Predigt über Matthäus 4,22-33

Die Predigt wurde im Rahmen des regelmäßigen Kanzeltausches der Thomaskirche und der Kreuzkirche am 29. Januar in der Dresdner Kreuzkirche gehalten.

  • 29.01.2017 , 4. Sonntag nach Epiphanias
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt am 4. Sonntag nach Epiphanias, Matthäus 4, 22-33, 29. Januar 2017

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
es gibt diese kostbaren Momente, die einem so gut tun. Die man so aufsaugt in sich. Man trifft einen Menschen, wo man sofort merkt: der versteht dich. Der kann zuhören. Dem kannst Du vertrauen. Das merkt man ja ziemlich schnell. Und da gibt's die Erfahrung, dass sich wenige, gut gewählte Worte wohltuend abheben von dem ganzen Geschwätz und Gedröhn, das uns so umgibt. Und dann, und die Erfahrung werden wohl vor allem die unter Ihnen kennen, die als Kinder die Nachkriegszeit noch erlebt haben: ein Stück Brot, das man aus dem Nichts heraus bekommt. Dieser Geschmack. Drei Dinge, drei Erfahrungen:

Gemeinschaft die mich trägt
Worte, die mich aufbauen
Brot, das mich sättigt.

Da ist was von der sprichwörtlichen Fülle des Lebens, nach der wir uns sehnen und wir durchaus erleben. Und wer es tut, mag sich kaum davon trennen: Kann es nicht einfach immer so sein?

Genau das haben gerade die Jünger erfahren in der Geschichte, um die es heute geht. Sie haben gerade all das erfahren bei der Speisung der 5000: tragende Gemeinschaft, das entscheidende, heilende Wort, die Sättigung mitten in der Einöde. Jetzt werden sie von Jesus hinausgedrängt auf den See, werden unvermittelt Wind und Wellen ausgesetzt. Man spürt ihren Widerstand am Anfang dieses Textes. Ich lese aus Matthäus Kapitel 4, 22-33:

Und alsbald drängte Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen, denn der Wind stand ihm entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und als ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: „Es ist ein Gespenst!" Und sie schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: „Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!" Petrus aber antwortete ihm und sprach: „Herr, bist Du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser." Und er sprach: „Komm her!" Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: „Herr, rette mich!" Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?" Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: "Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!"

So, wie Matthäus dies Geschichte in sein Evangelium einbette, ist klar: Ihre Wahrheit erschöpft sich auch für ihn schon nicht in der Frage nach ihrer Faktizität. Sie will von Anfang an eines: Glauben wecken, Vertrauen schaffen angesichts der Erfahrung der Realität damals wie heute. Wir erleben wie zerstörerische Kräfte in unser Leben einbrechen - innere und äußere und Sturm in unser Leben bringen. Und am schlimmsten sind die Momente, wo man merkt: da ist auf einmal das Vertrauen weg. Ob mein Weg richtig ist. Familiär, beruflich, persönlich. Oder wo ich merke: Was gilt denn eigentlich noch? Was kommt da auf uns zu? Ja, was kommt auf uns zu mit einem Präsidenten Trump, der auf Twitter setzt statt als auf Diplomatie, der „alternative Fakten" liebt und mit Folter liebäugelt. Der per Dekret regiert und reagiert und damit innerhalb kürzester Zeit sein Land in große Unordnung gebracht hat - und wo für den Rest der Welt, um es mit den Worten des gerade verabschiedeten Außenministers Frank Walter Steinmeier zu sagen, nur eins gewiss ist: die Ungewissheit über das, was kommen wird. Und was passiert in und mit einem Land wie der Türkei gerade, was wird sich auch von dort aus entwickeln? Wohin steuert das Schiff Europa, unsere Welt?

Ja, man kann sich in den letzten Tagen und Wochen schon vorkommen wie in einem Sturm. Wie die Jünger, die merken: Wir können das Chaos nicht mehr mit den Mitteln des eigenen Willens bewältigen. Und je weiter sie sich in ihre Panik hinein steigern, desto so mehr passiert's: Die rettende Möglichkeit, die rettende Kraft wird nicht gesehen. Im Gegenteil, sie kommt einem noch als eine zusätzliche Bedrohung vor. Wer den Kopf nicht mehr freikriegt, kann durchaus Gespenster sehen. Hier bei den Jüngern in der Geschichte ist jedenfalls der Moment beschrieben, wo es einem verschwimmt, wo man nicht mehr unterscheiden kann zwischen Hilfe oder Bedrohung. Und so schreien sie vor Furcht. Immerhin. Der Schrecken wird laut. Er kann gehört werden und er wird gehört. Denn es heißt: Sogleich redete Jesus mit ihnen. Wenn sie im Moment nicht sehen können, dann können sie vielleicht das: hören. Hören auf den Satz, der so und in Abwandlung nicht von ungefähr 365 x in der ganzen Bibel vorkommt, weil wir es nötig haben, ihn jeden Tag neu zu hören: „Fürchtet Euch nicht. Seid getrost, ich bin‘s."

In dieser Szene kommt dieses Wort wie aus einer anderen Welt. Man könnte sagen „von oben". Denn Jesus war auf einem Berg, hat sich vier Nachtwachen lang vergewissert, woher die tragenden Kräfte kommen. Immer wieder ist es bei Matthäus der Berg, auf den Jesus zurückzieht - an den Ort, der nach biblischer Tradition die besondere Nähe zu Gott bezeugt. Immer wieder wird erzählt, wie Jesus nach der Heilung von Menschen dort Kraft sucht. Wie er sich den Menschen wieder entzieht, und immer wieder damit deutlich macht: ihm kommt es nicht auf den Erfolg an, wie Außenstehenden die Brotvermehrung vorgekommen sein mag. Er vertraut sich ganz der Kraft seines nicht verfügbaren und doch anwesenden Gottes an. Daraus schöpft er Kraft für den nächsten Schritt.

Und dieser Schritt auf dem tosenden Wasser in Verbindung mit dem Ruf an die Jünger: „Ich bin's" - der ist's offensichtlich, der nun den Jünger Petrus ermutigt, die letzte vermeintliche Sicherheit seiner kleine Nussschale zu verlassen. Er bleibt nicht dabei, sich als Opfer der Verhältnisse zu fühlen. Und er verlässt sich auch nicht auf die Gespenster, die er zu sehen glaubt. Sondern wagt sich heraus aus auf's Wasser. Nimmt einen Weg, den er noch nie begangen hat. Nur im absoluten Vertrauen, es wird werden. Und entdeckt: Er kann auf seinen Ängsten gehen. Er kann sie unter sich lassen. Kann sie beherrschen - und nicht sie ihn.

Das ist der entscheidende Punkt in dieser Geschichte: Es geht um diese Schritte, die Petrus geht - es geht nicht bloß um ein Naturwunder oder um ein anderes. Es geht um diese Schritte, die er auf diesen bedrohlichen Wellen schafft. Deswegen ist die Geschichte bis heute weitererzählt worden. Wegen dieser vielleicht noch wenigen Schritte auf dem Wasser. Und da sind wir ganz im Zentrum dieser Geschichte, bei ihrer zentralen theologischen Aussage für jede und jeden für uns als Christenmensch: Je mehr du dich einlässt auf das Leben Jesu, desto eher vollzieht es sich an dir selber. Das ist das Verhältnis von Geschichte und Offenbarung. Du kannst die Wirklichkeit Jesu nicht nach rückwärts suchen, sondern vielmehr nur nach vorne. Du kannst nur nach vorne leben. Im Zugehen auf die Lösung der Probleme und im Zugriff auf das, woran Du Dich orientieren kannst im Getöse oder wenn zu viele Leute zu viele Gespenster sehen und Du selbst vielleicht auch. Orientierung ist und bleibt in allem eines, wo uns mächtiges Getöse durchschüttelt und zu beeindrucken versucht: Und das ist für uns Christen der sich in diesen Wochen der Epiphaniaszeit immer weiter und immer tiefer in all unsere Lebensbereiche ausbreitende weihnachtliche Ruf Gottes bzw. Jesu: „Fürchtet Euch nicht - ich bin da."

Natürlich bleibt Petrus dabei die Erfahrung nicht erspart, die alle machen, die diesen Weg ernsthaft zu gehen versuchen: Es ist möglich, auch zu scheitern und einzubrechen. Zu groß ist das Getöse um ihn herum, die vielen anderen Stimmen, die Unsicherheiten, die Probleme - eben der Sturm. Und dennoch hängt alles davon ab, es zumindest zu wagen. Das Vertrauen wird stärker sein als der Zweifel. Der, der einen ruft, wird einem auch die Hand hinhalten. Was man nicht vergessen sollte, ist der Anfang der ganzen Geschichte. Jesus drängt seine Jünger in das Boot. Er setzt sie Sturm und Wellen aus, mutet ihnen das Leben zu, wie es ist, traut ihnen zu das auszuhalten, sich zu bewähren und daran zu reifen und zu begreifen. Wir sind auf dem Meer des Lebens keine Spielbälle des Geschicks oder eines zeitlosen Fatums. Wir sind nicht dazu verurteilt, in den Wellentälern unseres Lebens nur Sinnlosigkeit sehen zu müssen, auch dann nicht, wenn wir uns überspült fühlen von schlechten Nachrichten oder wenn die Wellen unser Boot „quälen", wie man hier bei Matthäus auch übersetzen könnte." Wir sind es nicht, auch wenn wir vieles erst einmal überhaupt nicht verstehen und uns nur erst mal der Ruf zu bleiben scheint: „Herr, rette mich."

Es ist nicht von ungefähr, dass immer wieder Petrus im Mittelpunkt der biblischen Geschichten steht, in denen es ums Schwanken zwischen Klein-, Groß- und mitunter auch Hochmut geht. Nur an diesen Erfahrungen reift jemand zum Fels, griechisch „Petros". Am Ende siegt sein Vertrauen über den Zweifel. Der Sturm legt sich. Erst einmal. Denn diese Geschichte kann ja auch wieder von vorne beginnen - so wie sie nach der Geschichte von der Speisung der 5000 ja auch von vorne begonnen hat. Sie sind nicht festzuhalten, diese Momente der Erfüllung und des absoluten Vertrauens, der absoluten Klarheit. Nein, es geht immer wieder raus auf's Wasser. Aber der, der ruft: „Fürchtet Euch nicht, ich bin's", der wird auch immer dabei sein. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org