Predigt über Matthäus 21,28-31

Die Predigt wurde am 27. August im Gottesdienst in der Marktkirche Hannover gehalten.

  • 27.08.2017 , 11. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt über Matthäus 21,28-32 am 11. So. n. Trinitatis, 27. August 2017 (Marktkirche Hannover)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Sohn Jesus Christus. Amen.

28 Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. 29 Er antwortete aber und sprach: Ich will nicht. Danach aber reute es ihn, und er ging hin. 30 Und der Vater ging zum andern Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr!, und ging nicht hin. 31 Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Sie sprachen: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. 32 Denn Johannes kam zu euch und wies euch den Weg der Gerechtigkeit, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr's saht, reute es euch nicht, sodass ihr ihm danach geglaubt hättet.


Liebe Gemeinde,
„Eigentlich zählt am Ende zählt nur, was auch am Ende rauskommt", bei diesem Satz ist man schnell dabei zu sagen: Stimmt. Die Tat zählt, was soll das lange Reden und Lamentieren: Ergebnisse wollen wir sehen! Ich jedenfalls gehöre zu den Menschen, die dazu neigen dazu schnell - und manchmal leider viel zu schnell - zustimmen. Vielleicht sind sie auch so gestrickt, die Hohenpriester und Ältesten, mit denen Jesus sich hier im Tempel auseinandersetzt. Denn nachdem sie vorher sich lange beraten mussten, wie sie mit den Fragen von Jesus umgehen sollen, sind sie diesmal sehr schnell mit ihrer Antwort: Natürlich hat der Sohn, der am Ende dann doch in den Weinberg geht, den Willen Gottes erfüllt. Und nicht der andere mit seinem „Ja, ja, mache ich schon - vielleicht irgendwann mal".

Aber wie ist es denn nun, geht's hier darum? Nun, ich denke, nur dafür bräuchte es kein solch feinsinniges Gleichnis. Feinsinnig, weil der Neinsager am Anfang steht. Das ist in den Evangelien ungewöhnlich, da also scheint das Gewicht zu liegen. In unserem Leipziger Predigtgesprächskreis hat sich dann auch gleich jemand zu Wort gemeldet, der immer mit einer anderen Übersetzung arbeitet: Da haben die Herausgeber das offensichtlich nicht ausgehalten und die Geschichte einfach umgedreht. Aber: Auf diesen Neinsager sollen sie kommen als Vorbild, die Hohenpriester und Älteste. Und zwar so schnell, dass sie eines gleich mitbestätigen: sozusagen den Zwischenschritt des Sünders auf dem Weg zur guten Tat. Da steht etwas von Reue. Es geht also eigentlich nicht um das Endergebnis der guten Tat, sondern um die innere Entscheidung dazu und was ihr vorausgeht. Um das, was in Menschen passiert, die es sich anders überlegen und dann doch in den Weinberg gehen. In den Weinberg - nicht irgendwohin. Auch das übersieht man schnell: Bei der Arbeit im Weinberg geht es um die Arbeit für und an der Gemeinschaft - und ob man gemeinsam etwas Vernünftiges ernten, was man dann auch genießen kann. Es geht also auch um die Frage danach, ob ich als Einzelner meine Aufgaben an der Gemeinschaft sehe - und bereit bin, sie wahrzunehmen. Darauf zielt alles Nach- und Umdenken nach dieser Geschichte ab.

Und wenn wir das bedenken, dann sind wir sofort weg vom Jerusalemer Tempel und mitten im Nachdenken über unsere Lage heute: Wie sieht es denn bei uns aus - mit unserer Bereitschaft, uns im Weinberg Gesellschaft einzubringen? Und wo ist da Umkehr gefragt? Und da sind wir im Moment in vielem mitten drin: Wir sind mitten drin im Dieselskandal, bei systematisch organisiertem und abgesprochenem Betrug. Wir sind bei dem Versuch, diesen Betrug mit noch mehr Betrug zu vertuschen, sind mitten drin in dieser Spirale des Verbrechens, in das einige sich da verstrickt haben. Wir sind bei der Überheblichkeit einiger zu glauben, solche Lügengebäude würden niemals zusammenbrechen, wenn man sie denn nur genug stabilisiert. Die Automobilindustrie müsse verlorenes Vertrauen wieder herstellen - sagt die Kanzlerin. Aber wie geht das, ohne dass von Umkehr die Rede ist, ohne grundsätzliche Einsicht, sich in die völlig falsche Richtung verrannt zu haben, ohne echtes Interesse an der Verantwortung für das Ganze und nicht zuletzt auch für das Licht, in das durch sie die gesamte deutsche Unternehmerschaft völlig zu Unrecht gerückt wird. Mit Verlaub: Es stimmt einfach nicht, wenn auch Vertreter unserer Kirche behaupten, den „ehrbaren Kaufmann" gäbe es immer weniger - die Statistik des Bundesinnenministeriums spricht davon, dass etwa 0,1 Prozent der Kriminalitätsrate auf Wirtschaftsstraftaten entfällt. Das sind Fakten, mit denen man umgehen muss, wenn man über Menschen in der Wirtschaft spricht, die gerade als Unternehmer ein wichtiges Rückgrat für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind.

Gerade ist in Bezug auf all das ist gerade ein leidenschaftliches Plädoyer zum Thema Umkehr und Anstand in der ZEIT erschienen. Es analysiert, dass schon seit einer Weile nicht bloß eine Woge der Anstandslosigkeit um die Welt schwappt - sondern ein ganzer Ozean. „Das ist mehr als ein moralisches Problem. Auf dem Spiel steht das Funktionieren unserer Gesellschaft." Und dann folgt ein großer Aufruf zur Umkehr weg von Eigen- hin zu Gemeinsinn, zur durchaus schweißtreibenden aber nur gemeinschaftlich zu leistenden und erfolgversprechenden Arbeit im Weinberg - so wie in unserem Gleichnis. Was einen nicht verwundern mag, beginnt er seine Analyse mit Donald Trump, der ein chronischer Lügner sein mag, entsetzlich selbstbezogen, in alle Richtungen hochgefährlich eskalierend - und dabei nur ein einziges Ziel hat: Sich Gehör zu verschaffen. Die ganze brandgefährliche Nordkorea- und Afghanistanrhetorik und das Gerede von der Mauer zu Mexiko, es hat nur und ausschließlich damit zu tun, es gibt keine politische Strategie. Es ist ein einziges große „Nein" zur Verantwortung für den Weinberg der Welt. Im Großen ist es das, woran wir uns im Kleinen fast schon gewöhnt haben und ich an mir selbst die Tendenz zum Schulterzucken feststelle, wo ich vor zwei Jahren noch die Wände hoch gegangen wäre. All dieser hemmungslose Hass bei Facebook und sonst wo, wo Leute denken, unter dem Stichwort „Meinungsfreiheit" sei schließlich alles erlaubt. Und in der Tat ist sie ja nicht zu übersehen, die Verrohung der Sprache, was einmal allenfalls Bestandteil rechter Rhetorik gewesen ist, findet sich heute durchaus in Zuspitzungen von Vertretern demokratischer Parteien. Und das betrifft dann schon die Haltung, auf die Jesus mit seiner Frage an die Hohenpriester anspielt: Dass Moral - gerade auch religiöse - in vielen Fällen nur dafür herhält, sich selbst zu erhöhen oder sich abzugrenzen. Und - auch das kennen wir aus Bibel und Alltag: Ganz schnell geschieht es, dass Menschen füreinander quasi Konten eröffnen, auf denen aber nicht ihr Guthaben, sondern ihre „Nein" Sage - Punkte gesammelt werden.

Auch das ist eine interessante Beobachtung von Axel Hacke in seinem ZEIT-Artikel: Dass sich kaum so viele Leute echauffieren können wie beim Fall Ulli Hoeness. Dass der nun wieder Präsident bei Bayern ist - da kann man schon in völlig unverständliche Gesichter gucken, wenn man entgegnet: Wieso, der hat seine Strafe gehabt, der hat mal Nein gesagt zum Prinzip „Wer viel hat, muss auch viele Steuern zahlen", aber das ist doch nicht der ganze Mensch... Ja, so ein Gedanken-Konto über andere bei sich selbst zu streichen, es zu löschen, wenn einer, den ich als „Nein" - Sager und „Nein"-Tuer kenne, es sich auf einmal anders überlegt, das ist nicht einfach. Aber auch das gehört zur hohen Form des Anstands - und nur diese Fähigkeit sichert doch letztlich das Zusammenleben unter uns.

Und da sind wir bei den ureigensten Fähigkeiten, die in unserer jüdisch-christlichen Tradition ja von jeher als erstrebenswert betont werden: Person und Tat auseinanderzuhalten. Bedenken zu können: Welche Folgen hat mein Tun für die anderen bzw. für den ganzen Weinberg. Unterscheiden zu können zwischen „legal" und „legitim" - was sollte ich aus persönlichem Empfinden heraus unterlassen auch wenn es legal ist. Es hat alles zu tun mit dem, was die Umkehr des Neinsagers in diesem Gleichnis ermöglicht. Und dazu sagen alle bisherigen Ja-Sager wie die Hohenpriester und Ältesten etwas überrumpelt von Jesus auch Ja - und zwar schneller, als sie es eigentlich begreifen können. Es erschließt sich einfach - auch als Möglichkeit für sie selbst, diese Umkehr der Zöllner und Huren, die Jesus im Blick hat bei der Frage, wie man wieder mittun kann im Weinberg des Herrn bzw. wie sie aus der Vereinzelung ihres Neins wieder zurück kommen können in die Gemeinschaft. Da ist der abseits im Baum hängende Zöllner Zachäus, mit dem niemand mehr verkehrt, weil er ein Halunke ist, der seine Macht ausnutzt. Aber der an nichts anderem als an der Zuwendung und der Tischgemeinschaft Jesu und seiner Jünger erkennt: Ziel und Sinn unseres menschlichen Lebens sind auf Gemeinschaft ausgerichtet! Und der merkt: Jegliches sich bereichern wollen führt zu nichts anderem als in die totale soziale Verarmung. Am Ende zahlt er alles vierfach zurück.

Und vielleicht noch weiter auf dem Weg vom „Nein" zum „Ja" ist die Frau, die als Hure gilt und die Jesus im Haus des Pharisäers begegnet. Letzterer hat offenbar noch nicht mal an das übliche Wasser gedacht, das Gästen zum Waschen zustand. Sie dagegen salbt seine Füße mit Öl und Tränen. „Ihr ist vergeben, weil sie viel Liebe gezeigt hat.", sagt Jesus. Nicht weil sie alles richtig gemacht hat und in ihrem Leben immer nur Ja gesagt hat.

Und nicht zuletzt ist da der Schächer am Kreuz. Erst ganz am Ende seines Lebens erkennt er, dass er nicht nur „Nein" gesagt, sondern auch „Nein" gelebt hat. Aber gerade ihm sagt Jesus: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein." Manche meinen, das wäre zu billig. Das kann doch nicht alles sein! Dass man so leicht davon kommt. Ohne zu bezahlen. Ohne Vorwürfe. Ohne Strafe. Einfach indem man es sich anders überlegt.

Tja. Vielleicht ist das das schwierigste Kapitel lutherischer reformatorischer Theologie: Die Rechtfertigung der Gottlosen. Aber es ist auch das Schönste. Das Evangelium besteht in der Rechtfertigung der Gottlosen - und nicht in der Belohnung der Richtigmacher. Es besteht im „Ja" Gottes zu den Neinsagern. Das ist übrigens etwas, was unser größter unter den Thomaskantoren in Leipzig sehr genau verstanden hat, Johann Sebastian Bach. Etwa dort, wo er ein Motette komponiert, wie die, die wir gleich hören: „Lobet den Herrn alle Heiden". Ja, die Heiden haben allen Grund, Gott zu loben. Denn bei der Arbeit im Weinberg geht es um so viel mehr als um richtig oder falsch oder um Jude, Christ, Muslim oder was noch. Es geht um Barmherzigkeit, um Zuwendung, um Anstand und Achtung des anderen. Das Wachsen, Gedeihen und auch schon das bloße Überleben des Weinbergs hängt davon ab, ob wir begreifen: Wir können nur im Zusammenleben mit den anderen existieren. Wo wir uns zurückziehen in die Sicherheit der eigenen sozialen oder religiösen Gruppe, da sind wir ein bisschen so wie die Hohenpriester und Ältesten im Tempel, die sich auf ihren Stand schon etwas einbilden. Jesus fordert sie und uns auf, das kritisch zu hinterfragen. Was meint ihr?

Ja, so frei sind wir, diese Frage für uns selbst und offen zu beantworten und dabei das wunderbare Gleichnis in seiner Tiefe zu verstehen. Gott rechnet mir mein „Nein" nicht vor. Ich bin frei in und zur Umkehr. Darum geht es Luther, wenn er seine 95 Thesen mit dem Gedanken beginnt: Wenn wir nicht immer wieder mit uns selbst anfangen, immer wieder mit diesem Anfang unserer Umkehr, dann können wir auch alles andere vergessen mit der Reformation unserer Kirche und unserer Gesellschaft. Weil Gott im Gegensatz zu uns Menschen keine nachtragenden „Nein-Konten" über unser Leben anlegt, ist es möglich, umzukehren. Umkehr heißt: Gott lässt zu, dass ich es mir anders überlege. Auch davon lässt Bach in seiner Motette singen: „Denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns" - sie waltet über Nein- und Jasager. Bach veranlasst das zu dem Halleluja, in das am Ende alle einstimmen. Selbst diejenigen, die es im Knabenchor Hannover nun ganz gewiss nicht gibt: die Falsch-Sänger. Aber auch die kämen hier gnädig wieder hinein in die Musik, weil alles in dieser Motette darauf zuläuft: auf ein geordnetes Miteinander, wie es sich für eine Fuge wie auch für einen Weinberg gehört und wo jede Stimme am Ende zählt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org