Predigt über Matthäus 12,38-42

  • 12.03.2017 , 2. Sonntag der Passionszeit - Reminiszere
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt am Sonntag Reminiscere, 12. März 2017

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
ich lese den Predigttext für den heutigen Sonntag Reminiscere aus dem Matthäusevangelium im 12. Kapitel:
38 Da antworteten ihm einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollen ein Zeichen von dir sehen. 39 Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert ein Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jona. 40 Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein. 41 Die Leute von Ninive werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona.42 Die Königin vom Süden wird auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.

Es ist schon vor diesem Text schon hoch hergegangen zwischen Jesus und den Pharisäern. Das ganze 12. Kapitel des Matthäus-Evangeliums ist davon bestimmt. Die Pharisäer merken, wozu Jesus in Lage ist: Er kann Menschen für sich einnehmen. Und vor allem: Er kann Menschen, die jegliche Hoffnung verloren haben, ein Zeichen geben. Nichts muss bleiben wie es ist. Das ist die Botschaft, wenn er heilt oder Menschen in seine Nachfolge beruft. So stehen die Pharisäer vor der grundsätzlichen Frage, wie sie mit Jesus weiter verfahren wollen. Ihn irgendwie beseitigen? Oder gucken: Kann man ihn doch für sich gewinnen, wo der Rückhalt in der Bevölkerung schwindet?

Dies ist der Hintergrund, vor dem sich die Bitte der Pharisäer bewegt: Meister, wir wollen ein Zeichen von dir sehen. Sie ist alles andere als von der Sehnsucht nach Erkenntnis geleitet, sondern liegt einzig und allein auf der machtpolitischen Ebene. Das ist wichtig, um die harsche Reaktion Jesu mit dem „bösen" und ehebrecherischen Geschlecht" richtig einzuordnen. Denn wer möchte nicht gern überzeugt sein, wenn er sich für etwas entscheidet oder für jemanden? Der soll ja auch „liefern". Und wir wissen auch von unserer menschlichen Neigung den Betreffenden in diesem Verlangen quasi den Status eines Messias beizumessen - sei es seinerzeit Barack Obama oder in diesen Wochen dem sog. „Messias von Würselen" Martin Schulz. Von der Faszination, die Gestalten wie Trump oder Erdogan bei ihren Anhängern auslösen können, mal ganz abgesehen. Man weiß sehr genau, wie schnell die Erwartungen hier überzogen werden: trotzdem hofft man zumindest auf ein kleines Wunder und je nach charakterlicher Veranlagung inszenieren sich ja die so Gefragten auch gerne als solche Wunderbringer...

Letztlich liegt die Bitte der Pharisäer also auf dieser Ebene: Zeige mal, was du kannst, damit wir sehen können, für was wir Dich halten. Das ist etwas völlig anderes als die klagende Bitte um ein Zeichen eines Menschen, der sich in seinem Glauben quält. Der sich danach sehnt, Gott glauben zu können und es nicht kann. Sie sind ganz sicher nicht gemeint, wenn Jesus hier vom „bösen und ungläubigen Geschlecht spricht. Es bezieht sich auf diejenigen, die meinen, wesentliche Fragen des Lebens könnten auf dieser machtpolitischen Ebene geklärt werden, wie es die Pharisäer versuchen. Aber dem ist nicht so. Diese Fragen klären sich allein auf der Ebene des Vertrauens und der Beziehung zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und Gott. Gerade in bezug auf letztere zeigen sich die Schriftgelehrten als besonders anmaßend: Denn Sie fordern nicht ein Kunststückchen, sondern ein Zeichen, das nur Gott geben kann: semeion steht hier im griechischen Text. Sie maßen sich also an, es beurteilen und deuten zu können in Verkennung der Tatsache: Zeichen von Gott werden verstanden, das zeigen eigentlich alle biblischen Wunder- und Zeichengeschichten, wo das Volk am Ende staunt und sprachlos ist - um dann aber sogleich wieder in die alte Haltung zurückzufallen, in der es eben nie reicht mit den Zeichen: Kaum ist das eine vorbei, wird schon das Nächste gefordert. Und was bei dieser Anmaßung der Pharisäer die Beziehung von Mensch zu Mensch betrifft, hat es in unserem Bibelkreis letzte Woche jemand auf den Punkt gebracht: Es sei wie in einer Paartherapie, wo der von seinem Partner „Betrogene" sagt: "Du musst mir ein Zeichen geben, dass ich Dir vertrauen kann - obwohl ich es eigentlich gar nicht will."

Vielen Dank für diesen Hinweis, lieber Wolfgang, genau das ist es nämlich. Zu sagen: Es liegt an Dir und nicht an mir, ob ich vertrauen kann - das macht jedes Vertrauensverhältnis unmöglich. Und deshalb bezeichnet Jesus die Schriftgelehrten und Pharisäer hier als „ehebrecherisches Geschlecht". Denn sie verlassen an dieser Stelle mit ihrer Haltung den Bund, den Gott mit den Menschen geschlossen hat. Und der basiert auf Vertrauen. Die Heftigkeit, mit der Jesus uns hier begegnet, ist wie so oft bei ihm nichts anderes als Klarheit - um die Ebene zu klären, auf der seine Zeichen, Heilungen, Wunder allein verstanden werden können. Nicht die Wunderkraft an sich steht im Zentrum - sondern ihr Anlass: dass Menschen, die ganz unten sind, das Vertrauen in sich, in ihr Leben und auch in Gott wiedergewinnen können. Dass jemand zu begreifen beginnt: Die Dinge können sich ändern, was jetzt ist, ist nicht alles und muss auch nicht so bleiben.

Deshalb auch das Zeichen des Jona. Und zwar sowohl das Zeichen, das Jona selbst widerfahren ist als auch das, wofür es in Bezug auf Jesus steht: auf sein Sterben und Auferstehen. Bewusst bedient Matthäus sich hier der schillernden Mehrdeutigkeit von genetivus objectivus und subjectivus. In beidem geht es um das Zeichen, das ganz und gar auf der Beziehungs-bzw. Vertrauensebene liegt. Und da ist das, was von Jona erzählt wird, schon für sich genommen von Bedeutung. Ich denke, viele kennen Jonas Geschichte zumindest so ungefähr. Als Prophet bekommt er den Auftrag, die machtpolitisch aufstrebende Metropole Ninive zu warnen - auch ein „böses und ehebrecherisches Geschlecht": Jona soll die Stadt vor dem Gericht warnen bzw. noch mehr: Er soll ihr den Untergang ankündigen. Aber jeder weiß: Dem Überbringer der Wahrheit in Form schlechter Nachrichten ergeht es in der Regel schlecht. Deshalb macht er sich in die entgegengesetzte Richtung auf nach Tarsis: „weit weg vom Herrn" (Zitat aus dem Jonabuch). Während Jona schläft gerät das Schiff in Not. Die Besatzung weiß, das überliest man schnell, dass Jona auf der Flucht vor seinem Auftrag ist. Dennoch geben sie ihm Zeit zu erkennen: „Oh, ich bin hier das Problem, werft mich raus." Hier dämmert Jona schon etwas. Er beginnt, die Ebene zu verlassen, auf der man taktiert und Sicherheiten abwägt (und auf der sich in unserer Geschichte die Schriftgelehrten und Pharisäer bewegen). Aber um es wirklich begreifen zu können, schenkt Gott ihm noch mehr Zeit abseits jeglicher Oberflächlichkeit. Jona wird sprichwörtlich verschluckt - von einem Wal. Und sitzt nun dort in der Dunkelheit, in einem kalten schleimig-ekligem Umfeld, in dem sich eigentlich alle theoretischen Fragen des Lebens erledigt haben. Und wo man schlicht nicht mehr weglaufen kann vor sich selbst.

Ich habe immer noch deutlich im Ohr, dass ein von mir im Studium sehr geschätzter Professor kurz vor seinem qualvollen Tod gesagt hat: „Was sagt mir jetzt meine ganze Theologie - ich kann sie mir vor's Knie nageln." Bitterer kann‘s eigentlich kaum werden, wenn man aus diesem Loch nicht mehr herauskommt. Damit aber muss auch Jona rechnen -wie jeder, der sich mehr oder weniger plötzlich in einem zutiefst lebensfeindlichen Umfeld widerfindet. Was anderes bleibt einem da als der Schrei aus dem Rachen des Todes, die Bitte um Hilfe aus dem Verderben - und nicht zuletzt die inständige Bitte um ein Zeichen - um ein Zeichen, dass Gott die Beziehung zu uns nicht abgebrochen hat? All das findet sich in Jonas Worten aus dem Wal wieder(Jona 2): Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst und er antwortetet mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes und du hörtest meine Stimme... ich sank hinunter zu der Berge Gründen... aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt...

Jona wird am Tiefpunkt seines Lebens aus der eklig-schleimigen Dunkelheit wieder ausgespien an Land. Plötzlich hat er wieder festen Boden unter den Füßen und den Mut, seinem eigentlich hoffnungslosen Auftrag wieder zu folgen: Menschen zu erreichen, die als unbelehrbar gelten. Und siehe da, sie verändern sich. Offensichtlich hat das, was Jona verändert hat, auch Auswirkungen auf seine Predigt. Die Leute lassen sich von ihr verändern - und tun Buße. Damit rundet sich das Zeichen des Jona: Es ist möglich dass Menschen aus der Tiefe ihres Lebens wieder herausgerissen werden können, dass sie aufgebaut und aufgerichtet zu den Schritten befähigt werden, die zu tun sind, auch wenn es dabei unbequem werden sollte.

Nun ist aber ist auch bei Jona sichtbar, was wir von uns selbst lang und schlapp genug kennen: Das lässt auch wieder nach mit dem Gefühl, ich habe es mit dem Glauben es verstanden und begriffen, ich habe es jetzt in der Tasche, endlich. Immer wieder erwacht in einem das pharisäerhafte Bedürfnis nach Zeichen wenn etwas nicht nach meinem Gusto geht. So wartet Jona hoch über Ninive auf dessen Untergang. Und beklagt sich bitter bei Gott, dass der ihn in der Hitze nicht nur warten lässt, sondern auch noch die Staude absterben lässt, die ihm Schatten gibt. Und fängt an, sich in seinem Selbstmitleid über Gottes Gnade und Mitgefühl mit den Menschen von Ninive zu erheben: dass es ungerecht sei, dass Gott seine Ankündigung der Zerstörung nicht wahr mache. Schon wieder ist er auf der Ebene der Pharisäer und Schriftgelehrten angelangt. Mal sehen, was Du machst, damit ich gucken kann, ob Du mein Gott bist... So ist es immer wieder mit uns - auch das ein Zeichen des Jona? Aber trotzdem gilt: Auch aus Typen wie Jona kann ein mutiger Überbringer von Gottes Botschaft werden. Oder aus den hochmütigen Bewohnern Ninives Menschen, die umkehren.

An Jona, der sich über Gottes Mitgefühl und Gnade beklagt, die er selbst gerade erfahren hat - aber die er nun anderen nicht gönnt, sehen wir gut: Die Wende weg von dem, was sich für uns schnell zu Todesmächten entwickeln kann - unser Hang zur Berechnung, zum Klammern an vermeintlichen Sicherheiten, zum Taktieren - diese Wende können wir weder selbst herbeiführen noch vollenden. Wir können sie nur in ihren Anfängen wahrnehmen. Immer wieder werden auch wir wie Jona einzugestehen haben: Wir tun längst nicht immer, was wir sollten - obwohl wir genau wissen, was wir eigentlich tun sollten. Deshalb spricht Jesus vom Zeichen des Jona als einem Zeichen, das zugleich größer ist als dieses: Er selbst begibt sich in das dunkle, unangenehme Milieu der Tiefe, wo es eigentlich keine Hoffnung und keine Zukunft mehr gibt. Er selbst wird aus ihr aufsteigen und neu herauskommen. Aber diesmal wird die Verwandlung ganz und gar sein und es wird keinen „Rückfall" geben wie bei Jona. Nach drei Tagen wird er das Herz der Erde wieder verlassen. Nach drei Tagen wie bei Jona. Drei ist keineswegs nur biblische Zahl für das völlig Neue: für die vollkommen neue Art und Weise des Seins und Denkens. Aller guten Dinge sind drei - so kennen wir es aus den Märchen. Da ist es fast immer der Dritte, der den neuen, unkonventionellen Weg entdeckt. Nicht mit Zauberkraft, sondern schlicht mit Verstand. Und die Hoffnung auch in den größten Schwierigkeiten nicht aufgibt. Im Märchen macht dies die Betreffenden am Ende reich. Sie bekommen einen großen Schatz. Wo vorher Stroh war, ist am Ende tatsächlich Gold. Oder sie erfahren, wie großartig es ist, einfach nur frei zu sein...

So ist es auch mit dem Zeichen des Menschensohns, dem grundlegenden Zeichen des christlichen Glaubens, zu dem wir uns jeden Sonntag bekennen: „hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten". Von diesem Zeichen her können wir alle Hoffnung beziehen für unser Leben, denn hier ist mehr als Jona. Wesentlich mehr - denn es wird sich auch an uns vollziehen, so, wie es sich an Jesus vollzogen hat. Und das darf uns genügen, welch größeres Zeichen könnten wir uns wünschen...

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org