Predigt über Lukas 6,1-7

  • 06.09.2020 , 13. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus.         Amen.

 Der Predigttext für den 13. So.n.Tr. steht in der Apostelgeschichte des Lukas 6, 1-7:

„In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und zu Tische dienen. Darum, liebe Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Geistes und Weisheit sind, die wollen wir bestellen zu diesem Dienst. Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.

5Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Proselyten aus Antiochia. Diese stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten ihnen die Hände auf. Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.“

Der Herr segne an uns sein Wort.

Liebe Gemeinde,
warum sollte man am Sonntag in zwei Wochen zur Wahl gehen? Nein, Sie haben nichts verpasst: Es gibt weder vorgezogene Bundestags- noch frühzeitige Landtagswahlen, auf die ich hier anspielen könnte. Warum sollte man am Sonntag, den 20.9. zur Wahl gehen? Mit dieser Frage meine ich die Wahlen zu den Kirchenvorständen in den Gemeinden der Evangelischen Landeskirche Sachsen. Damit meine ich die Wahl für den Kirchenvorstand unserer Gemeinde St. Thomas. Warum sollte man sich an den KV-Wahlen am Wahlsonntag beteiligen? Warum gehen Sie am Sonntag in zwei Wochen hierher zur Wahl des KV oder beteiligen sich durch Briefwahl?

Weil der Kirchenvorstand die demokratisch gewählte Vertretung unserer Gemeinde ist. Und weil es notwendig eine Aufgabenteilung in der Gemeindearbeit gibt. Weil zu Deutsch gesagt Pfarrer und Pfarrerin nicht alles und jede Art von Gemeindearbeit machen können. Es braucht die Verteilung der Aufgaben in kompetente Hände. Und es braucht die Schwerpunktsetzung bei Pfarrer und Pfarrer und bei den übrigen Mitgliedern des Kirchenvorstands.

Davon handelt unser Predigttext.

 In der urchristlichen Gemeinde gab es offensichtlich Spannungen und ein daraus resultierendes Gerangel. Die einen waren die Alteingesessenen. die die alte Sprache sprachen, sich gut auskannten im Tempel; alles sollte so bleiben, wie es war. Die anderen sprachen eine andere Sprache – und zwar anstelle von Aramäisch Griechisch; ich stelle mir vor, dass da ein flüssiges Englisch auf ein gemütliches Sächsisch stieß -, sie (die anderen) waren weltläufig, philosophisch gebildet; häufig legten sie die höheren Spendenbeträge in die Gemeindekasse ein.

Und was war dann schief gelaufen? - Die Witwen der einen Gruppe waren bei der Armenfürsorge übersehen worden.

            Hier füge ich einen kleinen Exkurs zu den sogenannten „Witwen“ im Neuen Testament ein. Mir selbst ging es lange Zeit so, dass bei dem Wort „Witwe“ vor meinem inneren Auge eine schwarz gekleidete, abgehärmte Frau stand, wie sie auf manchem barocken Gemälde zu sehen ist: irgendwo am Rand und womöglich kleiner als die anderen. Witwe war für mich irgendwie synonym mit „bar jeder Lebensfreude“. Doch dieses Bild ist schief, um nicht zu sagen: ganz und gar falsch. Ich will es hier für mich und für uns korrigieren:

Das Verständnis der „Witwe“ im NT ist ein viel weiteres. Witwe ist die alleinstehende und die allein lebende Frau. Es ist aber auch die Frau, die in einer anderen selbst gewählten Lebensform lebt. Auch die Jüngerinnen, die Jesus nachfolgten, gehörten zu dieser Grupppe.

Alleinstehend: Die Frau hat ihren Mann durch den Tod verloren: das Verständnis des Wortes Witwe gemeinhin. Doch auch die alleinstehenden Frauen, die von ihrem Mann verlassen wurden und nun auf sich gestellt sind, werden „Witwen“ genannt. Bei der Überlegung, wer im NT außerdem noch zu den „Witwen“ zählt, kommen solche Frauen hinzu, die sich dafür entschieden haben, ohne Partnerschaft zu leben; das sind also die allein Lebenden. Und schließlich finden sich solche Frauen, die als einzelne mit einer Frau oder in einer Lebensgemeinschaft mit mehreren anderen Frauen in der Gemeinde zusammen leben.

Was für eine Bandbreite von „Witwen“ begegnet uns hier! Beinahe wünschte ich mir, dass für sie ein anderer deutscher Begriff gefunden wurde. Da können sich die Philologinnen und Philologen ja mal ans Werk machen.

[Ende Exkurs]

Zurück zu unserem Text. Bei der Versorgung dieser Frauen war es zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Die Gemeindespitze machte eine Fehleranalyse. Das Ergebnis lautete: Die zwölf Apostel, also die geistliche Führungsspitze der urchristlichen Gemeinde kann nicht alle Aufgaben übernehmen. Wenn die Apostel das tun – bzw. wenn sie das zu tun versuchen -, kommt es zu Umwuchten. Die einen oder am nächsten Tag die anderen werden vernachlässigt. Was aber viel gravierender ist: Die Apostel beginnen dann, Gottes Wort zu vernachlässigen.

Wir lernen daraus: In der Struktur einer Gemeindeleitung, in der Struktur einer Landeskirche, in der Struktur einer Kirche weltweit muss es Männer und Frauen geben, die sich auf Gottes Wort konzentrieren. Es braucht diejenigen, die einen Großteil Ihrer geistigen Gaben und ihrer Fantasie, ihren Lebensmut und eben auch ihre Zeit auf Gottes Wort verwenden. Auf das Gebet, auf die Verkündigung, auf Bibel- und Gesprächskreise, auf die Aufführung von Passionen und Oratorien (denn auch das ist Verkündigung von Gottes Wort).

Und daneben braucht es diejenigen, die die vielfältigen anderen Aufgaben in einer Gemeinde übernehmen. In der Apostelgeschichte wird dafür extra ein fähiges, glaubensstarkes Gremium von sieben Personen eingesetzt. („voll Geist und Weisheit“)

Knapp zusammengefasst: Nicht alle können alles tun. Es braucht die Arbeitsteilung, und es ist gut, wenn die Kompetenzen in der Leitung der Gemeinde einander ergänzen: Gottes Wort hoch halten und lebendig halten. Und daneben: den Diakonieaussschuss, den Gemeindeaufbauausschuss, den Ausschuss für Kinder- und Jugendarbeit, den Finanzaussschuss, die Glocken-AG, die Kirchenmusik-AG und und und.

Da sind wir wieder: Es ist so wichtig, dass wir am 20.9. zur Wahl gehen. Wählen wir den Kirchenvorstand und sorgen wir dadurch dafür, dass der Gemeindespitze, dass unserer Pfarrerin und unserm Pfarrer, eine Schar von Menschen „voll Geist und Weisheit“ an die Seite gestellt wird. So und nur so kann die Arbeit in der Gemeinde gedeihen.

Ein letztes, liebe Gemeinde, sei mir mit Blick auf unsern Predigttext zu sagen erlaubt. Der Text ist gerahmt von zwei Sätzen, die etwas über die Zahl der Gemeindeglieder aussagen: „Die Zahl der Jünger und Jüngerinnen nahm zu.“ (V. 1) Und „Die Zahl der Jünger und Jüngerinnen wurde sehr groß.“ (V. 7) Die Zahl der Gemeindeglieder wurde sehr groß. Dass die Gemeinde wächst, erleben wir zwar hier an St. Thomas nach wie vor – denn wir sind eine attraktive Adresse in einer attraktiven Stadt, was nicht unser Verdienst ist -, aber aufs Ganze der evangelischen Kirche gesehen, ist eben das Gegenteil der Fall: Die Zahlen sinken, die Zahl der Kirchenaustritte ist täglich groß. Die Kirche – wird sie untergehen?

(Ich habe mich neulich in einem Gespräch mit Freundinnen und Freunden sagen hören: Ich komme mir vor, als würde ich am Ufer stehen und zusehen, wie der Tanker der Institution Kirche versinkt. Dabei stehe ich doch mit an Bord …!!?!!)

Diese Predigt hat noch genau drei Sätze vor sich, deshalb werde ich hier innerhalb von zwei Minuten keine Fehleranalyse betreiben und die Ursachen für die hohe Zahl an Kirchenaustritten ergründen können. Was ich aber tun möchte ist, sie zu ermutigen, nach vorn zu blicken. Und nach vorn heißt: ins Morgen. Und liebe Gemeinde, ich bin der starken, ja der glaubensstarken Überzeugung: Wenn für den Kirchenvorstand junge, auch sehr junge Menschen kandidieren, die es in unserer Zeit geschaffft haben, am Glauben fest zu halten und die dann noch bereit sind, die Arbeit in der Gemeinde „voll Geist und Weisheit“ mitzugestalten …, dann sollte man sie wählen. Für eine Zukunft der Kirche, für eine Gemeinde von morgen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu.

Amen

Dr. Almuth Märker, Prädikantin an St. Thomas
almuth.maerker@web.de