Predigt über Matthäus 8,23-27

  • 28.01.2024 , 3. Sonntag vor der Passionszeit - Septuagesimae
  • The Reverend Dr. Robert Moore

Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias

Mit Fürbittgebet und Kantatentext

28. Januar 2024 um 9.30 Uhr Thomaskirche zu Leipzig

The Reverend Dr. Robert G. Moore, Gastpfarrer

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder,

Der Predigttext steht im Matthäusevangelium im 8. Kapital. Die Geschichte von der Stillung des Seesturms ist der biblische Hintergrund der Kantate, die wir gerade gehört haben:

23 Und Jesus stieg in das Boot und seine Jünger folgten ihm. 24 Und siehe, da geschah ein großes Beben im Meer, sodass das Boot von den Wellen bedeckt wurde. Er aber schlief. 25 Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir verderben! 26 Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer; und es ward eine große Stille. 27 Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?

1933 wurde Franklin Delano Roosevelt in das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten eingeführt. Damals befand sich Amerika gesellschaftlich in einer dramatischen Situation. Die Wirtschaftskrise dauerte an. Roosevelt war überzeugt, ein Lösungskonzept für alle Probleme zu haben. Aber wie konnte er die Hilflosigkeit des Durchschnittsamerikaners und seine Angst davor, ins Nichts abzurutschen, überwinden? Roosevelt wandte sich in einer Rede direkt an die Nation:

Es ist jetzt an der Zeit, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit, offen und mutig. Wir dürfen auch nicht davor zurückschrecken, uns der Situation in unserem Land heute ehrlich zu stellen. Diese große Nation wird überleben, so wie sie überlebt hat, sie wird sich erholen und sie wird gedeihen. Lassen Sie mich also zuallererst meine feste Überzeugung bekräftigen, dass das Einzige, was wir zu fürchten haben, die Angst selbst ist - namenloser, unbegründeter, ungerechtfertigter Terror, der die notwendigen Bemühungen lähmt, Rückzug in Fortschritt umzuwandeln.

Viele Amerikaner haben damals seinen Worten Vertrauen geschenkt. Noch heute erinnern sich Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten an diese Rede.

Ob Roosevelt bewusst war, dass die Quelle seiner Gedanken im Stoizismus zu finden ist, wissen wir nicht. Aber der Stoizismus war in der Zeit der Antike eine starke Alternativ zum christlichen Glauben. Beide, Stoizismus und christlicher Glaube, beschäftigen sich mit dem Umgang mit menschlichem Leiden und Angst. Der Theologe Paul Tillich beschreibt den Stoizismus so:

„Die Stoiker haben eine Analyse der Angst gegeben, die ebenfalls an jüngste Einsichten erinnert. Sie haben entdeckt, dass der Gegenstand der Furcht die Furcht selbst ist. „Nichts an den Dingen“, sagt Seneca, „ist fürchterlicher außer der Furcht selbst.“ Und Epiktet sagt: „Nicht Tod oder Not sind das Fürchterliche, sondern die Furcht vor ihnen.‘“ (Paul Tillich, Der Mut zu Sein)

Durch die Einsicht, dass das Leiden mehr aus Furcht und Angst als aus Schmerz und Tod besteht, haben die Stoiker dazu veranlasst, den Menschen zu lehren, wie man die Furcht und Angst bewältigen und sich so mit seinem Schicksal abfinden kann.

Der griechische Philosoph Sokrates war das beste Beispiel eines Stoikers. Er wurde für seine Ideen zum Tode verurteilt, hat seine Verurteilung akzeptiert und hat aus dem Schierlingsbecher getrunken, ohne den Tod zu fürchten.

Doch wo bleibt Gott in dieser Lebensphilosophie? Der taucht jenseits des Lebens und des Todes, jenseits des Schmerzes und des Leidens auf. Im Hier und Jetzt spielt er keine Rolle. Da herrscht nur die Resignation vor der Welt und vor Gott. Keine Schuld, kein Leiden, keine Leidenschaft.

Der christliche Glauben mit seinen hebräischen Wurzeln verfolgt einen anderen Ansatz. Zwar geht auch der biblische Glaube davon aus, dass die Furcht das eigentliche Problem ist. Einer der bekanntesten Verse aus der Bibel lautet: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir“. (Psalm 23,4) In der hebräischen Tradition ist Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde. Er ist aber nicht ausschließlich im Jenseits verortet – Gott ist gegenwärtig! Er ist in der Wirklichkeit erfahrbar.

Doch genau damit haben wir immer wieder unsere Probleme. Genau wie die Jünger, die sich plötzlich einem Sturm ausgesetzt sahen. Ihr Boot drohte zu kentern: Panische Angst überfällt sie. Sie fürchten zu ertrinken. Angesichts des „Todes Abgrund“ wuchs in ihnen die ängstliche Frage, mit der die Kantate beginnt, zu einem unüberwindlichen Berg: „Jesus schläft, was soll ich hoffen?“ Lässt meine Lebensangst überhaupt noch Raum, an die Gegenwart eines rettenden Gottes zu glauben? Vermögen wir mitten im Sturm der Wellen, mitten in unserer Verunsicherung durch alle Zweifel hindurch doch noch die Stimme zu hören: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“

Diese kritische Frage Jesu bildet den Mittelpunkt der Kantate und führt in die Mitte des Glaubens. Im Glauben prallen sie dann aufeinander: die Angst der Jünger und die provozierende Gelassenheit Jesu. Die Geschichte von der Stillung des Seesturms zeigt auf: Auf der einen Seite sind da die Stürme des Lebens, unsere Ängste davor in ihnen unterzugehen, nicht mehr klarzukommen mit der Wirklichkeit; auf der anderen Seite ist das Vertrauen darauf, dass Gott uns auch in Untergangsszenarien nicht alleinlässt. Beides gehört zusammen, wird durch den Glauben miteinander verbunden. Das macht Bach in der Bass-Arie der Kantate auf großartige Weise deutlich. Jesus reagiert auf die Naturgewalten so überlegen und das Leben bewahrend, dass alle Stürme zurückgehen und Vertrauen wachsen kann: „Schweig, aufgetürmtes Meer / Verstumme, Sturm und Wind!“

Was wir daraus lernen können? Solange wir auf dieser Erde leben, werden wir der Vergänglichkeit und Sterblichkeit, auch den Natur- und Zivilisationskatastrophen ausgesetzt sein. Denn die Bedrohung des Lebens liegt nicht begründet in einem Konstruktionsfehler der Schöpfung. Vielmehr entspringt dies alles dem Machtanspruch des Menschen, so sein zu wollen wie Gott; die Rolle von Schöpfer und Geschöpf immer wieder zu verwechseln. Darin liegt die Ursache für die Begrenztheit und Fehlbarkeit des Lebens. Dem zerstörerischen Machtanspruch des Menschen setzt Gott aber mit Jesus Christus seine Gnade entgegen. Er reagiert eben nicht auf Sturm mit Sturm, auf Wut mit Wut, auf Angst mit Angst verursachender Gewalt. Mit der Gnade Gottes, mit der liebenden Zuwendung Jesu lassen sich alle Lebensstürme stillen. Mit dieser können wir Gelassenheit erfahren. Diese Gelassenheit sollten wir aber nicht als „Schlaf“ deuten. Vielmehr ist Gelassenheit aus dem Glauben eine besondere Form der Aufmerksamkeit: Gottes Aufmerksamkeit für uns Menschen, unsere Aufmerksamkeit für den Nächsten.

So ist ja auch der Schlusschoral der Kantate zu deuten:

Unter deinen Schirmen

Bin ich für den Stürmen

Aller Feinde frei.

Lass den Satan wüttern,

Lass den Feind erbittern,

Mir steht Jesus bei.

Ob es itzt gleich kracht und blitzt,

Ob gleich Sünd und Hölle schrecken,

Jesus will mich decken.

Ja, das ist kein Stoizismus. Kein willenloses Hinnehmen all der Dinge, die mir Angst machen. Im Choral kommt pures Gottvertrauen zum Ausdruck. Ein Gottvertrauen, das mich aus Ängsten befreit, mir Widerstandskraft verleiht, den Stürmen standzuhalten, nicht unterzugehen, mich und andere nicht zu vertrösten auf das Jenseits. Leider aber mangelt es uns allzu oft an diesem Gottvertrauen wie den Jüngern. Und dann wuchern die Ängste, die das eigentliche Übel sind. Sie rauben uns die Kraft, den Stürmen standzuhalten, Hoffnung zu mobilisieren, Gottvertrauen anzuwenden. Darum hatte Roosevelt Recht, als er den Menschen zurief: Das Einzige, was wir zu befürchten haben, ist die Angst. Ja, Jesus sagt an anderer Stelle: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Wir können froh und dankbar sein, dass der so aufmerksam schlafende Jesus doch im entscheidenden Moment aufwacht, uns beisteht und uns an unsere Lebensmöglichkeiten und Widerstandsfähigkeit erinnert. Wir können hoffen!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Fürbittgebet

(Fürbitten von Katharina Wiefel-Jenner)

 

Du sprichst,

barmherziger Gott,

damit es in uns hell wird.

Du sprichst,

damit es in der Welt hell wird.

 

Vertreibe mit deinem hellen Schein 

die Finsternis des Krieges,

dass es ein Ende hat 

mit dem Tod,

mit den Vergewaltigungen,

mit der Angst.

Wir rufen zu dir: 

Erbarme dich.

 

Vertreibe mit deinem hellen Schein

das Dunkel von Streit und Lüge,

dass es ein Ende hat

mit hartherzigem Beharren auf dem Eigenen,

mit verächtlichen Worten über die anderen,

mit unbarmherzigen Blicken auf die Schwachen.

Wir rufen zu dir: 

Erbarme dich.

 

Bekehre mit deinem hellen Schein

alle, die Schuld auf sich geladen haben,

dass es ein Ende hat

mit Verschweigen und Vertuschen,

damit Bitten um Vergebung von Herzen kommen,

damit die Wunden von Missbrauch heilen können.

Wir rufen zu dir: 

Erbarme dich.

 

Ermutige mit deinem hellen Schein alle,

die im Schatten leben,

damit sich die Geknickten aufrichten,

die Gedemütigten wehren,

die Mutlosen aufatmen.

Wir rufen zu dir:

Erbarme dich.

 

Hülle ein in deinen hellen Schein

unsere Verstorbenen.

und alle, die trauern.

 

Wenn du sprichst,

barmherziger Gott,

hat die Finsternis verloren.

Sprich auch heute

und lass es licht werden

in uns,

in deiner Kirche,

in deiner Welt

durch Jesus Christus, unseren Morgenstern. Amen.

Text zur Bach-Kantate BWV 81 „Jesus schläft, was soll ich hoffen?

 

1. Arie Alt

Flauto I/II, Violino I/II, Viola, Continuo

Jesus schläft, was soll ich hoffen?

Seh ich nicht

Mit erblasstem Angesicht

Schon des Todes Abgrund offen?

            

2. Recitativo Tenor

Continuo          

Herr! warum trittest du so ferne?

Warum verbirgst du dich zur Zeit der Not,

Da alles mir ein kläglich Ende droht?

Ach, wird dein Auge nicht durch meine Not beweget

So sonsten nie zu schlummern pfleget?

Du wiesest ja mit einem Sterne

Vordem den neubekehrten Weisen,

Den rechten Weg zu reisen.

Ach leite mich durch deiner Augen Licht,

Weil dieser Weg nichts als Gefahr verspricht.

            

3. Aria Tenor

Violino I/II, Viola, Continuo    

Die schäumenden Wellen von Belials Bächen

Verdoppeln die Wut.

Ein Christ soll zwar wie Felsen stehn,

Wenn Trübsalswinde um ihn gehn,

Doch suchet die stürmende Flut

Die Kräfte des Glaubens zu schwächen.

            

4. Arioso Bass

Continuo          

Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?

            

5. Aria Bass

Oboe d'amore I/II, Violino I/II, Viola, Continuo          

Schweig, aufgetürmtes Meer!

Verstumme, Sturm und Wind!

Dir sei dein Ziel gesetzet,

Damit mein auserwähltes Kind

Kein Unfall je verletzet.

            

6. Recitativo Alt

Continuo          

Wohl mir, mein Jesus spricht ein Wort,

Mein Helfer ist erwacht,

So muss der Wellen Sturm, des Unglücks Nacht

Und aller Kummer fort.

            

7. Choral

Oboe d'amore I/II e Violino I col Soprano, Violino II coll' Alto, Viola col Tenore, Continuo         

Unter deinen Schirmen

Bin ich für den Stürmen

Aller Feinde frei.

Lass den Satan wittern,

Lass den Feind erbittern,

Mir steht Jesus bei.

Ob es itzt gleich kracht und blitzt,

Ob gleich Sünd und Hölle schrecken,

Jesus will mich decken.