Predigt über Matthäus 25,14-30

  • 14.08.2022 , 9. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Predigt 9. So.n.Tr. - St. Thomas Früh- und Abendgottesdienst 14.8.2022

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

Lasst uns in diesem Moment der Stille uns Gott zuwenden.

 

Matthäus hatte sein Evangelium gut durchgeplant. Dem Regiekonzept seines Skripts folgend, war er Jesus den gesamten Weg durch Galiläa gefolgt. Besondere Sorgfalt hatte er darauf verwendet, die Reden Jesu, die den Fortgang der Handlung unterstützen, wiederzugeben. Matthäus war nun schon bis fast nach Jerusalem gelangt. Beim Schreiben seiner Schriftrolle standen ihm nur noch die Abschnitte mit Jesu Leiden, Sterben und Tod und schließlich seiner Auferstehung bevor. Alles keine leichten Gegenstände.

Doch bevor er sich daran machte, diese letzten biografischen Stationen aus dem Leben des Jesus von Nazareth niederzuschreiben, stockte er. Irgendetwas fehlte noch; Matthäus hatte den Eindruck, dass er sich noch einmal mit allem Ernst und mit sozusagen bleierner Schwere an die Gemeinde wenden müsse. Denn die junge jesuanische Gemeinde war es doch, für die er sein Evangelium schrieb. Den Männern und Frauen dieser Gemeinde wollte er das Bewusstsein dafür vermitteln, dass ihr Leben im Glauben an Jesus Christus klare Konsequenzen haben musste. Es war sein brennender Wunsch, in ihnen ein Gefühl der Verantwortung zu wecken. Er wollte sie wachrütteln:
Hört auf zu schlafen!

Macht nicht weiter wie bisher!

Ändert Euer Leben!
Seid Euch darüber im Klaren, dass Euch Gott am Ende Eures Lebens und am Ende der Zeiten zur Rechenschaft ziehen wird.

Gott wird euch befragen: Wie habt ihr gelebt?

 

Ja! Matthäus blickte von seinem Schreibpult auf. Klare Worte brauchte es. So hatte es ihnen Jesus doch vermittelt. Und Matthäus beschloss, die Kapitel von Jesu Tod und Auferstehung aufzuschieben. Erst musste er noch die Texte über das Weltgericht und vom Ende der Zeiten niederschreiben. Er stand auf, verließ das Haus, um sich von seinem Papyrushändler weitere Bögen Papyrus zu holen. Zurückgekehrt, setzte er sich nieder, griff zum Messer, schnitt seinen Kalamos besonders scharf an und begann zu schreiben (25. Kapitel, Verse 14-30):

 

„Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; 15dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und ging außer Landes. Sogleich 16ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. 17Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. 18Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. 19Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. 20Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe fünf Zentner dazugewonnen. 21Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 22Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe zwei dazugewonnen. 23Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 24Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; 25und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. 26Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? 27Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. 28Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. 29Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. 30Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“

 

Na super, Matthäus. Ganz großartig! Volltreffer, jedoch mit aller Ironie. Denn Dein Gleichnis geht, wenn wir es heute lesen, nur eins: voll daneben. Du hast es nicht ahnen können, in was für Zeiten wir heute, fast zweitausend Jahre nach Deinen Weltgerichtstexten, leben. Ich versuche es Dir zu erklären:

Erster Punkt: Du musst wissen, dass im Moment auch dem letzten Menschen auf dieser Welt klar wird, dass das ungehemmte Wachstum und der endlose Verbrauch von Ressourcen der vergangenen Jahrzehnte die Erde in den Abgrund manövriert. Die Globalisierung, die uns jahrelang als Segen verkauft wurde, scheint sich als Fluch zu erweisen. Und die Verdoppelung und Vervielfachung der Gewinne einzelner wird heute als das bezeichnet, was sie ist: Ausbeutung. Denn Gewinnoptimierung funktioniert nur auf Kosten der Schwachen.

Da kommt es ganz schlecht, wenn Du in Deinem Gleichnis die beiden Knechte, die ihr Vermögen verdoppeln, in den Himmel erhebst.

Nächster Punkt: Der dritte Knecht, der das anvertraute Geld – das eine Talentum – in der Erde vergräbt, tut in Deinen Augen das Falsche. Du möchtest, dass Deine Leser das kapieren. Deshalb redet der heimgekehrte Herr diesen Knecht im Gleichnis so an: „Du böser und fauler Knecht!“ Später bezeichnest du ihn sogar als unnütz; einen Menschen! Als wäre er ein Gegenstand.  Unnütz, wie dieser Knecht ist, lässt du ihn in die „äußerste Finsternis“ und dahin werfen, wo „Heulen und Zähneklappern“ ist. Weißt du, Matthäus, das ist Schwarze Pädagogik in seiner reinsten Form. 'Du bist böse und faul!' - heute wissen wir, dass sich mit solchen Sätzen kein Mensch, ein Kind ebensowenig wie ein Erwachsener, dazu verführen lässt, Gutes zu tun. Mit dieser Vorverurteilung wird es in seinem Leben nicht heller werden; im Gegenteil: böse und faul zu sein wird sich in einem solchen Kind, in einem so angeredeten Erwachsenen erst recht manifestieren.

Und noch ein dritter Punkt sei Dir, Matthäus, ohne Umschweife aus heutiger Perspektive gesagt: Wir haben es als Kirche gerade sehr schwer. Gerade hier in den östlichen Bundesländern tragen wir immer noch am Erbe der Säkularisierung aus DDR-Zeiten, aber auch sonst häufen sich die Kirchenaustritte. Kurz: Immer mehr Menschen wenden sich vom Glauben ab. Daran, andere neu für ein Leben mit Christus zu gewinnen, ist gar nicht zu denken. Wir suchen hände- und bibelringend nach Wegen, ein Glaubensleben innerhalb der Kirche wieder attraktiver zu machen. Und dann kommst du mit einer solchen Geschichte. Ich kann nur hoffen, dass niemand, der nach Jahren aus Neugier mal wieder eine Bibel aufschlägt, zufällig als erstes auf Dein Gleichnis stößt.

 

Ja, tut mir leid, Matthäus. Ich sehe, dass du ganz erschrocken guckst. Du hast es nur gut gemeint, wolltest wachrütteln, an den Ernst der Lage gemahnen. Aber ich glaube, mit deiner Schwarzen Pädagogik erreichst du nur das Gegenteil.

 

Ich gehe etwas auf Abstand zum Gleichnis von den anvertrauten Talenten. Ich umrunde es und achte darauf, was mir in diesem Augenblick besonders ins Auge fällt. … Ja, jetzt weiß ich es. Es ist der eine Zentner Silber, den der dritte Knecht erhält. Was tut er damit?

Der dritte Knecht nimmt das Geld – und dem griechischen Wort, das dort steht, entspricht unser Wort „Talent“ - … Der Knecht nimmt sein Talent, er gräbt ein Loch in die Erde und legt das Talent dort hinein. Mir kommt die Idee, mich in das Talent des Knechts hineinzuversetzen. Ich übernehme für diesen Moment die Rolle des Talents und tue so, als wäre ich es, das Talent des Knechts:

Hallo, Knecht. Ich bin dein Talent. Ich freue mich, dass wir uns gefunden haben. Ich gehöre zu dir. Ich bin dir anvertraut worden. Ich finde das schön. Wir passen eigentlich ganz gut zusammen: Du und ich, dein Talent. Ich bin gespannt, was wir beide alles gemeinsam auf die Beine stellen werden.

Aber was geschieht jetzt? Was tust du?!! Das darf doch nicht wahr sein! Du gräbst ein Loch und steckst mich da rein, tief in die Erde? Du glaubst doch nicht, dass auf diese Weise etwas aus uns beiden werden wird?!! So, abgeschnitten von der Außenwelt und vor allem von dir, werde ich verkümmern. Das kannst du aber wissen. Ich spüre es schon. Hier liege ich jetzt in Deinem Erdhaufen; ich kriege kaum Luft, kann mich nicht bewegen, schon schrumpfen meine Fähigkeiten. Ohne Licht werde ich nicht überleben.

Das gibt’s doch gar nicht. Wie konntest du dich nur von mir trennen? Ja, ich verstehe schon: Dein Herr ist nicht ohne. Er ist berüchtigt als harter Mann. Du sagst es ja auch, dass du dich vor ihm fürchtest. Stimmt's? … Du nickst. Und ich, Dein Talent, verstehe auch, dass es dir im Grunde unbegreiflich ist, wie sich dein Herr verhält. Er geht außer Landes; richtig weit weg. Er lässt dich im Stich. Du hast keinen blassen Schimmer, wie du ohne ihn klar kommen sollst. Hinzu kommt, dass er nicht mal eben kurz verreist ist – i.S.v. 'komme gleich wieder' -; nein! Er ist richtig lange weg. Noch ein Angstfaktor für dich. Du bist voller Furcht.

Los, Knecht, hol mich hier raus. Nimm den Spaten, grab das Loch wieder auf. Hol mich an deine Seite, lass mich atmen, lass mich mit Dir zusammenleben. Was meinst Du, was wir gemeinsam alles auf den Weg bringen werden. Vielleicht den Welthandel revolutionieren. Vielleicht mit Kindern wertschätzend und ermutigend umgehen. Vielleicht die biblischen Geschichten neu erzählen.

Ah, danke. [Talent streckt sich, seufzt.] Los, gib mir mal die Hand, Knecht. So, noch diesen einen Schritt nach oben. Da wären wir. Wir schaffen das, auch wenn sich der Herr so furchtbar lange nicht blicken lässt. Wir legen jetzt gemeinsam los: Du, Knecht, und ich, Dein Talent. [Die Talent-Rolle ablegen durch Schütteln.]

 

Liebe Gemeinde, Matthäus hat das Gleichnis mit der Härte aufgeschrieben, wie wir sie in seinem Evangelium lesen. Daran gibt es kein Rütteln, wir müssen das aushalten. Die Drohkulisse des „Heulens und Zähneklapperns“ lässt sich nicht weichspülen. Unnachgiebig sind die Worte, die Matthäus mit dem zugespitzten Rohr auf den Papyrus geschrieben hat. Noch einmal schaue ich ihm über die Schulter. Genau so sind die Sätze da zu lesen. Doch beim näheren Hinsehen entdecke ich auf dem Rand eine Zeichnung; etwas verwischt zwar, doch trotzdem zu erkennen. Die Farbe der Tinte ist eine andere. Also muss hier jemand nachgebessert haben. Die kleine Zeichnung – daran besteht kein Zweifel – stellt einen Spaten dar. Ein Spaten!

Ich nehme diesen Spaten und reiche ihn von der Kanzel herunter zu Ihnen: Nehmen Sie diesen Spaten, liebe Gemeinde, und graben Sie Ihr Talent aus.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu. Amen.

 

Dr. Almuth Märker

almuth.maerker@web.de

Prädikantin an St. Thomas