Predigt über Markus 2,23-28

  • 25.10.2020 , 20. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Liebe Jubelkonfirmanden,

dieses Jahr ist ein ganz besonderes Jahr. Die Konfirmation musste verschoben werden, auch die Jubelkonfirmation. Während die junge Generation im Sommer feiern konnte, sitzen wir heute hier in der Thomaskirche, um an Ihr Jubiläum zu denken. Auf das Feiern und große, fröhliche Beisammensein müssen wir leider verzichten. Aber nicht auf die Erinnerung an Ihr Credo vor 25, 50 oder mehr Jahren. „Ich glaube“ – sprechen alle Konfirmanden gemeinsam, um zu besiegeln, was in der Taufe stellvertretend von Eltern und Paten bekannt wird. Ich glaube an Gott, den Vater, ich glaube an Jesus Christus und ich glaube an den Heiligen Geist. Mit der Anzahl der Lebensjahre und damit verbundener Lebenserfahrung ändert sich oft der persönliche Zugang zu diesem Bekenntnis. Gott rückt in weite Ferne oder ist in Jesus Christus besonders nah. Der Unsichtbare wird in der Rückschau auf Lebensereignisse sichtbar als treuer Freund und Wegbegleiter.

Am heutigen Sonntagmorgen versichern wir uns der Gemeinschaft mit Jesus Christus und erbitten Gottes Segen für Sie als Dank für Bewahrung und Wegzehrung für die kommende Zeit.

Vielleicht erinnern Sie sich, liebe Jubelkonfirmanden, noch an Ihre erste Abendmahlsfeier hier in der Thomaskirche. Der gedeckte Tisch mit Brot und Wein. Alles ist festlich geschmückt.

Stellen wir uns vor, es gesellt sich ein Unbekannter in den Gottesdienst genau in die Runde, die zum Abendmahl geht. Er lässt sich einladen an den Altar. Und nachdem er die Oblate empfangen hat, hungrig wie er ist, greift er beherzt zu in das Schälchen und stopft sich eine Handvoll Oblaten in den Mund, um den Hunger zu stillen.

Oh, was für ein Aufschrei würde das geben! Entsetzen würde sich breit machen ob dieser Provokation.

Jesus geht mit seinen Jüngern durchs Land. Es ist Erntezeit. Die Felder sind reif. Sonnendurchflutet wiegt sich das Korn im Wind. Die Jünger streifen durch die Felder. Die Hände berühren die Ähren. Es kitzelt ein wenig an der Handfläche. Ein schönes Gefühl. Und dann werden ein paar Ähren herausgerissen. Zwischen den Handflächen das Korn zerrieben. Ein wunderbarer Duft steigt in die Nase. Das macht Appetit auf frisches Korn. Und so essen sie, was rein zufällig auf dem Weg durch die Felder ihnen in die Hände fiel.

Nein! – Das darf nicht sein. Das ist Arbeit. Der heilige Sabbat wird gestört. Aus einer Belanglosigkeit wird ein Streitgespräch. Vielmehr noch – ein grundsätzliches Streitgespräch, welches die Pharisäer anzetteln. Und Jesus steigt mit ganzer Wucht in diesen Streit ein.

23 Und es begab sich, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. 24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? 25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, da er Mangel hatte und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: 26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? 27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.

Die kleine Erzählung vom Ährenraufen am Sabbat aus dem Markusevangelium ist für die heutige Predigt bestimmt. Ich möchte mich aus zwei unterschiedlichen Richtungen dieser Erzählung nähern.

1.) Den Hunger stillen

Matthäus, der Evangelistenkollege des Markus, legt darauf großen Wert. Die Jünger handeln hier gewissermaßen aus reiner Not. Markus erwähnt es nur kurz, nicht so intensiv. Auch wenn es einleuchtet, dass jemand, bevor er unter Hunger leidet, Gebote verletzt, kann es befremdlich wirken. Ich erinnere nur an die fiktive Situation am Abendmahlstisch.

Wenn Menschen in höchster Not sind, und dazu zählt auch der Hunger, dann ist es doch ein Gebot der Menschlichkeit, zu helfen.

Wenn Menschen zu ertrinken drohen, stellt sich doch nicht wirklich die Frage, ob ich ihnen helfen soll?

Rechtfertigt aber die Not jede Gesetzesübertretung? Wo bleibt da das Verlässliche? Wenn die Geländer am Wegrand morsch werden, stürzen die Wanderer auf dem Lebensweg schnell in den Abgrund.

Wir brauchen verlässliche Strukturen, um Lebensmöglichkeiten entfalten zu können. Leben wird gelingen, wo ich mir sicher sein kann, dass es besonders geschützt wird. So vermag es der Mensch, angstfrei, was nicht heißt sorgenfrei, aber grundsätzlich angstfrei den Tag zu gestalten – für sich und für seine Mitmenschen.

Den Hunger zu stillen, ist ein elementares Bedürfnis des Menschen. Dazu zählt auch der Hunger nach Gemeinschaft, Begegnung, Liebe, Kultur oder Freiheit.

Wir erleben, wie sich die Ausbreitung des Coronavirus anders entwickelt als von vielen gehofft. Die Krise ist noch nicht vorbei, sondern verschärft sich. Damit tauchen auch die Fragen nach dem Umgang damit auf. Wo muss geholfen werden? Wie kann Hilfe schnell dort ankommen, wo sie wirklich nötig ist? Es kommt das Gefühl auf, dass wir hier noch nicht optimal handeln, gerade und besonders, wenn der Blick auf Kulturschaffende gerichtet wird.

Jesu Plädoyer ist ein Plädoyer für das Leben und die sich im Nächsten begrenzende Freiheit.

Von daher passt der heutige Text auch gut in die neu beginnende Woche, die mit dem Reformationsfest am kommenden Samstag abschließt. Von der Freiheit eines Christenmenschen wird Luther fünfzehnhundert Jahre später schreiben. Jene Freiheit lässt Jesus Christus in dieser kleinen Erzählung durchscheinen und macht sie an seiner Person fest. Wo der Mensch als Nächster aus dem Blick gerät, wo seine Nöte sich höheren Gesetzen unterordnen sollen, braucht es den befreienden Satz Jesu „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“

Das, liebe Gemeinde, heißt ja nicht, dass der Sabbat keine Bedeutung hätte. Ganz im Gegenteil. Wir brauchen die uns schöpfungsmäßig zugedachten Ruhephasen, um Mensch und damit auch menschlich zu bleiben. Aber es bedarf des rechten Maßes und vor allen Dingen bedarf es der richtigen Einordnung.

2.) Der Mensch ist nicht um des Sabbats Willen gemacht

Jesus knüpft an das Beispiel Davids an, um die Argumentationskette der Pharisäer zu durchbrechen. David handelt als künftiger König als ein von Gott auserwählter Mensch. Jesus als neuer König David und Gottessohn steht in genau dieser Linie.

Mit seinem Eintreten für Menschlichkeit und konsequente Nächstenliebe macht Jesus Christus deutlich: Überprüft das, was euch überliefert ist und nehmt die Liebe zum Maßstab für euer gemeinsames Zusammenleben. Das war und ist revolutionär, stellt es doch gewohnte Autoritäten infrage. Deshalb eckt Jesus an. Deshalb werden auch immer Menschen anecken, die sich mit aller Kraft für den gebotenen Blick für die Schwachen einsetzen.   

In Hermann Hesses Erzählung „Narziß und Goldmund“ findet ein Gespräch zwischen dem Abt Narziß und seinem Schüler Goldmund statt. Letzterer leidet unter großen Schuldgefühlen und ringt mit sich, mit der Welt und mit Gott um den Weg seines Lebens. „Die Liebe zu Gott – und Narziß sagt diese Worte nachdenklich und langsam – die Liebe zu Gott ist nicht immer eins mit der Liebe zum Guten. Ach, wenn es so einfach wäre! Was gut ist, wissen wir, es steht in den Geboten. Aber Gott ist nicht nur in den Geboten, sie sind nur der kleinste Teil von ihm. Du kannst bei den Geboten stehen und kannst weit von Gott weg sein.“

Es kann sein, dass das eigene Leben nach Gottes Geboten geführt wird, dass alles genormt und nach Maß ist, aber letztlich sich der so lebende Mensch nicht mehr als einzigartiges Ebenbild Gottes versteht, sondern nur als Abziehbild seiner eigentlichen Berufung und Begabung lebt.

Jesus Christus möchte uns erinnern, dass der Sabbat ein Geschenk für die Menschen ist. An diesem Tag darf niemand hungern. An diesem freien Tag dürfen wir uns unserer Beziehungen zueinander und zu Gott vergewissern. Dafür braucht es Rituale und besonderen Schutz.

Zur leidvollen Geschichte der Religionen zählt leider auch, dass sie mit der Angst und mit Zwang jahrhundertelang Geschäfte machten und manchmal auch noch machen, um gewisse Macht zu bewahren.

Auch hier tritt Jesus Christus entgegen.

Lebt menschlich, getragen von der göttlichen Liebe, die jeder und jedem von euch eingepflanzt ist, weil ihr sein Ebenbild seid. Daran sich zu erinnern tut gut und ist notwendig – mindestens einmal die Woche. Dafür gibt es den besonderen Tag. Als Ruhetag ist er zugleich der Werktag für Menschlichkeit und Liebe. Amen.