Predigt über Markus 1,40-45

  • 17.09.2017 , 14. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis, 17. September 2017, Markus 1,40-45

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich reinigen. Und es jammerte ihn, und er streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will's tun; sei rein! Und alsbald wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein. Und Jesus bedrohte ihn und trieb ihn alsbald von sich und sprach zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst; sondern geh hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis. Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte bekannt zu machen, so dass Jesus hinfort nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; und sie kamen zu ihm von allen Enden.

Liebe Gemeinde,
das ist schon ein seltsames Miteinander in dieser Geschichte: Jesus und dieser Aussätzige, der ihn einerseits jammert und den er im nächsten Moment anfährt, bedroht, ja, von sich wegtreibt.

Schauen wir näher hin: Er ist plötzlich da, dieser Aussätzige, kommt aus der Grauzone einer kranken Welt und vertraut sich Jesus an. Es fällt auf, dass er nichts fordert. Nicht die Sensation, dass Jesus gerade so viele andere geheilt hat, bringt ihn hin, „kein Hilf mir endlich auch". Vielmehr ist es so, dass er sich selbst Jesus überlässt: „Willst du, so kannst du". Und: Es geht erst mal gar nicht um Heilung, sondern er bittet darum, rein zu werden, dass ihm einer den Makel nimmt. Wer aussätzig war, war ausgegrenzt, wie lebendig tot, lebte draußen vor der Stadt, musste „unrein, unrein" rufen, wenn er jemandem begegnete und er trug eine Stange mit einem Beutel vorne dran, in den man ihm etwas hineingeben konnte zum Überleben. Die Distanz war so ganz sichtbar. Es ist also deutlich: dem Aussätzigen geht es um persönliche Begegnung. Er hofft, dass Jesus ihn berührt und dass er den Makel wegnimmt, der ihn zu einem lebenden Toten macht. Dass er wieder hineinfinden kann in eine Gesellschaft, die ihn meidet.
Nun lesen wir hier: Jesus jammerte es. Er ist menschlich betroffen, persönlich. Andere allerdings übersetzen diese Stelle mit „Jesus wurde zornig" und wieder andere sehr wörtlich, dass ihn das Schicksal dieses Menschen in seinem Mutterleib bewegt hat. Mutterleib, seltsam bei einem Mann? Vielleicht gar nicht so sehr, wenn man größtmögliche Nähe zwischen uns Menschen ausdrücken will. Alle drei Übersetzungen sind möglich. Gemeinsam ist ihnen: Jesus ist wirklich berührt, ihn jammert das Schicksal eines einzelnen? Oder ist er zornig, dass die Gesellschaft Leute wie diesen Menschen so behandelt? Oder ist er zornig, weil er schon weiß, was kommen wird, dass dieser Mensch sein Reinwerden gleich wie ein Spektakel in die Welt hinausposaunen wird - und so aus einem intimen Akt der Zuwendung ein vermarktetes Wunder wird, die große Sensation? Es bleibt offen - und möglicherweise beabsichtigt Markus gerade das, weil es auch alles irgendwie zusammengehört. Da hilft ein Blick auf uns selbst.

Wenn wir von der Not eines anderen wirklich berührt werden, dann reden wir nicht nur, sondern tun auch was. Aber unser Mitgefühl ist zugleich eine sehr intime Angelegenheit. Denn wenn die Not eines Menschen mich berührt, dann berühre ich das Leben und das Leid dieses Menschen. Bei mir und bei der anderen Person geht es schon ums Eingemachte. Und unser Eingemachtes, das verlangt nach Diskretion. Solche Momente sind immer auch exklusiv. Das heißt, sie schließen von vornherein andere aus. Wenn ein Kind sich auf dem Spielplatz die Knie aufschlägt, nehmen Mutter oder Vater es auf den Schoß, hält es fest, bis der Schreck und der Schmerz wieder weg sind. Die anderen Kinder, die Geschwister, sind in diesem Moment aus diesem Schutzraum ausgeschlossen. Er gehört jetzt gerade nur dem einen weinenden Kind. Und so ist es immer, schon, wenn wir hier in der Kirche Kollekte sammeln, da ist dann einer im Fokus, eine Organisation, eine Gruppe von Betroffenen. Und wir wissen, wie schnell daraus auch Neid und Missgunst entstehen kann. Das erweckt womöglich sogar den Impuls: Wieso nicht ich auch? Denn in jedem Menschen, wirklich in jedem von uns, lebt auch die Sehnsucht nach solchen Momenten, wo es nur um mich geht. Ausschließlich um mich. Wo nichts anderes, niemand anderer mehr zählt. Daraus können auch Forderungen entstehen an denjenigen, der einem anderen diesen intimen Moment geschenkt hat. Wenn du das für ihn tust, dann doch wohl auch für mich. Sonst wäre das doch ungerecht! Ich denke, Jesus ist hier sehr diskret. Es geht ihm mit seiner Anweisung, nichts davon öffentlich zu sagen, erst einmal darum, diese intime Beziehung zu schützen, die sich eingestellt hat. Und wenn er, der nunmehr ehemals Aussätzige, sie auch für sich schützen würde, dann wird und kann es ihm für sein ganz normales alltägliches Leben nützen. Denn dahin schickt ihn Jesus ja zurück: In die Normalität. Er soll sich dem Priester zeigen und opfern, was geboten ist. Es geht um Integration in das ganz normale Leben. Dass das wieder geht, möglich ist, dass einer von den wie Toten wieder Anschluss findet im ganz Normalen.

Und da ist das Stichwort gefallen, das noch mal in besonderer Weise deutlich macht, wie aktuell diese Geschichte an uns dran ist und wie aktuell sie in ganz vielfältiger Weise ist. Diese Geschichte ist eine Integrations-Geschichte. Und da geht es mir jetzt nicht nur um die Frage, wie integrieren wir die, die in den letzten Jahren als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, in unsere Gesellschaft, obwohl auch das mir immer deutlicher wird in der Erfahrung mit der Begleitung einzelner: Es geht nicht ohne persönliche Kontakte, ohne ein sich Einlassen auf das, was den anderen bewegt, es geht nicht ohne sich zu überwinden, auf das Fremde zuzugehen und die sich in mir gleichzeitig abspielenden Bewegungen von Mitleid, Erbarmen, Zorn und Abstand zuzulassen und zu reflektieren, also genau diese Gemengelage im Innern Jesu, die Markus hier beschreibt. Ohne dass sich Einzelne einlassen auf Einzelne wird es schwer.

Es geht mir genauso um unseren Umgang mit denen, die einen vermeintlichen Makel mit sich herumtragen, der in unserer Leistungs-und Erfolgsgesellschaft erst mal abschreckt oder zumindest verunsichert. Und da haben ja gerade Sie als Ältere Ihre ganz persönlichen Erfahrungen. Dass jemand länger als andere ihm es zugestehen braucht, um den Verlust seines Ehepartners zu verarbeiten. Dass ihn die Traurigkeit mehr bestimmt als wir das gemeinhin aushalten. Oder was auch den oder die betrifft, dessen Weg ins Heim führt, und, ja, sprechen wir es doch aus, ins Altersheim. Es sind doch Altersgründe, weshalb man da ist - und nicht, weil man zu den sog. „Senioren" gehört. Es sind die Folgen von Alter und Krankheit, die so manchem wie eine Abschiebung aus der Welt der Lebenden in eine Sonderwelt vorkommen, in der man die Verantwortung für sich selbst weitgehend abgenommen bekommt oder wo das nicht selten von einem gar gefordert wird. Und bist Du einmal da, bist Du immer da, es gibt kein Zurück aus dieser Welt in der Regel. Ja, es hat schon auch etwas von aussätzig sein aus dieser Geschichte, zumal viele neue Heime ja immer noch auf der grünen Wiese gebaut werden, abseits vom Trubel unserer Leistungsgesellschaft, in der jeder individuell klar kommen und wo man sich immer noch zu überwinden hat, wenn man um Hilfe bitten muss. Um die Integration von Schwachheit und Krankheit ins normale Leben, ist es bei uns nach wie vor nur mittelmäßig bestellt. Wir sind noch weit weg davon, diesen Makel zu überwinden.

Und das ist letztlich das, worum es in dieser Geschichte geht, um diese Wegnahme des Makels. Der ehemals Unreine bekommt sozusagen seinen Integrationsstempel im Tempel, er wird wieder in die Gemeinschaft aufgenommen. Es geht also um die Anerkennung der Heilung, nicht der Heilkraft selbst. Man würde diese Kraft missverstehen, wenn man meint, es sei damit getan, dass geheilt worden ist, wenn zugleich die Prinzipien der Ausgrenzung, die Gegensätze von rein und unrein, die gleichen bleiben. Die Wahrheit in dieser Geschichte heißt: Leiden wird nicht überwunden durch Leidaufhebung, sondern durch Verbundenheit. Auch deshalb ist jegliches Prahlen mit dem eigenen Erleben unerträglich und unangemessen, auch deshalb verbietet Jesus es dem Gereinigten bei allem Verständnis für dessen Begeisterung und vielleicht wird auch von daher sein vorweggehender Zorn und sein Wegstoßen deutlich. Denn solch ein Erlebnis, jetzt sagen wir ruhing mal, persönliche Heilung, persönliches Glück, kann auch entsolidarisierend wirken, wenn jeder nur seine eigene Haut retten will. Und es ist genau das, was durch die öffentliche Prahlerei des Gereinigten, die im übrigen nicht kritisiert, sondern offenbar als menschlich hingenommen wird, passiert: Die anderen wollen auch, sie fordern. Sie kommen in Scharen. Sie wollen keine persönliche Berührung. Sie wollen keine persönliche Beziehung. Sondern: Sie wollen „auch haben". Sie wollen sich holen, „was ihnen zusteht". Jesus entzieht sich diesem Ansturm und geht nicht mehr öffentlich in die Stadt. Ob er ihnen hilft, bleibt offen, wird nicht gesagt, nur: Er war draußen an einsamen Orten. Worum es eigentlich geht, das taugt nicht als Massenphänomen. Es bedarf der intimen persönlichen Beziehung - wie es übrigens in der Heilungsgeschichte aus dem heutigen Evangelium deutlich wird, wo ja mehrere geheilt werden, aber der Dank des Einzelnen im Vordergrund steht.

So dreht sich am Ende der Geschichte quasi alles um. Jesus geht in die Einsamkeit, der Gereinigte in die Öffentlichkeit. Sie wechseln am Ende die Seiten. Und wie Markus das beschreibt, „draußen an einsamen Orten", das ist sicher kein Zufall, sondern ein klarer Hinweis für seine Leser schon zu Beginn seines Evangeliums. Nicht in seiner Wundertat wird Jesus erkannt, als der, der er ist. Sondern darin, dass sein ganzes Wirken mündet in der Aushebelung der Unterscheidung von rein und unrein, von Eingeschlossenen und Abgesonderten. Denn sein Kreuz, an dem er stirbt, steht außerhalb des reinen Bereiches, es steht draußen am einsamen Ort Golgata, Schädelstätt, wo sie eben vor allem hausen, die Aussätzigen. Die eigentlich reinigende Kraft Jesu liegt in der Botschaft: Durch sein Kreuz und Leiden draußen am einsamen Ort soll es keine Ausgeschlossenen mehr geben, soll auch keiner mehr bleiben wie tot. Jesus geht runter zu den Menschen im Leid, geht in die Abgeschiedenheit des Todes, um sie alle zurückzuholen und sie seinem letzten Anspruch auf uns zu entreißen. Damit kehrt sich alles um. Und jede Heilung, wo immer Menschen zurückgeholt werden in die Gemeinschaft gegen alle Widerstände, wird davon schon zeichenhaft etwas deutlich - in jedem echten Bemühen um Integration, wenn man so will.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org