Predigt über Matthäus 25,1-13

  • 24.11.2019 , Ewigkeitssonntag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Das Himmelreich gleicht zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen. 2 Aber fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. 3 Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit. 4 Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen. 5 Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. 6 Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen! 7 Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig. 8 Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen. 9 Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zu den Händlern und kauft für euch selbst. 10 Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen. 11 Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf! 12 Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. 13 Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.

 Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Liebe Gemeinde,

es ist merkwürdig. Da wird man einmal im Leben die Chance haben wie die zehn Jungfrauen in dieser Geschichte. Sie sollen Braut und Bräutigam im festlichen Fackelzug geleiten. Wer kein brennendes Licht hat, kann nicht dabei sein. Doch der Bräutigam bleibt aus. Enttäuschend. Eben noch fiebert man einem Höhepunkt entgegen, dann breitet sich plötzlich allseits bleierne Müdigkeit aus. Alle Zehn werden schläfrig. Und alle Zehn schlafen ein.

 Das ist wirklich merkwürdig, dass das so kommen kann. Wofür ich gerade noch gebrannt habe – es erscheint mir plötzlich sinnlos. Was ich eben noch unbedingt wollte – ich gebe es auf. Weil ich spüre: Ich bin so müde. Ich bin es müde. Ich kann und ich will es nicht mehr. Was bringt es noch? Es gibt Phasen im Leben, da hat man irgendwie kaum Drang nach vorne, wird schläfrig, alle scheint so banal oder egal. Wer einen Menschen verloren hat, der ihm nahe stand, der kennt das auch. Genauso kann es einem da gehen mit dem Rest seines Lebens. Im Angesicht des Verlusts erscheint vieles so egal, auch das, wofür ich bisher gebrannt habe. Man muss erst mal alles neu sortieren – und das kann dauern.

 Die zehn Jungfrauen – ich verstehe sie als Menschen, die wie jeder von uns wodurch auch immer in die Krise kommen in unserem Leben. Der Evangelist Matthäus hatte diese Geschichte  ursprünglich Gemeinden erzählt, die mit der Wiederkunft Jesu gerechnet hatten. Seine Botschaft nun dauerhaft in der Welt zu leben, ist schwer. Im Alltag mit immer wieder den gleichen Konflikten - ermüdend. Es ist die Frage, wie man damit umgeht. Die Geschichte nimmt ja ernst, dass es so ist. Denn hier sind sie alle eingeschlafen, die törichten und die klugen Jungfrauen. Alle. Die Klugen sind nicht deshalb klug, weil sie so tugendhaft sind, wach und immer bei der Sache. Und die Törichten  sind nicht deshalb töricht, weil sie lasterhaft oder faul sind. So werden die zehn Jungfrauen ja oft dargestellt in der Kunst, an den Portalen der großen Kirchen wie in Erfurt, Straßburg[1] oder anderswo: Da wird klug zu brav und töricht zu liederlich, fünf sind so und fünf so. Nein, ihr Verhalten ist absolut identisch. Dieses Gleichnis ist frei von Moral. Alle schlafen - und keiner wirft ihnen das vor.

Ich höre an dieser Bruchstelle der Erzählung: Ich muss solche Warte- und Schlafenszeiten wahr sein lassen. Ich soll sie nicht ignorieren und nicht wegreden. Es gibt sie und wird sie immer geben, diese ermüdenden Zeiten, wo nichts vorangeht. Wo es immer weiter in die Nacht hineingeht. Wo ich nur abwarten kann, was auf mich zukommt. Und mich nur klammern kann wie die Braut an das Versprechen ihres Bräutigams. Dass das Fest eben doch nicht abgeblasen sein wird. Dass ich weiterkommen und hier nicht stecken bleiben will. Und er bleibt nicht aus in dieser Geschichte: Der erste Schritt zur Wende ins Helle. In der Mitte der Nacht, wenn es sich langsam wieder dem Tage zukehrt, wird es lebendig. Lautes Rufen weckt die Schlafenden. Es geht los. Die einen sind bereit und haben Öl, die anderen sind es nicht und haben keins. Die „Klugen“ heißen ab jetzt in der Geschichte „die, die bereit waren“. Sie sind aus dem Schlaf heraus ansprechbar und bereit und machen ihre Lampen fertig mit dem Öl, das sie mitgenommen haben.

 Was ist dieses Öl? Das ist durch die Jahrhunderte ganz verschieden ausgelegt worden. Unser Glaube, für den wir Sorge tragen sollen, dass er uns nicht ausgeht? Unsere Tugenden, unsere Menschenfreundlichkeit, die unser Licht am Leuchten halten? Was ist der Stoff, der unsere Hoffnung und Sehnsucht weiter brennen lässt auch wenn es länger dauert, als gedacht? Irgendwas anderes vielleicht, was uns gut tut? Was genau das Öl ist, geht in diesem Gleichnis in keine bestimmte Richtung. Aber es ist deutlich, man braucht es, man sollte in guten und wachen Zeiten Sorge dafür tragen, dass man es hat. Und es gibt davon prinzipiell genug. Aber: Es lässt sich nicht mal so eben teilen. Es liegt in meiner Verantwortung, mein eigenes Öl zu haben. Ein anderer kann es mir nicht so einfach übertragen, wie die klugen, die bereiten Jungfrauen nicht einfach ihr ausreichendes Öl teilen können. Es geht also offenbar um eine Stelle im Leben, an der ich unvertretbar bin. Andere können bei mir sein, aber es geht um mich, um meine Entscheidung, um meine Haltung um meine Einstellung, um mich an einer Stelle, wo mir keiner was abnehmen kann. Das klingt anstrengend. Aber es ist auch tröstlich, weil ich nicht ausgeliefert bin, sondern beizeiten Vorsorge treffen kann.

 Was also kann es sein, dieses Öl? Der Mystiker Meister Eckhardt hat im 13. Jahrhundert etwas geschrieben, was es für mich auf den Punkt bringt:

„Solange ich meine schöpferischen Gaben beachtet habe, konnte ich frei beten und als Mensch wachsen. Habe ich mich jedoch an der Leugnung dieser Gaben beteiligt, so ging es mir schlecht. Meine Liebe zum Leben schwand. Ich betete nicht mehr. Ich wurde kleinmütig und zynisch oder trieb mich bis an den Punkt, wo ich erschöpft und ausgebrannt war. Ich litt dann am Arbeitszwang, um so auszugleichen, was ich meinem schöpferischen Selbst verweigerte.“

 Worte aus dem 13. Jahrhundert, in denen jemand beschreibt, wie er dieses Öl bekommt. Was die Flamme am Leuchten hält, sind die mir von Gott geschenkten Gaben als sein unverwechselbares und ansprechbares Gegenüber. Gaben, die mir gegeben sind, um sie im Gegenüber zu Gott zum Leuchten zu bringen. Kümmere ich mich genug darum, sorge ich genug dafür? Bleibe ich trotz Müdigkeit und Schläfrigkeit ansprechbar? Rechne ich damit, dass ich Momente der Ewigkeit in der Zeit entdecken werde, die mich gewiss machen, dass da noch Größeres kommt für mich und meine Lieben – und dass diese Zeit und dieses Leben hier noch nicht alles ist, worauf ich hoffen kann? Dass ich das neue festliche Licht, in das unser Leben gerückt wird, jetzt schon erahne? Und dass es mir Kraft schenkt und Durchhaltevermögen, über das Erwartbare hinaus zu denken, über da, was vor Augen ist? Wo sonst kann ich sie entdecken, diese Momente der Ewigkeit, wenn nicht in dem, was ich bin und was ich kann als Geschöpf eines Gottes, der mich zu diesem Fest eingeladen hat?

Dafür kann ich sorgen, dafür etwas zu tun, an dieser Haltung zu arbeiten mit mir selbst, und das beizeiten. Dass ich mein Öl sammle und bereit halte auch durch die Zeit des Schlafens hindurch. Dass ich vorbereit bin auf die Brüche im Leben, auch auf Zeiten, in denen alles im Fluss zu sein scheint und unsicher, so wie jetzt im Moment, wo eigentlich nur klar ist: Diese unsere Gesellschaft in Europa und auf der ganzen Welt – sie wird sich verändern und das in einem Maße, das wir uns noch gar nicht klarmachen bzw. klarmachen wollen. Flüchten wir uns nicht auch da gerade ziemlich in den Schlaf und vernachlässigen es, unsere Öl-Vorräte zu pflegen? Und wie bereit bin ich selbst, wenn ich nachdenke über das eigene Sterben, den eigenen Tod? Wo wenn nicht da ist die Stelle im Leben, da bin ich unvertretbar, da bin ich gefragt, ich allein. Da geht es um die Frage: Was hoffe ich? Vertraue ich Gottes Verheißung der ewigen Gemeinschaft mit ihm, der Verheißung neuen Lebens? Wie in der Geschichte von den klugen und törichten Jungfrauen kann man nicht erst in dem Moment für das sorgen, was man braucht, wenn es so weit ist. Andere können mir da beistehen, aber von ihrem Öl können sie mir nichts abgeben in diesem Moment.

 Im Mittelalter gab es die Kunst, sich ins Sterben einzuüben, die sog. ars moriendi. Mitten im Leben hat man sich darin eingeübt, in diese Kunst des Sterbens, die aber zugleich auch eine Kunst des Lebens war, weil sie einen gegenüber dem Tod gelassener werden ließ. Man hat sich vertraut gemacht mit den großen Bildern der christlichen Hoffnung, dem Leben im himmlischen Jerusalem, der Stadt Gottes, wo er mitten uns wohnen wird. Oder mit dem Bild vom großen himmlischen Abendmahl, zu dem wir geladen sind. Auch dieses Gleichnis von der Hochzeit hat dazu gehört oder die Verheißung aus der Offenbarung vom neuen Himmel und der neuen Erde. Das sind alles Bilder dafür, dass wir die Vollendung unseres Lebens von Gott erwarten dürfen und nicht alles in diesem Leben hier und jetzt erreichen müssen, so wie das ja viele heute glauben und den Tod deshalb wie nichts anderes fürchten. Man hat sich vertraut gemacht mit Worten, mit Texten aus der Bibel und der Tradition, die einen trösten und tragen im Schmerz und in der Traurigkeit. Man hat sie auswendig gelernt, so dass sie einem nicht ausgingen. Dass sie präsent waren, wenn eigene Worte fehlten. Man hat sich vor Augen geführt, dass Leben auch immer eine Aneinanderreihung von Abschieden ist, loslassen können, sich entlasten auch von den Dingen, von denen wir meinen, wir bräuchten sie unbedingt - eine große Kunst, die ars moriendi, die Kunst des Sterbens, die eigentlich eine Kunst des Lebens ist.

 Auch uns tut es heute gut, wenn wir sie lernen. Vielleicht auch mit noch anderen Geschichten und Bildern, durch Erfahrung und Austausch mit anderen. Dadurch, dass wir unseren uns von Gott geschenkten schöpferischen Gaben etwas zutrauen, sie für uns und mit anderen pflegen. Dass wir sie uns wirklich aneignen. Und dass wir beides zulassen: unsere Ängste wie auch unsere Hoffnung, dass das, was bei Gott sein wird, gut sein wird. Ein Fest, eine Hochzeit. Gehen wir davon aus: Dieser aufgestockte Öl-Vorrat wird reichen für den Moment, wo ich mit meiner Lampe unvertretbar bin. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org

 


[1] Bei den genannten Beispielen handelt es sich darüber hinaus auch um antijüdische Darstellungen. Den törichten Jungfrauen wird dabei jeweils noch die Figur der Synagoge, den klugen die der Kirche zugeordnet.