Predigt über Matthäus 7,15-23 und Kantate BWV 178 "Wo Gott der Herr nicht bei uns hält"

Die Predigt wurde zum Bachfestgottesdienst auf dem Leipziger Marktplatz am 12. Juni 2022 gehalten.

  • 12.06.2022 , Tag der Dreieinigkeit – Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt im Gottesdienst auf dem Markt, 12. Juni 2022, Matthäus 7,15-23 und Kantate BWV 178 „Wo Gott der Herr nicht bei uns hält“

Liebe Gemeinde,

was für eine Lust hatte Bach bei dieser Kantate, mit den Instrumenten ein Kampfgetümmel zu veranstalten. Inspiriert von Jesu Warnung vor den falschen Propheten aus der Bergpredigt geht es ordentlich zur Sache. Er lässt sie toben wie einen Seesturm. Und zeichnet das Bild eines äußerlich wie innerlich aufgewühlten Menschen. Vor allem in den beiden Arien. Der Bassist musste sich durch lange Koloraturen kämpfen, um den Kopf über Wasser zu halten. Hat er heute zum Glück gehabt. Und dem Tenor wird auch einiges zugemutet, um die „taumelnde Vernunft“ dazustellen. Solch eine Lust an Kampf und Streit war durchaus typisch für Bachs Zeit. Man setzte sich scharf auseinander, die Theologen gegen die Rationalisten, da ging es wechselseitig ordentlich polemisch zur Sache. Dass gegen die „taumelnde Vernunft“ der Philosophen polemisiert wird, die sich anmaßt, den Glauben zu kritisieren, ist da noch das Harmlosere. Denn da sollen die törichten Propheten gar mit dem Feuer des Gotteszorns getötet werden.

Ganz so weit geht es bei Jesus in der Bergpredigt nicht. Aber scharf ist schon, was Matthäus Jesus hier sagen lässt: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu Euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“

Wo Bach diesen Vers zum Anlass nimmt, gegen eine Vernunft zu polemisieren, die sich an sich selbst verhebt, richtet Matthäus sie wahrscheinlich gegen einige in seiner Gemeinde, die einen besseren Messias erwarteten. Einen, wie sie ihn sich vorstellten, einen Retter ohne Makel, unverletzlich und unsterblich. Und wahrscheinlich versuchten sie, die Gemeinde auf ihre Seite zu bringen, indem sie mit ihren Ängsten spielten: Rettung vor dem drohenden Ende der Welt gibt es nur, wenn man ihnen folgt.  

Nun: Jede Zeit bringt Menschen hervor, die sich dieser Ängste zu bemächtigen versuchen. Sie tragen Schafskleider: Sie wollen freundlich wirken, geben vor, sich um die Schwachen zu kümmern, sich auf ihre Augenhöhe zu begeben. Aber in Wirklichkeit haben mit ihnen nichts im Sinn und sinnen nur darauf, all das einzureißen, was Minderheiten schützt und am Ende kennen sie nur eins: das wölfische Recht des Stärkeren. Sie fahren mitten hinein in die Herde und suchen sie auseinanderzutreiben. Wir kennen sie auch, etwa diejenigen mit ihren dunklen Prophezeiungen, die auf so manchem Marktplatz begierig gehört werden – nicht nur in Thüringen. Eigentlich könnten es alle schon wissen – die von ihnen als begehrenswert angepriesenen Früchte haben ein fauliges Inneres. Wenn sie denn überhaupt Früchte zustande bekommen vor lauter Streit und wölfischem Verhalten untereinander…

Jesus ist sehr klar in seiner Rede: Es können keine Feigen aus Dornengestrüpp herauswachsen. So ist es. Und es wird sich am Ende immer erweisen, was gute und was schlechte Früchte sind – es wird „aufgedeckt“ wie es etwa im Altrezitativ der Kantate heißt. Allerdings muss man auch sagen: Manchmal fallen wir halt auch rein. Und gar nicht so selten. Wir können die Früchte nicht immer gleich und sofort sicher erkennen. Manchmal haben wir das Gespür dafür und denken: da stimmt doch was nicht. Aber manchmal eben auch nicht. Oder wir wollen sie nicht erkennen. Siehe Putin – alle Früchte seiner Herrschaft liegen offen zutage, seit Jahren. Auch das gibt’s: Wir gucken nicht wirklich hin.

Andererseits – und da wieder auf uns geschaut: Soll wirklich allein über einen Menschen entscheiden, wie er auf andere wirkt? Ob das ankommt, was er an Früchten hervorbringt? Finden wir zu uns, zu unserer Wahrhaftigkeit, wenn wir das immer im Hinterkopf haben müssen? Vielleicht muss man auch mal selbst faule Früchte produziert haben, um zu sich zu finden.

Zumal das Problem ja auch darin besteht, dass jemand nicht bewusst die Unwahrheit sagt oder den Irrtum predigt. Da kommen ja auch Leute zu Jesus, die sind fest der Meinung, wir haben doch alles so gemacht, wie Du es gesagt und gewollt hast. Schnell können wir uns auch auf dieser Seite wiederfinden und hätten das gar nicht vermutet. So können wir die Warnung Jesu durchaus auch in dem Sinne verstehen: Hütet Euch auch vor Euch selbst, ihr gehört vielleicht schneller zu den inwendigen Wölfen als ihr denkt, auch hier lauert die Gefahr.

Aber Jesus wäre nicht Jesus, wenn er einem nicht eine ziemlich klare Richtschnur auf den Weg geben würde. In der Bergpredigt findet sie sich unmittelbar vor diesem Abschnitt. Es ist die sogenannte „Goldene Regel“: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch. Das ist das Gesetz und die Propheten.“ Eine Richtschnur, wahrhaftig zu leben und zu handeln. Und eine Konsequenz aus dem, was Jesus an anderer Stelle ebenfalls zuspitzt als Kennzeichen wahren Gesetzes und der wahren Prophetie: Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Das ist alles. Und es entlarvt noch einmal die falschen Propheten. Ihnen geht es am Ende immer um die eigenen Belange und nicht um dieses Gesetz der Liebe. Deshalb spricht Jesus am Ende von „Gesetzesbrechern“. Sie brechen dieses Gesetz seiner Liebe.

Immer wieder ist das Ganze ein Ringen um den richtigen Weg. Es ist schon auch manchmal ein Kampf in uns, manchmal auch ein „Kreuzesmeer“, wie es im zweiten Satz der Kantate heißt. Auch davon spricht Jesus - und auch das direkt vor unserem Predigttext: von der engen Pforte, durch die wir gehen sollten. Es braucht auch Zeit, sich da hindurch zu quetschen. Die Geduld aufzubringen, sich und die anderen dabei in Ruhe entwickeln zu lassen – auch das gehört dazu, am Ende gute Früchte hervorzubringen. Früchte müssen wachsen. Und darin möge Gott tatsächlich, wie es die Kantate besingt, „bei uns halten“.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org