Predigt über Markus 8,31-38

  • 27.02.2022 , Sonntag vor der Passionszeit - Estomihi
  • Superintendent Sebastian Feydt

Predigt So Estomihi – 27.02.2022, St. Thomas

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und

die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.

 

Hören wir Worte aus dem Markusevangelium:

Jesus fing an, die Jünger zu lehren:

Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen aufstehen.

 

Und Petrus nahm Jesus und fing an, ihn zu wehren. Er aber wandte sich um,

sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich du Satan!

Denn du meinst nicht, was göttlich,

sondern was menschlich ist.

 

Und er rief zu sich das Volk, samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

 

Liebe Gemeinde,

in keine Religion der Welt stehen die Opfer menschlicher Gewalt so im Mittelpunkt, wie im Christentum. Das Kreuz, das Zeichen der Christenheit, stellt uns den um sein Leben gebrachten Juden Jesus von Nazareth vor Augen. Bis heute ist das ein zentrales Moment unseres Glaubens.

 

Bis heute eröffnet uns dieser Blick auf das Kreuz den Raum, um das Ausmaß menschlicher Gewalttätigkeit wahrnehmen, beim Namen nennen und dagegen angehen zu können.

 

Unsere Geschichte durchzieht ein blutroter Faden von mörderischer, brutaler Gewalt:

Von Kain über Mose bis hin zu andere biblischen Gestalten. Durch Vertreibungen und Landnahmen, durch Kreuzzüge und Kriege, durch Völkermorde bis in unsere Zeit.

 

Seit drei Tagen werden wir Zeugen eines für viele unvorstellbaren Angriffskrieges des russischen Militärs auf die Ukraine.

 

Wer gemeint hatte, durch die Aufklärung sei der Mensch vernünftig, seiner Vernunft würdig geworden, den hat bereits das 20. Jahrhundert eines anderen belehrt.

 

Und wer dann unter uns gehofft hatte, nach diesem totalen Tiefpunkt des ausgelebten Bösen, das in Menschen existiert, gäbe es eine gemeinsame, europa- und weltweit gelernte Achtsamkeit füreinander und Sicherheitsgarantien für Menschen und Völker, der findet sich seit letztem Donnerstag in einer wirklich grundlegend veränderten Welt wieder.

 

Wir sind ihn offensichtlich immer noch nicht los, diesen verfluchten Zusammenhang von Konkurrenz und Rivalität mit der Gewalttätigkeit und dem Krieg.

 

Das Böse, zu dem Menschen fähig sind,

das Unvorstellbare, was Menschen Menschen antun können, zeigt sich mit ganzer Macht. ---

 

Und es lässt mich so hilflos und so ohnmächtig zurück. Dieses Empfinden treibt mich in den letzten Tagen und Stunden besonders um.

Wie gelähmt zu sein. Fassungslos auf die Bilder und Berichte zu schauen. Zu erfahren, wie nur einige  hunderte Kilometer von uns entfernt, Menschen um ihr Leben bangen, sich auf die Flucht begeben und Gefahr laufen, umgebracht zu werden.  

 

Und natürlich stellt sich die Frage nach Gott und nach unsrer Vorstellung von Gott in einer solchen lebensbedrohlichen Situation.

Sind wir Menschen auf Gott angewiesen, um mit dem Bösen, das wir erleben, umgehen zu können und möglichst fertig zu werden?

Und wie ist Gott, wie geht Gott damit um?

Die Worte aus dem Markusevangelium eröffnen  eine Orientierung.

Ganz offen und ohne jegliche  Beschönigung sprechen sie von der mörderischen Gewalt, die einem Menschen widerfahren kann.

Jesus selbst spricht von der Gewalttätigkeit unter Menschen. Er lehrt – so sagt es Markus – seine Jünger mit diesen Worten. 

Das ist nichts, was schon vorausgesetzt werden kann. Dass Menschen Menschen nach dem Leben trachten, dass der Hass so überhand nimmt, dass sie die Hand gegen andere erheben,   morden, dass man einander so viel Leid zufügt, und Verwerfungen auslöst – all das muss auch  den Jüngern erst vor Augen geführt werden.

 

Eine schmerzliche Lektion ist das.

Furchtbar. Es ist nichts, was man hören will.

Schon gar nicht, wenn sich hinter diesem unverstellten Blick auf das Böse und die brutale Gewalt auch noch verbirgt, dass Gott nicht außen vor ist, sondern mitten drin.

 

Das ist anstößig.

 

So anstößig, dass Petrus Jesus beiseite nimmt, um ihm verstehen zu geben: So geht es nicht.

So darfst du nicht reden.

Denn das, was du sagst, stimmt nicht mit dem überein, was wir von von Gott erwarten.

Das entspricht nicht unserer Vorstellung von Gott. So kann es  nicht sein: dass wir Gott gerade im Leiden – im Sterben – im Krieg – bei den Opfern menschlicher Niedertracht finden….

 

Liebe Gemeinde, es ist allzu menschlich, so zu denken. Wir sind  auch nicht frei davon.

 

Und gerade deshalb ist es so stark,

eine andere Sicht vermittelt zu bekommen.

Die Sicht Gottes vermittelt zu erhalten.

Das Unvorstellbare, das Schockierende, das Brutale im Leben mit den Augen und damit mit dem Anliegen  Gottes zu sehen.

 

Jesus wendet sich dazu selbst um, sieht seine Jünger an - spricht dabei aber zu Petrus:

Geh. Geh hinter mich.

Ändere deinen Standpunkt. Deine Sicht.

Stell dich hinter mich!

Das ist die Aufforderung: Jesus nachzugehen.

Es  ist die Aufforderung zur Nachfolge.

 

Liebe Gemeinde,

dort, wo das Leiden und Sterben, wo die dunkelsten Seiten des Lebens angesprochen werden, gerade dort wird bis heute der Ruf in die  Nachfolge öffentlich laut und vernehmbar.

 

Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

 

Wer sich darauf einlässt, den Spuren Jesu zu folgen, braucht Kraft und Mut, Beistand und vor allem die Fähigkeit, von sich selbst absehen zu können. Das ist mit Selbstverleugnung gemeint:

Nicht zuerst sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, nicht zuerst die eigenen Interessen und Wünsche voran zu stellen, sondern seinen Platz in der Gemeinschaft von Menschen zu suchen.

Zu fragen, was andere jetzt gerade brauchen,

die eigenen aktuellen Lebensziele an den gegenwärtigen Bedürfnissen anderer auszurichten - das sind Haltungen, die Jesus vorgelebt hat.

 

Diesen Spuren zu folgen, Jesus nachzufolgen bedeutet auch, sich an dieser Art Umgang der Menschen miteinander zu orientieren.

 

Nachfolge heißt heute ebenso,

- der verhängnisvollen Beliebigkeit

- der ethischen Verflachung,

- dem Desinteresse an anderen

eine andere eigene Haltung entgegen zu setzen.

 

Nicht nur mit Worten, sondern mit einem Verhalten, das Ausstrahlung hat.

 

Sich aufzuraffen. Loszugehen.

Die Unterstützungsaktionen in Leipzig nicht nur den Jüngeren zu überlassen, sondern selbst wieder einmal aktiv zu werden.

Es gibt viele Briefkästen in Leipzig, die dürfen in den nächsten Tagen überquillen: entweder mit Protestbriefen oder mit Sympathieschreiben, je nach Adressat.

 

Wenn es gelingt,  einer Haltung des Mitgefühls und der Anteilnahme zu mehr gesellschaftlicher Anerkennung zu verhelfen, wenn es gelingt, der Ausrichtung unserer Lebensziele auf immer größeren Wohlstand und stetiges Wachstum begründet und überzeugend mit Alternativen zu begegnen, dann hat der Ruf in die Nachfolge Jesu Resonanz gezeigt.

 

Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft,

etwas auf sich zu nehmen. Sein Kreuz zu tragen.

Schweres anzunehmen und zu tragen,

den Misserfolg auszuhalten. Die kommenden Monate und Jahre werden uns vermutlich vieles abverlangen, was uns heute als schwer zu tragen erscheint.

 

Sein Kreuz auf sich zu nehmen, meint, Schwierigkeiten einzukalkulieren und mit ihnen umgehen zu lernen, mit der Tatsache leben zu lernen, dass einen nicht alle lieben.

 

Aber gerade zu diesem Weg ermutigt Jesus.

Sein ganzes Wirken zielt darauf ab, Menschen von der Richtigkeit dieses Weges zu überzeugen,

- um der Bosheit zu widerstehen,

- um der Hoffnungslosigkeit zu widerstehen,

- um dem Leben Würde zu geben.

 

Würde ist und bleibt kein Konjunktiv.

Würde ist uns von Gott gegeben.

Einem jeden und einer jeden von uns.

 

Um der Gewalt und dem Bösen begegnen zu können. Und dabei mit göttlicher Kraft menschlich zu bleiben. Mensch zu sein. Amen

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen