Predigt über Matthäus 7,24-27

Die Predigt wurde im Ökumenischen Gottesdienst anlässlich der Graduierung des Absolventenjahrgangs 2017 der Leipzig Graduate School of Management gehalten.

  • 29.08.2017
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt über Matthäus 7,24-27, 9. Sonntag nach Trinitatis, 13. August 2017

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Va-ter und dem Herrn Jesus Christus.

Jesus spricht: Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. 25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. 26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. 27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.

Liebe Gemeinde,
Sturm, Starkregen, Erdrutsch - damit verbinden sich nicht nur die jüngsten Wetterereignisse. In dem Bild, das Jesus hier gebraucht, erschreckt das auf Sand gebaute, vom Einsturz bedrohte Haus. Solche windi-gen Baustellen gibt es derzeit zuhauf. Die Sorglosigkeit krimineller Energie, der wir den „Dieselskandal" verdanken. Die brandgefährliche gegenseitige Ver-nichtungsrhetorik zwischen den USA und Nordkorea. Der Kalifentraum des türkischen Präsidenten, der Hoffnung und Wohlergehen unzähliger Menschen zu-nichtemacht. Nicht nur derer, die aus dem Dienst ent-lassen oder gleich inhaftiert werden, sondern all derer, die von einem freien Land geträumt haben, in dem es sich leben lässt. Wo man sicher wohnen und in Ruhe und Frieden auf sicherem Grund existieren kann.

An all das mag man sofort denken bei diesen Worten. Dennoch hat Jesus mit seinen mahnenden Worten eigentlich nicht nach außen, sondern nach innen geblickt. Das widerspricht dieser Sichtweise natürlich nicht, denn dieser gerade der Blick nach innen verdeutlicht, woran es hapert bei all dem Genannten. Wie man sein Haus klug oder töricht baut, das findet sich am Ende der Bergpredigt als ein deutlicher Fingerzeig auf die Bedeutung dieser Rede. Höre sie und befolge sie - auch wenn das zum Teil „starker Tobak" ist, schwer zu verdauen ist es, hartes Brot. Aber gerade das kann ja nahrhaft zum Leben und hilfreich sein, dieses Leben in Würde und Fröhlichkeit zu bestehen.

Insofern stellt sich mit diesem Text sogleich die Frage, wie man die gesamte Bergpredigt denn überhaupt zu verstehen hat. Der vor einigen Jahren verstorbene jüdische Neutestamentler Pinchas Lapide hat nicht nur, aber auch über die Bergpredigt einmal gesagt: „Sie können die Bibel ernstnehmen - oder wörtlich. Beides zusammen geht nicht." Nun zeigen aber gerade die bekanntesten Verse dieser Rede Jesu, wie schwierig sich das gestalten kann. Die Feinde lieben und für die beten, die einen verfolgen, die andere Wange auch noch hinhalten, wenn man auf die eine schon geschlagen wurde. Mit Freuden das Doppelte geben, verschenken, was von einem erwartet wird. Das Gebet nur im stillen Kämmerlein, ohne die geistlich-seelische Erbauung von festlicher Musik und gemeinsamem Gesang ... und so weiter: Wann kriegt man das schon mal hin? Das ist erst mal unbequem und irritierend und stellt uns natürlich nicht nur vor die Frage, ob wir das alles wörtlich verstehen können bzw. wie weit das geht, um das Gesagte auch wirklich ernst zu nehmen. Es ist erst mal so unbequem, weil es in einem krassen Widerspruch zu dem steht, was wir doch als protestantische Christen gelernt haben und was wir doch gerade in diesem 500. Jubiläumsjahr der Reformation immer wieder hochhalten: Dass es doch gerade nicht um das Tun und die guten Werke geht und dass der Mensch vor Gott gerecht wird ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben. Was also tun mit den radikalen Forderungen der Bergpredigt, die hier noch kompromisslos bekräftigt werden? Da beginnen die Eiertänze der Ausleger - und zwar insbesondere derjenigen, die da doch vieles wörtlich nehmen und in echte Erklärungsnöte kommen. Jesus - so heißt es dann - wusste genau, dass wir gar nicht fähig sind zu dem, was er hier verlangt. Und das es ihm deswegen nur darum ging, zu zeigen: Wir bleiben immer hinter dem zurück, was Gott von uns will, damit wir erkennen: Wir sind auf nichts als Gnade und Barmherzigkeit angewiesen Letztlich sind und bleiben wir alle der, der auf Sand gebaut hat und fallen mit unserem ganzen Christentum immer wieder auf die Nase - aber Gott nimmt uns trotzdem an. Und schon passt es wieder, die Bergpredigt wird zu einer Art Beichtspiegel für den einzelnen, aber Politik kann man damit nicht machen.

Ja, so einfach kann man es sich machen. Aber dann nimmt man es nicht ernst, weil man es wörtlich nimmt und nicht genug differenziert. Denn Jesus sagt letztlich genau das Gegenteil. Es hilft nichts, hier geht es um das Tun und um die richtigen Werke. Ich denke, der Schlüssel zum Verstehen liegt in dem Bild selbst, mit dem Jesus das Tun seiner Lehre veranschaulicht. Und ich denke auch, dass dieses Bild ein Verständnis-schlüssel für die ganze Bibel ist und auch dafür, wie wir sie nach Pinchas Lapide wirklich ernst nehmen können.

Zunächst sagt Jesus: Auf mich zu hören hat zu tun mit dem, wie ich mein Haus baue - also, in welcher Haltung ich mein Leben gestalte. Hören und Bauen sind bleibend aufeinander bezogen. Wer also beim Bauen nicht mehr hört, weil er ja eifrig mit Bauen beschäftigt ist, bei dem besteht Gefahr, dass es schief wird. Denn er hört ja nicht, wo gegebenenfalls Korrekturen angebracht wären... Und, wie vorhin schon erwähnt: Bauen tun wir nach diesem Bild alle - auch der, der alles auf bzw. in den Sand setzt. Man kann im Leben nicht wählen zwischen Bauen oder nicht, wir alle bauen unser Lebenshaus, aktiv oder passiv. Wir sind damit beschäftigt, Räume zu schaffen: für die Art, wie wir unseren Lebensunterhalt verdienen; wir schaffen uns - hoffentlich - Schutz-und Freiräume für uns selbst in de-nen wir Kräfte schöpfen, Räume für den Aufbau und die Pflege von Partner- und Freundschaften, für die Erziehung und Begleitung von Kindern. Und wenn wir das Haus einigermaßen hinkriegen wollen, kann man nicht einfach ohne Plan loslegen, man muss sich Gedanken machen.

Und da gibt es - und darauf bezieht sich unser Predigt-text - im vorher Gesagten Materialien, auf die Jesus hinweist. Sie bestehen aber nicht nur aus dem so schwierig zu handhabende Baustoff der Feindesliebe oder des Hinhaltens der Wange. Davor und dahinter - liegen noch andere, die auch anders zu handhaben sind.
Da ist zuerst der Baustoff der Seligpreisungen. Damit geht alles los. Selig sind die Armen, die Leidtragenden, die Sanftmütigen, die, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, die Friedfertigen, die Verfolgten - all die, die nichts zu bieten haben außer der Sehnsucht danach, dass es auf dieser Erde anders zugeht als bisher: dass alle Menschen zu ihrem Recht und zur Lebensfreude kommen. Sie sind selig weil in ihnen die kommende Welt Gottes hier schon sichtbar wird. Ein wichtiger Baustoff für die Öffnungen des Lebenshauses, für Türen und Fenster, damit sichtbar bleibt, worauf Gott mit dieser Welt hinaus will - und damit will das Haus immer frisch gelüftet sein, damit man nicht erstickt im Mief des Naheliegenden.

Dann erst kommen die berühmten Worte, die uns die alten Gebote neu ins Herz legen und uns einschärfen: Das Töten fängt schon da an, wo wir unseren feindseligen Gefühlen anderen gegenüber Raum geben. Ha-ben tun wir sie alle. Gerade deshalb, weil sie immer wieder nach-und eindrängen, ist es wichtig, für sie keinen Raum in unserem Lebenshaus vorzusehen. Gerade der Baustoff der Feindesliebe zwingt dazu, sich mit diesem Feindbild oder durchaus eben auch dem Feind auseinanderzusetzen und vielleicht zu ver-stehen, wie er zu seiner Einstellung kommt, zumindest zu versuchen darauf zu achte, was man dazu tun kann, dem Gegner die Aggressivität zu nehmen und ihn zur Versöhnung zu befähigen - so dass zumindest Dialog möglich wird. Einen deutlicheren Aufruf zu ernsthafter Besonnenheit als diesen aus der Bergpredigt, der ernstgenommen auch im politischen Bereich Anwendung finden kann, die gibt es m.E. kaum. Es bleibt die Arbeit, die Kreativität und das Können und Vermögen, das dazu gehört, es umzusetzen, das „Wie" ist die Frage, die die Politik selbst beantworten muss. Der Baustoff aber- oder man kann auch sagen der Denkstoff - an sich ist hier durchaus zu finden.

Und das gilt auch für den, der vielleicht als erstes für die Vorratsräume unseres Lebenshauses zu verwenden ist, denn davon kann man nicht genug anhäufen: den Baustoff der Großherzigkeit. Das doppelte Maß anzusetzen als man eigentlich müsste, steht doch wohl dafür, sich vor dem verhängnisvollen Irrtum bewahren zu lassen, dass mein Wert an dem hängt, was ich habe und was ich tue. Mein Wert hängt aber allein daran, dass Gott mich hat. Eine Wahrheit, die nicht nur mit Ohren gehört, sondern auch durch einen entsprechenden Umgang mit Geld und Gut praktiziert werden will. Sonst wird sie zur hohlen Phrase, die auch nicht den geringsten Halt gibt. Auch da gilt: Das „Wie" ist eine Frage der verantwortungsvollen Gestaltung. Wichtig ist nur, diesen Baustoff auch zu verwenden und nicht vor sich hin rotten zu lassen.
Und dann ist noch der Baustoff für das berühmte Kämmerlein mit der verschließbaren Tür, wo man sich angesichts von Feindesliebe und Besonnenheit ja schnell fragt, ob das denn eigentlich auf die gleiche Ebene gehört oder ob das nicht nachrangig ist. Aber ich meine, dass dieser Punkt bewusst damit in einer Reihe steht, und dass er in besonderer Weise eine Voraussetzung bietet um etwas ernst zu nehmen, nachzudenken und verantwortlich zu handeln im Rahmen des Gebotenen. Gerade hier geht es um den Raum, den man für sich allein hat. Wo man zur Ruhe kommt, nachdenkt oder um Inspiration bittet. Nicht zu-letzt gehört auch das ja zu den entscheidenden Erkenntnissen, die wir Luther und der Reformation bis heute verdanken: Dass der einzelne eine Rolle spielt. Seine Unmittelbarkeit zu Gott, die Wertschätzung und zugleich Verantwortlichkeit eines jeden einzelnen un-abhängig von Stand und Herkunft, und seine Fähigkeit, das Wort Gottes in sich zu bewegen, es wirken zu lassen und auf seiner Basis dann auch zu handeln. Und deshalb braucht es gerade diesen Raum, um sich zu sammeln und sich darüber klarzuwerden, was jetzt dran ist und wie man zurechtkommen kann mit den vielfältigen Anforderungen, die einen mitunter zu zerreißen drohen. Wo, wenn nicht in diesem Raum, kommt zur Geltung: Da ist einer, der einen hier haben will - und den man darauf persönlich auch ansprechen kann. Auch das Vaterunser hat seinen Platz unter den als für das stabile Haus unabdingbaren Faktoren: Es ist für ein starkes Lebensfundament wichtig, dass wir aussprechen können, was wir brauchen und was uns belastet bis hin zu unserer Angst, überfordert zu wer-den und den Glauben zu verlieren, worum es am Ende des Vaterunser geht: führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Man könnte noch mehr einzelne Punkte betrachten, aber diese wenigen zeigen deutlich, worum es geht: Wenn es um das Fundament unseres Hauses geht, geht es um das Fundamentale. Nicht um das Funda-mentalistische. Deutlich wird bei der ständigen Korrelation von Hören und Tun: Das Fundament für unser Handeln ist unsere am Hören geschulte Haltung. Eine wörtliche Ein-zu-eins-Umsetzung der Bergpredigt, die noch dazu ohne jegliche Kenntnis der sozial-und kulturgeschichtlichen Hintergründe dieser Bildsprache vorgeht, wäre nicht fundiert, son-dern fundamentalistisch. Statt des Reiches Gottes zu ersehnen würde man eher an einer Art christlichem Gottesstaat arbeiten. Aber darum geht es mit diesen Forderungen bzw. Bausubstanzen für das stabile Haus des Lebens gerade nicht. Es geht um die fundamentalen Dinge, die das Haus sichern und die wir kennen sollen.

An den absoluten Ansprüchen werden wir zwar scheitern. Da haben die, die die Bergpredigt ausschließlich als Beichtspiegel verstehen, durchaus Recht. Aber es gilt eben auch: Je höher das Ziel angesetzt ist, desto weiter kommt man schon wenigstens beim Versuch, es zu erreichen. Vielleicht kann die Erfüllung auf einer höheren, „geistigen" Ebene, in den grundsätzlichen Einstellungen erfolgen - so kommt man jedenfalls in der Zielstellung weiter. Zu fragen ist bei den Antithesen der Bergpredigt, welche Vorstellung einer Gesellschaft jeweils hinter ihnen liegt, welcher Geist in ihnen weht. „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig", schreibt der Apostel Paulus in 2. Korintherbrief, in der Bibel selbst ist immer wieder zu finden, wie sie verstanden und ernst genommen werden will.

Und nochmals: Das Tun ist wichtig. Immer wieder geht es gerade im Matthäusevangelium um das Tun des Richtigen. Aber gerade da ist auch immer wieder zu finden, wie man die Gnade Gottes darin ernstnehmen kann, dass man den von Gott zum Handeln aufgerufenen Menschen ernst nimmt.

Und das tut für mich dieses Ende der Bergpredigt. Es nimmt den Menschen in seinem Versuch ernst, die Bergpredigt und überhaupt die Bibel ernst zu nehmen. Die darin erzählte Erlösung und Befreiung dankbar anzunehmen im Bewusstsein der eigenen Geschöpflichkeit und der damit verbundenen Begrenztheit, Zerbrechlichkeit und was sonst noch schlicht zu uns ge-hört. Und all das mit der uns dennoch möglichen Vernunft zu durchdenken, und immer wieder in jeder Situation diese Rede Jesu zu hören, genau hinzuhören und zu entscheiden, was in der jeweiligen Situationen als Handlungen folgen könnte - im Bewusstsein und Wissen, dass andere, die ja auch hören, dennoch zu anderen Ergebnissen kommen können als ich selbst. Wie das Haus am Ende aussieht, das man baut, das ist relativ egal, solange das Fundament stimmt. Wo Hören und Bauen beieinander bleiben, da ist die Voraussetzung gut, weise zu werden und das Törichte nach und nach abzulegen. Darum aber kann man nur immer wieder bitten.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddi-ken@thomaskirche.org