Predigt über Mk 10, 17ff - Der reiche Jüngling

  • 15.10.2017 , 18. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Mk 10, 17-27 am 18. Sonntag p. Tr., 15.10.2017, St. Thomas zu Leipzig um 09.30 Uhr

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Wer kann noch gerettet werden? Das fragen sich nicht nur die Jünger Jesu, als sie erschrocken von ihm hören, dass es leichter ist für ein Kamel, durch ein Nadelöhr zu gehen als für einen Reichen in den Himmel zu kommen. Jesus meinte das wirklich so. Alle Versuche, hier über geographische oder philologische Raffinessen, dies harte Wort abzumildern, sind kläglich gescheitert und das zu Recht.

Wer kann noch gerettet werden?

„Eigentlich niemand“, müsste die Antwort lauten. Wenn wir in den Spiegel schauen würden, dann könnten wir sogar noch ergänzen: „Und ich gleich gar nicht.“ Denn kaum einer von uns, dürfte sich zu den Armen zählen, oder doch? 

Hier lohnt sich, bevor wir weiter in den Text einsteigen, der Blick darauf, wie Armut eigentlich definiert wird. Der Millionär und der Bettler haben statistisch jeder eine halbe Million Euro zu Verfügung. Anhand dieses Beispiels wird die Absurdität von Armutsstatistiken deutlich. Sie besagen, dass jener als „arm“ eingestuft wird, der weniger als 60% des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Schon allein in den verschiedenen Regionen ließe sich hier ein amüsantes Statistikspiel betreiben. Der Arme vom Starnberger See beispielsweise wäre ein sehr Reicher in Gelsenkirchen.

Und europaweit gesehen sind fast alle Deutschen im Vergleich zu den meisten Ländern reich. Da ist die weltweite Perspektive noch gar nicht zur Sprache gekommen. Andererseits vergessen diejenigen, die gerne vom reichen Deutschland sprechen, dass jeder, der hier sitzt mit 27.000 € dem Staat gegenüber in der Kreide steht.

Sehen wir einmal von Hungerarmut ab, unter der in unserem Land wirklich niemand zu leiden braucht, weil unsere sozialen Sicherungssysteme diesbezüglich sehr gut funktionieren, müssen wir von einem anderen Standpunkt aus auf Armut schauen. Arm in unserem Land wäre dann doch vielmehr derjenige, dem Dinge verwehrt bleiben, wie Kultur, Bildung, gesellschaftliche Ereignisse, gesellschaftliche Teilhabe. Nicht vergessen dürfte man noch die Armut an Lebenssinn, die wiederum auch so manchen Reichen beschleicht. Vor zwei Dingen sollten wir uns aber hüten.

Erstens Armut zu bagatellisieren und zweitens sie zu ideologisieren.

 

Ich denke, Jesus verstand unter „reich sein“ etwas anderes – nämlich die Unmöglichkeit eines Menschen, loslassen zu können. Schauen wir also von diesem Gedanken aus einmal auf die kleine Begebenheit, die uns Markus im 10. Kapitel aufgeschrieben hat. 

17 Und als er hinausging auf den Weg, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?

18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als der eine Gott.

19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.«

20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.

21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach!

22 Er aber wurde betrübt über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.

23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!

24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen!

25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.

26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden?

27 Jesus sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

 

Befreiung vom Gebundensein

Mit seiner Bereitschaft und Sehnsucht, mit seiner Suche nach dem, was bleibt im Leben, kommt der Reiche Jüngling zu Gott. Stellen wir uns nicht auch hin und wieder diese Frage? Was bleibt eigentlich? Das, was ich vererben werde? Ein kleiner Gedenkstein für einen gepflanzten Baum? Ein paar schöne Erinnerungen der Kinder und Enkel?

Sie kann ganz schön umtreiben diese Frage und in Bewegung setzen. Der Jüngling hat sich auf den Weg gemacht und macht nun vor Jesus den Kniefall. Sein eigenes Sicherheitsbedürfnis lässt den Jüngling erschrecken, wie übrigens auch die Jünger selbst. Gehen wir wirklich in uns, wird es uns kaum anders gehen. Wer ist bereit, alle Sicherheiten aufzugeben?

Aber Achtung: Hier droht wieder die Gefahr, Armut zur Ideologie zu machen.

Ich denke, dass Jesus das gerade nicht beabsichtigte. Was er aber seine Absicht war ist: Überprüfe, liebes Menschenkind, wie groß deine Sehnsucht nach Sicherheit ist und ob du dein Leben allein von ihr bestimmen lassen willst, oder ob du dich stückweise davon befreien kannst. Weil wir Menschen aber dazu neigen, genau jenes „stückweise“ dann schnell zu vergessen, redet Jesus so radikal, dass einem der Schreck ins Gesicht fährt, wie bei den Jüngern geschehen. Traurig geht der Reiche Jüngling davon, weil ihm die Sicherung wichtiger ist als das Wagnis zum Aufbruch, weil er sich vielleicht doch mehr erhofft vom eigenen Tun und Vermögen als denn vom Vertrauen, dass ihm alles geschenkt werden wird. Er schafft es nicht, dieses Beschenken selber zu vollziehen.

Anders die Jünger: Sie folgten Jesus nach und ließen Netz und Boot liegen, standen vom Zolltisch auf oder gingen neue Wege in eine neue Gemeinschaft. Nachfolge verändert. Dazu ist der Jüngling nicht bereit. Tun kann er viel und hat das bisher auch getan, indem er die Gebote hielt. Was ihm fehlt, ist das Lassen-können. Das wird ihm deutlich und deswegen seine Traurigkeit.

 

Beschenkt sein als Reichtum

 Wer es vermag, sich von Dingen zu trennen, um anderen damit eine Freude zu machen, erlebt schon ein Stück himmlischer Vorfreude. Auch dafür steht die Einladung Jesus, von den Gütern abzugeben. Teilen macht glücklich. Teilen verändert die Gesellschaft. Wir erleben das gerade, weil wir an der Schwelle zur so genannten sharing economy stehen, wo Waren und Produktionswege geteilt werden, weil das am Ende viel effektiver sein wird. Doch auch hier sind die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich in Ausflüchten zeigen, warum jenes oder dieses gerade nicht gehen soll. Am deutlichsten wird uns solches Umdenken vor Augen geführt, wenn wir auf die Automobilität schauen.

Doch zurück zu Jesus und seinem Schüler bzw. den Jüngern. Könnte es vielleicht auch sein, dass die Aufforderung, sich vom Besitz und dessen Sicherungsversprechen zu lösen, auch noch eine andere Intention hatte? Für mich ist folgender Gedanke interessant:

Jesus lädt ein, Güter gerecht zu verteilen. Der reiche Jüngling hat viel davon, andere sind ausgeschlossen und deshalb arm. Gehe ich auf diesem Weg weiter, so ruft mich der heutige Predigttext in eine teilende und Teilhabe gebende Nachfolge. Das kann sowohl lokalgemeindlich wie auch global gesellschaftlich durchbuchstabiert werden. Am Schluss wird das Glück bleiben. Denn glücklich ist, wer loslassen kann, was ihm falsche Versprechungen macht. Die Sicherungen, auf die wir gerne vertrauen, brennen bei Belastungen schnell durch. Gottes neue Gemeinschaft aber nicht. Sie wird tragfähig sein.

Vermögendes Unvermögen

Wir scheitern immer wieder an unserem Unvermögen, sich der Sicherungen zu entledigen, die Sicherheit nur vorgaukeln. Wo wir diesbezüglich stark sein sollten, tritt unsere Schwäche zu Tage. Wo uns die Klugheit der frohen Botschaft leiten sollte, erliegen wir der Bosheit vielfältiger Egoismen. Manchmal treten wir dann auf der Stelle. Oder es wird uns wie den Jüngern am Ende des Gesprächs mit Jesus bewusst: Eigentlich kann niemand selig werden.

Der Reformator Martin Luther zerbrach fast an genau dieser Frage. Wer kann dann schon vor Gott bestehen, wenn es so viel eigenes Unvermögen gibt? Im gestern aufgeführten Kindermusical „Mönsch Martin“ haben uns die Kinder sehr eindrücklich vor Augen und Ohren geführt, wie eine alte, neue Erkenntnis die Menschen damals vor falschen Sicherheiten gerettet hat – das Vertrauen auf Jesus Christus – und zwar auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus, der dies beides auch und vor allem für mich getan hat. Im Predigttext lasen und hörten wir vom irdischen Jesus als Rabbi und Lehrer, der in aller Deutlichkeit die Folgen von Nachfolge aufzeigte.

Der Auferstandene Christus wird anders handeln, anders handeln müssen ob unseres Unvermögens. Der letzte Vers legt dafür die Spur. Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott. So darf ich als unmögliche Möglichkeit Gottes genau auf ihn all meine Hoffnungen setzen. Im Spiegel der eigenen Unzulänglichkeiten, die manchmal wirklich nerven können, sehen viele Verzweiflung und Zerknirschung oder aber sie aktivieren einen ignorierenden Schutzmechanismus. Das Ergebnis bleibt gleich.

Ich komme nicht weg von mir und der Sehnsucht nach Sicherungen.

Ich komme nicht weg von der Frage, was eigentlich bleibt vom Leben.

Ich komme nicht weg von den zweifelnden Gedanken, die mich bedrücken.

In kaum einem anderen Text als dem folgenden Gedicht, welches wahrscheinlich von Luther stammt, wird das „solus christus“ eindrücklicher beschrieben.

„Mir ist es bisher wegen angeborener Bosheit und Schwachheit unmöglich gewesen, den Forderungen Gottes zu genügen.

Wenn ich nicht glauben darf,
dass Gott mir um Christi willen
dies täglich beweinte Zurückbleiben vergebe,
so ist's aus mit mir.
Ich muss verzweifeln.
Aber das lass ich bleiben.

Wie Judas an den Baum mich hängen,
das tu ich nicht.
Ich hänge mich an den Hals
oder Fuß Christi wie die Sünderin.
Ob ich auch noch schlechter bin als diese,
ich halte meinen Herrn fest.

Dann spricht er zum Vater:
Dieses Anhängsel muss auch durch.
Es hat zwar nichts gehalten
und alle deine Gebote übertreten.

Vater, aber er hängt sich an mich.
Was will's! Ich starb für ihn.
Lass ihn durchschlupfen.

Das soll mein Glaube sein.“

Vertrauen wir darauf, liebe Gemeinde, dass wir auch mit hindurchschlupfen dürfen, wo wir uns an Christus hängen, weil bei Gott und nicht bei den Menschen alles möglich ist. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Martin Hundertmark, Pfarrer an der Thomaskirche zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)