiten Kirchen offen, weil sie den Suchenden, den Verzweifelten oder den Überforderten ein anderes Zuhause, jenseits der Familie bieten wollen und können. In der dortigen Stille liegt jene Kraft, die dann den Weg wieder ins alltägliche Zuhause gehen lässt.

Mit seinen Erzählungen möchte uns der Evangelist Lukas verdeutlichen, wie wichtig die Zusage Gottes ist, bei ihm ein Zuhause zu haben. In der Begegnung mit dem Kind Jesus wird diese Zusage Gottes konkret. Hirten und Propheten spüren das.

     2. Gott bei den Menschen und der Mensch bei Gott – Begegnungen im Alltag

In den Advents- und Weihnachtsgeschichten des Evangelisten Lukas schafft sich Gott den Glauben in ganz unterschiedlichen Personen, angefangen bei Zacharias, Elisabeth, Maria über die Hirten bis hin zu Propheten Simeon in Jerusalem. Im weiteren Verlauf des Evangeliums sowie der lukanischen Apostelgeschichte wird dem Glauben auch geographisch Raum gegeben, sich zu entfalten. Dabei geht es weit über das einstige Zentrum Jerusalem hinaus.

Im Laufe der Beziehungsgeschichte zwischen Gott und den Menschen ist es zur Entfremdung gekommen. Deshalb setzt Gott neu an und wird Mensch. Dem nicht genug. Anders aber als in hellenistischer Tradition und Mythologie lässt sich Gott ganz auf die Menschwerdung ein. Lukas greift das auf und beginnt mit der Erzählung jener Menschwerdung Gottes bereits vor der Geburt, um diese dann ins Zentrum zu rücken. Nicht der Erwachsene mit seinem Glaubensverhalten steht im Vordergrund, auch spielen erwachsene Lebensanschauungen keine zentrale Rolle, sondern: Das Kind rückt ins Zentrum. Um ein kleines Baby muss sich gekümmert werden, weil es sonst nicht leben kann. Gott wird gewissermaßen zum hilfsbedürftigen Objekt, indem er unsere Barmherzigkeit herausfordert.

Die Zuwendung Gottes zu uns Menschen geschieht demnach auf ganz außergewöhnliche Weise. Sie geschieht aus bedingungsloser Liebe in der Hoffnung, dass so wir Menschen verwandelt werden in der Gnade Gottes, dass wir versöhnt werden mit unseren lieblosen Gottesbildern und letztlich wieder zu seinem Volk werden. Darin erfüllen sich die prophetischen Verheißungen, von denen uns Jesaja z. B. erzählt. Nach der Kindheitserzählung des Evangelisten Lukas werden die Begegnungen des Menschensohnes Jesus mit uns Menschen intensiviert. Ihn zeichnet seine Nähe zu uns aus. Selbst in verlorenster Situation steht er dem Menschen bei. „Noch heute wirst Du mit mir im Paradies sein“ sind die vorletzten Worte Jesu am Kreuz.

Erste und letzte Worte

Dass, was so verständlich zu sein scheint, ist für die verwundert Staunenden unverständlich. Jesus beansprucht für sich die Nähe zu seinem Vater. Nur, dass er damit nicht Joseph meint, der ihn verzweifelt suchte, sondern den himmlischen Vater. „Wusstet ihr nicht, dass ich in der Welt meines Vaters sein muss“? Zwischen den Zeilen höre ich „ja, zumindest du, liebe Mutter Maria, hättest es doch wissen können, also, warum machst du dir Sorgen?“ Der Evangelist Lukas setzt mit den ersten und letzten Worten Jesu einen überaus deutlichen Akzent auf die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und Jesus Christus. Geprägt von einem, heute nicht mehr selbstverständlichen, positiven Vaterbegriff, hebt er diesen sehr oft hervor. Gott bestätigt das Ansinnen seines Sohnes viele Jahre später als sich Jesus taufen lässt. „Diese ist mein geliebter Sohn“ hört die umstehende, staunende Gemeinde. Vielleicht mag sich einer erinnert haben an die Worte des Knaben im Tempel. Wo Jesus Sohn Gottes ist und gleichzeitig mitten unter uns, da öffnen sich dem Menschen Herz und Ohr und Auge. Denn nichts anderes bedeutet es als: Jesus Christus ist mir zum Bruder geworden in der großen, weltweiten Gottesfamilie. In des himmlischen Vaters Hause bzw. in seiner Welt zu sein ist die gnadenvolle Annahme meines oft widersprüchlichen oder verlorenen Lebens durch einen mich über alle Maße liebenden Gott.

So verkünden auch die letzten Worte Jesu von einem kindlichen Vertrauen, dass sich in der Liebe des Vaters geborgen weiß. „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“ ruft Jesus laut am Kreuz, damit es alle hören können.

Mögen wir es verstehen, wenn nicht mit dem Verstand, so doch mit dem Herzen. Amen.