Predigt über Markus 13,28-37

  • 20.11.2022 , Ewigkeitssonntag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über Markus 13,28-37, 20. November 2022 (Ewigkeitssonntag)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

An dem Feigenbaum aber lernt ein Gleichnis: Wenn seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, so wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. 29 Ebenso auch, wenn ihr seht, dass dies geschieht, so wisst, dass er nahe vor der Tür ist. 30 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. 31 Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. 32 Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

33 Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. 34 Es ist wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er sollte wachen: 35 So wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, 36 damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. 37 Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!

 

Liebe Gemeinde,

das Bild stimmt. Wir haben einen Gott, der außer Haus ist. Das fällt uns an vielen Tagen nicht auf. Aber wenn wir ihn brauchen, vermissen wir ihn. Seine Wärme. Wir sitzen allein in unserem Lebenshaus, uns ist kalt, wir sind der Stille überlassen und unseren Erinnerungen und unserem Schmerz. Die Verstorbenen fehlen uns, auch manche Lebende. Und auch, wenn der Tod in diesem Jahr bei uns nicht vorbeigeschaut haben sollte, manche leiden unter Unordnung ihres Lebenshauses, die bei den einen plötzlich eingebrochen ist und bei den anderen in Raten. Sicher Geglaubtes ist nicht mehr da, ist uns zwischen den Fingern zerronnen. Was wird, scheint uns unklarer denn je zu sein.

So sitzen wir heute hier in der Kirche, so, wie es bei jedem von uns eben ist. Ewigkeitssonntag. Ewigkeit - wir denken nach über eine Welt, die wir nicht kennen, in der wir vielleicht unsere verstorbenen Lieben wähnen, von der wir aber nicht einmal sagen können, ob sie schon immer um uns herum ist oder uns erst linear in der Zukunft vorausliegt. Auch die biblischen Geschichten und Bilder aus diesem Gottesdienst sagen uns Verschiedenes – aber wahrscheinlich deshalb, weil Ewigkeit nicht unterscheidet zwischen vorher und nachher, sondern alles in eins liegt, eine Sphäre, die uns schon umgibt und das, was aus unserer Sicht noch in der Zukunft liegt. Wir wissen es nicht und hören Jesus sagen: „Von jenem Tage aber oder Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“ Wir wissen höchstens von Vorboten des neuen Lebens wie treibende Zweige aber wissen doch so vieles nicht. Warum junge Menschen sterben und alte sich so lange quälen müssen. Warum eine Pandemie in der Welt wütet oder Naturkatastrophen und warum die Menschheit nicht lernt und Kriege immer wieder Menschen dahinraffen und entwurzeln. Uns eint der Schmerz über das, was uns fehlt und die Hoffnung, dass es warm werde in unserem Lebenshaus und dass es in Ordnung komme. Er wird kommen, sagen uns die biblischen Texte, die wir heute hören. „Bald“ sagen die einen. „Irgendwann“ die anderen. Und bis dahin können wir mehr oder weniger tun: Arbeiten an unserer Aufgabe. Immerhin: Gott hat uns Vollmacht gegeben! Und wach sein. Was heißt das für unser Lebenshaus? Es geht um etwas, was von uns nicht verschlafen oder verspielt werden darf. Um etwas, was dringlich ist und todernst. Es geht um das Unvergängliche angesichts der Vergänglichkeit, um das Zeitlose an der Zeitschwelle, um das Unendliche im Bedenken der Endlichkeiten. Es geht also um das, dass Gott mit Macht oder leise hineinkommt in unsere Welt. Dass er wieder kommt, wieder dahin, wo wir hin vermisst haben. Und dass er vollendet, was unvollendet ist. Jetzt in meinem Lebenshaus und dereinst ganz und gar. Er kommt auf uns zu, in jedes unserer Leben kommt er schon jetzt und einst ganz und gar und alles wird neu.

Dass wir das zu hoffen lernen oder wieder neu zu hoffen lernen, dazu drängen uns geradezu all diese biblischen Geschichten heute. Dass wir diese Momente, wo Gott einbricht in unser Lebenshaus, mit guten Absichten, nicht verpassen, nicht verschlafen, dass wir nicht träge sind, gleichgültig, fatalistisch, verpennt. Es gibt ein zu spät, das ist die Wahrheit. Der Festsaal kann zu sein. Wenn ich es versäumt habe, mit einem Menschen reinen Tisch zu machen, mich auszusprechen mit ihm, zu verzeihen oder mir verzeihen zu lassen und er stirbt und er ist nicht mehr da, dann ist es zu spät. Seit einiger Zeit folge ich einem Impuls. Menschen, von denen ich geträumt habe oder die mir plötzlich einfallen, warum auch immer und die ich länger nicht gesehen habe, rufe ich an. Oder schreibe eine mail. Denn irgendwas will mir das ja sagen. Jedenfalls hilft es mir wachzubleiben oder wieder zu werden. Und insofern ist es gut, dass diese Geschichten auch daherkommen mit ihrem „zu spät“. Und auch mit ihrem großem Getöse, dass die Welt untergeht, dass alles zerbricht oder zergeht oder im Feuer. „Himmel und Erde werden vergehen.“ Es wird uns zugemutet, auszuharren durch Wind und Sturm und Finsternis und Kälte hindurch. Es wird uns zugemutet, all das zu überwinden. Aber es steht nie allein und endgültig da. All das, was todernst ist, ist nicht das letzte Wort Gottes. „Meine Worte werden nicht vergehen“, sagt Jesus. Und das Wort ist im biblischen Verständnis nie nur ein Wort. Es ist immer auch Gottes Tat. Wenn Gott spricht, passiert etwas. Gott bleibt und er bleibt bei seinem Ziel mit uns und mit dieser verletzten und sich so oft selbst verletzenden Welt. Nicht um ihren Untergang geht es, sondern um die neue Schöpfung. Es ist nicht als Letztes ein Tribunal zu erwarten, sondern ein Hochzeitsmahl. Es ist zu erwarten der Himmel, die neue Welt Gottes. Es ist zu erwarten, dass alle Tränen abgewischt werden und Leid und Geschrei nicht mehr sein wird.

Und es macht etwas mit uns, wenn wir diesen unglaublich großen Bildern trauen. Es lässt uns erkennen: Was angesichts des Todes unwichtig ist, ist schon heute unwichtig. Und was angesichts des Todes wichtig bleibt, ist schon heute das Wichtigste. Wendet Euch dem zu, sagt Jesus. Wendet Euch dem zu und es wird dem Zustand Eures Lebenshauses guttun. Seid wach dafür, dass er, Gott, Euer Lebenshaus aufsucht, er wird kommen. Erwarten wir das? Vielleicht gürten wir nicht mehr unsere Lenden. Oder hantieren mit Öl und Lampen. Türhüter gibt es auch nicht mehr außer im Hotel. Was sind unsere Lebensausdrücke, dafür wach zu sein? Was erwarten wir?

Es lohnt sich, da persönlich Bilanz zu ziehen. Wo hat mich denn in diesem zuende gehenden Kirchenjahr etwas Bleibendes berührt? Habe ich diese Augenblicke wichtig und ernst genommen und sie einbezogen in mein Leben, wie ich mich verhalten habe anderen und mir selbst gegenüber? Was von dem Vielerlei der täglichen Worte, Begegnungen und scheinbaren Wichtigkeiten aus Internet und Medien erinnere ich mich oder denke überhaupt noch dran? Was ist im Abstand denn noch wichtig geblieben? Wo laufen die Grundlinien meines praktischen Lebens? Auf welchen Horizont laufen sie zu? Spielt Ewiges in meinem vergänglichen Leben eine Rolle? Und finde ich meine Sprache, meine Bilder dafür? Und wo lasse ich vielleicht den Stuhl und den freien Platz in meinem Leben, von dem eine russische Erzählung berichtet. Wie da ein zu Wohlstand gekommener Frommer in einer der Verbanntensiedlungen Sibiriens, dem im Gebet Christus sein Kommen versprach, bei jeder Mahlzeit am Familientisch ein zusätzliches Gedeck auflegen ließ, damit alles bereit sei, wenn Christus käme. Aber so, wie erwartet, kam Christus nicht. Doch eines Tages kam, unverkennbar für den Verbannten an der Stelle Christi, der böse Onkel, der diesem Verbannten so viel Böses und Übles angetan und ihn nach Sibirien gebracht hatte, und dem dieser nie verzeihen konnte, im Gegenteil. Der stand nun da, ganz und gar heruntergekommen, in der Tür. Und er wurde aufgenommen. Da war Christus angekommen in der Gastfreundschaft und im Verzeihen, das furchtbar tief ging. Es gibt viele Möglichkeiten, Bereitschaft zu leben im christlichen Horizont der Ewigkeit und in dem, wie wir Christus erwarten. Nutzen wir die uns von Gott gegebene Wollmacht und finden wir die unseren, ehe wir entschlafen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.  

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org