Predigt über Markus 14,3-9

  • 05.04.2020 , 6. Sonntag der Passionszeit - Palmarum
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Jeder möchte immer das Richtige tun. Das gilt besonders in schwierigen und unsicheren Zeiten.

Aber was ist das Richtige?

Welche Entscheidung führt zu einem guten Ergebnis? Was muss getan werden, um Leid zu minimieren?

Diejenigen, die jetzt viel Verantwortung für andere Menschen haben, sind nicht zu beneiden.

Da habe ich großen Respekt vor.

Auf der anderen Seite treffen wir auch als Familienväter und –mütter, als Partner, Freunde oder Verwandte jeden Tag im eigenen Umfeld Entscheidungen, die richtig oder falsch sein können. Erst im Nachhinein zeigt sich, was als gut oder falsch bewertet wird.

In dieser Woche begegnete mir auf dem Weg zur Predigt ein Zitat des Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard.

„Verstehen kann man das Leben rückwärts; leben muss man es aber vorwärts.“

So werden wir auch erst in der Zukunft verstehen können, welche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Coronakrise richtig gewesen sind. Das heißt aber nicht, jede Entscheidung heute gleich bewerten zu müssen. Manchmal tut es einfach gut, sich darauf einzulassen und darauf zu vertrauen, dass sie sich als richtig erweist und dadurch das Leben vorwärts leben.Um richtige oder falsche Entscheidungen geht es auch in unserem Predigttext von der Salbung Jesu in Bethanien. Wir hörten sie eben.

Für die Frau hebelt die Zeit mit Jesus Christus alles Normale aus.

Männer, die nicht auszuhalten vermochten, dass Jesus vielleicht auch die Liebe mit einer Frau teilte, machten später aus der „namenlosen Frau“ im Markusevangelium die büßende Sünderin.

Alles, was sie hat, legt sie Jesus zu Füßen.

Ihre Liebe verdichtet sich im kleinen Alabastergefäß.

Wie das Nardenöl seinen Duft entfaltet, entfaltet sich ihre Liebe zu Jesus während sie ihn salbt. Und sie erkennt darin, dass der Moment so unendlich kostbar ist, weil Christus sterben wird.

So viel kostbare Zuwendung kann für Nebenstehende verstörend sein.

Deshalb der Einspruch: Wie kannst du es wagen so viel Geld auszugeben?

Man hätte es für Arme ausgeben können.

Ja, hätte man. Und es wird auch wieder geschehen, gibt Jesus selbst als Antwort

(Vers 7). Hinter dem Einspruch steckt noch ein Zweites: Der Versuch, Nächstenliebe zu ökonomisieren und in eine Zahl zu fassen – 300 Denare, ein Jahresgehalt.

Manchmal gebietet es der Moment, dass wir die verschwenderische Zuwendung gegen jegliche Berechnung einfach geben. Auch dafür steht der heutige Predigttext. Die Herausforderung für uns sehe ich darin, alles einordnen zu können – geschenkte und verschenkte Zuwendung ebenso wie mein eigenes Verhältnis zu Jesus Christus und dessen Liebe, die immer herausfordernd ist.Martin Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ feiert in diesem Jahr einen runden Geburtstag. 1520 schreibt Luther über das Verhältnis von Christsein, Freiheit und Nächstenliebe:

„Ei, so will ich solchem Vater, der mich mit seinen überschwänglichen Gütern also überschüttet hat, wiederum frei, fröhlich und umsonst tun, was ihm wohlgefällt, und meinem Nächsten auch ein Christ werden, wie Christus mir geworden ist.“(Martin Luther: Von der Freiheit eines Christenmenschen)Die Frau aus der Salbungsgeschichte wird uns zum Symbol für gelebte Nächstenliebe. Nicht, weil sie ein Jahresgehalt für Arme spendet, sondern weil sie ihr eigenes Vermögen voll und ganz für Christus einsetzt. In diesem Moment wird sie ihm selber zum Christus. Deshalb gerät sie nicht in Vergessenheit (Mk 14,9). Sie erkennt den Moment und handelt aus Liebe, ohne danach zu fragen, ob das jetzt sinnvoll ist oder sich rechnet.

In jeder Krise verstecken sich auch Chancen zur Veränderung. Mögen wir sie sehen. Vielleicht könnte die breite Entdeckung der Nächstenliebe sich als solche Chance entpuppen. Erste Anzeichen dafür lassen sich finden und geben Hoffnung. Aus anonymisierter Nachbarschaft wird plötzlich ein Nächster, dem durch Einkaufshilfen der Alltag erleichtert wird.Auf einmal ist Zeit vorhanden, um durch ein Telefonat zu trösten.

Wir laden gleich zum Mitsingen des Passionsliedes Nr. 82 aus dem Evangelischen Gesangbuch ein. Die siebte Strophe verleiht der Nächstenliebe eine Stimme und lädt ein, ihr zu folgen.

„Lass mich an andern üben, was du an mir getan; und meinen Nächsten lieben, gern dienen jedermann, ohn Eigennutz und Heuchelschein, und, wie du mir erwiesen, aus reiner Lieb allein.“

Liebe ist immer unvernünftig. Und dort, wo sie mit Geld berechnet und in Zahlen gefasst werden soll, stirbt sie.

Für die Nächstenliebe gilt das erst recht.

Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark
hundertmark@thomaskirche.org