Predigt über Matthäus 28,1-10

In diesem Festgottesdienst zu Ostern wurde Johann Sebastian Bachs Kantate "Christ lag in Todesbanden" (BWV 4) aufgeführt.

  • 16.04.2017 , Ostersonntag
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt an Ostersonntag, 16. April 2017

Matthäus 28, 1-10, J.S. Bach: „Christ lag in Todesbanden", BWV 4

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,
„Es ist Musik von herrlicher Verächtlichkeit." So schreibt es John Eliott Gardiner über die eben gehörte Kantate in seinem Buch „Musik für die Himmelsburg". „Musik von herrlicher Verächtlichkeit". Er bezieht das vor allem auf die Stelle im sechsten Vers. Genau in dem Augenblick, wo der Glaube vor seiner schwersten Prüfung steht, verlangt Bach dem Bass einen irrwitzigen Sprung um eine verminderte Duodezime zum tiefen Eis ab. Und gleich darauf, um die Kampfansage an den Tod darzustellen, wird dem armen Sänger auferlegt, fast zehn Schläge lang in voller Lautstärke ein hohes D auszuhalten bis wirklich alle Luft aus den Lungen gewichen ist. „Musik von herrlicher Verächtlichkeit", der Tod wird verlacht, ein Spott aus dem Tod ist worden, wie es in Vers 4 heißt, von ihm bleibt nichts, denn seine äußerliche Gestalt - und da lässt Bach die ganze Musik anhalten, auf diesem Nichts, wir haben es gehört.

Wie Bach Luthers Choral auf musikalische Weise vertieft, tut es auch der Evangelist Matthäus mit seiner Erzählung dessen, wie Menschen die Auferstehung erfahren. Auch er benutzt eindrucksvolle Bilder, seine Erzählung unterstreicht die kosmische Dimension des Ostergeschehens. Da bebt die Erde, da kommt ein Engel vom Himmel wie der Blitz, da ist helles Licht obwohl die Nacht gerade angebrochen ist. Himmel und Erde sind betroffen und die gewöhnlichen Grenzen werden gesprengt. Der Engel hat im wahrsten Sinne des Wortes überirdische Kräfte. Er wälzt mal eben vor ihren Augen den schweren Stein vom Grab und setzt sich einfach drauf. Eine Geste „herrlicher Verächtlichkeit". Es kümmert ihn nicht, dass dieser Stein von Menschen vorher mit Mühe vor die Öffnung des Grabes gesetzt worden ist. Und dass er obendrein noch bewacht werden sollte, damit der Tote bleibe, wo er ist. Festgenagelt hatten sie Jesus schon am Kreuz. Jetzt wollten sie ihn auch noch im Tod hinter Schloss und Riegel bringen. Man weiß ja nie. Mit welcher Leichtigkeit setzt sich der Engel gegenüber dem größtmöglichen menschlichen Bemühen durch, den Pfropfen endgültig draufzusetzen auf das, was auf keinen Fall leben und ans Licht kommen soll. Was für ein hilfloser Versuch, zu unterbinden, was nicht totzukriegen ist. Und was für eine klare Ansage: „Die Wachen erbebten aus Furcht ...und wurden als wären sie tot.", ja, gerade ihnen kann sie gefährlich werden, diese Liebes-und Lebensmacht, die sich hier Bahn bricht. Das wissen sie alle, wie sie auch heißen in dieser Geschichte: der Kaiser von Rom, sein Statthalter Pilatus, die Hohenpriester - heute heißen sie anders.

Die ganze Geschichte wird von Matthäus dennoch mit einer erstaunlichen Nüchternheit erzählt. Und auch wenn wir das mit der von Luther und Bach im sechsten Vers der Kantate gebotenen „Herzensfreud und Wonne" hören, fragen wir uns natürlich schon: Wie kann das passieren. Was da erzählt wird, überschreitet Grenzen und durchbricht die Gesetzmäßigkeiten: Engel kommen nicht vom Himmel. Tote verschwinden nicht aus Gräbern.

Ja, wenn wir es so sehen und sagen, dann ist diese Geschichte an dieser Stelle zuende. Aber müssen wir es so sehen? Was hier erzählt wird, ist nur eine Annäherung an ein Geschehen, das zwar erfahren werden kann, aber letztlich kaum in Worte zu fassen ist. „Der Mensch hat eine Erfahrung gemacht und nun sucht er die Geschichte zu dieser Erfahrung", so hat es Max Frisch sinngemäß mal gesagt. Das heißt: Was wir von unseren Erfahrungen erzählen, sind immer nur Geschichten, aber nie die Erfahrung selbst. Man kann das als Schlüssel zu allen Ostergeschichten der Bibel betrachten. In dieser Geschichte geht es um das, was die Frauen an diesem Morgen am Grab erfahren haben. Das „Wie" der Auferstehung wird nirgends in der Bibel beschrieben. Wir hören nur von den Wirkungen auf Menschen, die dem Auferstandenen begegnet sind. Anders ausgedrückt: Ostern geht es nicht um die mirakelhafte Rückkehr eines Toten. Um das unendliche Fortexistieren eines Menschen, der auf einmal wieder da ist. Worüber man eigentlich wirklich nur erschrecken kann. Oder wo man sich, wie alljährlich in den Titelgeschichten der Magazine und Illustrierten zu Ostern zu lesen, in allerhand Spekulationen darüber ergeht, was da für ein Trick dahinterstecken mag. Oder was die Anhänger dieses letztlich gescheiterten Rebellen sich da ausgedacht haben mögen. Das sind alles Fragen, mit denen man sich lebenslang im Kreise drehen kann ohne auch nur einen Schritt weiterzukommen - außer vielleicht in Richtung eigenes Grab.

Ostern geht es gerade auch darum, sich herausholen zu lassen aus den gedanklichen Sackgassen des Lebens. Die Frauen erleben das erst mal als Erschütterung ihrer Welt. Verständlich, neue Erfahrungen verursachen immer Furcht und Irritationen. Erfahrungen mit Gott sowieso. „Fürchtet Euch nicht", kein Satz kommt deshalb so oft in der Bibel vor. Den hören hier auch die Frauen. Und sie hören sogleich noch etwas Vertrautes dazu, was ja immer beruhigend und tröstend ist. Dieses Vertraute steckt in dem Auftrag: Sie sollen vom Grab schnellstens weg eilen und den anderen Jüngern sagen: geht nach Galiläa, dort werden ihr ihm begegnen. Sie sollen weg gehen vom Grab, wo man glaubte, ihn beerdigen und versiegeln zu können. Sie sollen an den Ort gehen, wo sie leben. Und wo sie von Jesus schon einmal gerufen wurden.

Das ist etwas Entscheidendes in den Ostergeschichten. Abseits des leeren Grabes sollen wir erfahren, was Ostern heißt. Das leere Grab allein beweist nichts, es führt einen auf die falsche Fährte. Vielleicht kommt man bestenfalls zur Erkenntnis, dass es Wunder gibt oder Dinge, die sich dem Verstand nicht ohne weiteres erschließen. Aber zum Glauben an den Auferstandenen kommt man dadurch nicht. Die Botschaft an die Frauen lautet: Seht selbst. Seht, versteht, erlebt die Auferstehung selbst. Diese Möglichkeit sollen die Jünger bekommen. „Meine Brüder" nennt sie der Auferstandene. Das ist schon erstaunlich nach allem Vorhergehenden. Denn sie waren ja die, die in die Dunkelheit geflüchtet waren, als ihr Meister abgeholt wurde. Sie waren es, die ihn verleugnet hatten bis der Hahn krähte, sie waren es, die sich verdrückt hatten, als er am Kreuz starb. Aber sie sollen es sein, die davon weitersagen, diese Brüder - und Schwestern.

Das ist ja ein Auftrag, der sich an uns Heutige weitervererbt hat. Was heißt das dann für uns? Ich meine, zweierlei. Zum einen: Wir begegnen dem Auferstanden dort, wo wir leben. Was er den Frauen sagt, ist dies: Er lässt sich in unserem Alltag sehen. Und es bedeutet zum anderen: wir begegnen ihm als die, die wir sind. Wir müssen nicht erst noch Heilige werden oder geläutert, nein, wir sind ja nicht anders als die Jünger, denen Jesus bestätigte: Der Geist ist willig aber das Fleisch ist schwach. Es stellt sich also für jeden von uns die Frage. Wo ist mein Galiläa? Zuhause, in der Schule, bei der Arbeit, bei den Menschen, mit denen ich lebe. Da will er uns begegnen. Und wie? Ich denke, für uns kann das konkret nichts anderes heißen als das, was es für die Jünger damals geheißen an. Nämlich an das anzuknüpfen, was sie von Jesus selbst gehört hatten: an die Botschaft der verlässlichen Nähe und Liebe Gottes zu ihrem Leben. Dafür wollte Jesus Menschen gewinnen. Dafür sollten die Jünger in Galiläa nun ihr Leben so in die Hand nehmen, wie Jesus es gemeint hat. Und erfahren, dass er dabei als der Lebendige mitten unter ihnen ist. Das kann vielleicht dort sein, wo einer, der nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht und ob er das noch alles schafft mit seinem Leben, trotzdem wagt, mit einfachsten Routinearbeiten anzufangen. Wodurch dann aber der Abend schon anders sein wird als es am Morgen ausgesehen hat. Es kann geschehen, wo einer sich trotz schwerer persönlicher menschlicher Enttäuschungen nicht resigniert zurückzieht und sagt: Die Welt ist schlecht. Sondern wo jemand erfährt: Die Rückkehr ins Leben kann gelingen, ich habe es wieder in der Hand, mein Leben zieht nicht einfach so an mir vorbei, ich kann gestalten. Es kann geschehen, wo man immer wieder neu lernt auf die Worte Jesu zu hören, auf die Lebensworte, die einfach wahr sind. Auf Worte aus dem Zentrum Galiläas wie die der Bergpredigt: Selig, die wissen um ihre Armut, denn nur sie können gütig sein und sich anderen öffnen voller Erbarmen. Selig, die nicht auf Vergeltung aus sind, sondern der Spirale der Gewalt und des sich offen auslebenden Hasses ihre Kreativität und ihren Mut entgegensetzen. Die nicht aufhören, daran zu glauben, dass sich diese Kräfte gegenüber der Lüge und den tödlichen Gesetzen von Gewalt und Gegenwalt, von „Wie du mir - so ich dir" durchsetzen werden. Es geht darum, die Worte Jesu zu hören und sich von ihnen ermutigen zu lassen, kreativ, schöpferisch und beweglich zu sein in Gedanken, Worten und Werken. Das bedeutet, dem Auferstandenen zu begegnen. Aus dieser Kraft wird es möglich, den vermeintlichen Eigengesetzlichkeiten dieser Welt etwas entgegenzuhalten. Auch denen, die wirklich nicht so ohne weiteres zu durchbrechen sind. Aber wo wir diesen vermeintlich unveränderlichen Gesetzlichkeiten mehr vertrauen, als der österlichen Realität und den in uns vorhandenen kreativen gedanklichen und anderen Möglichkeiten, dort sind wir noch gänzlich in den Fängen des Todes. So hatten wir in diesem Jahr im Pfarramt doch einige Anrufe mehr als sonst in der letzten Woche. Ob es denn sicher sei, die Thomaskirche zu Ostern zu besuchen? Bei den ganzen Anschlägen in der letzten Zeit - London, St. Petersburg, Stockholm? Der Anschlag auf die koptische Kirche in Ägypten und noch ein weiterer auf die Fußballmannschaft von Borussia Dortmund? All das doch nur mit dem einen Ziel: Die Zerstörung von Vertrauen und Sicherheit, Anschläge auf eine freie und offene Gesellschaft - was plant Ihr dagegen zu setzen? Ich weiß nicht, wie weit es uns gelungen ist, diejenigen, die da wirklich verunsichert sind, zu beruhigen. Denn wir können nur sagen: Was wir dagegen setzen ist unser Ja zu einem freien, offenen Leben. Und dass wir uns von diesen Todesmächten, die da heißen Misstrauen, Verunsicherung, Lebensangst nicht beugen werden. Freiheit ist etwas zutiefst Verletzliches, das Leben zu leben ist gefährlich. Aber an einem aus lauter Angst ungelebten Leben stirbt man erst recht. Natürlich: Die Bilder von diesen Anschlägen stecken uns in den Knochen und wir sind weit davon weg, sie verarbeitet zu haben. In Syrien haben wir den Tiefpunkt menschlicher Unmenschlichkeit verfolgen müssen: Gift auf Menschen - und gestern noch Anschläge auf bereits Evakuierte. Seit Jahren stehen wir bei dem, was da geschieht, daneben und wissen nicht weiter. Und leider steht uns dabei eben auch immer wieder die tödliche Seite vereinnahmter Religion vor Augen: In Teilen des Nahen Ostens gibt es auf der ganzen Fläche keine Christen mehr und auch andere, auch Muslime, müssen um ihr Leben fürchten vor denen, die sich für ihre Zwecke der für Gewalt anfälligen Seiten von Religion bemächtigen. Wobei der Wahnsinn auch ganz ohne jeglichen Bezug auf Religion möglich ist: Auch das, was zwischen den USA und Nordkorea in der Luft liegt, kann einen ja nicht wirklich ruhig schlafen lassen.

Wie dringend braucht unser Denken ein österliches Korrektiv, um sich von den Gesetzen des Grabes und der Todverfallenheit zu trennen und vom Leben her zu denken! Ostern geht's um den Aufbruch aus solcherlei Grabesstimmung. Aus einer gedanklichen Gefangenschaft, wie sie uns Bach im zweiten Vers der Kantate in der dissonanten Verkeilung von Sopran-und Altstimme präsentiert: „hielt uns in seinem Reich gefangen".

Natürlich: Mit der Freude bleibt auch die Furcht. Das ist ernst zu nehmen und Matthäus tut das auch: Mit Furcht und großer Freude eilen sie vom Grab weg. In ihrer Begegnung mit dem Engel und schließlich mit Jesus selbst, ist die bleibende dynamische Existenz der Glaubenden abgebildet. Immer wieder führt unser Weg auch in Angst und Trauer, überall drohen auch Stillstand und Wege in die Sackgasse. Auch das Leben desjenigen, der von der österlichen Erfahrung her kommt, ist nicht durchgängig von Enthusiasmus und Optimismus bestimmt. Aber es ist getragen von einer Zuversicht, die dürrer Stumpfheit, entleertem Realitätssinn, vermeintlich unverbrüchlicher Eigengesetzlichkeit und der Haltung „Mit dem Tod ist alles aus, deshalb nimm alles mit, was geht" etwas entgegenzusetzen weiß.

Dann können wir mit „Herzensfreud und Wonne" Kreativität entwickeln auch im Umgang mit den Dingen, die uns das Leben schwer und sauer machen. Sind da, aber sie haben ihre letzte Macht und ihren Anspruch auf uns schon verloren. Der Tod und seine Mächte sind schon besiegt. Der Engel Gottes sitzt schon auf dem schwersten aller Steine, die Menschen dem Leben in den Weg legen können. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche (taddiken@thomaskirche.org)