Predigt über Mk 9, 17ff

  • 08.10.2017 , 17. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Mk 9, 17-27 am 17. So p. Tr., 08.10.2017, St. Thomas zu Leipzig um 09.30 Uhr

 

Liebe Gemeinde,

Wer Kinder hat, der hat Sorgen. Man erinnert sich an die durchwachte Nacht mit Wadenwickel, um das Fieber zu bekämpfen. Die unzähligen Feuerwehreinsätze, weil irgendetwas vergessen wurde für Kindergarten oder Schule sind ebenso präsent, wie das Zitat zum Direktor, um sich vor ihm für das Verhalten des Kindes zu rechtfertigen. Wer meint, mit dem Erwachsenwerden der Kinder schwinden die Sorgen, den holt die Realität schnell ein, wenn banger Elternblick auf den Partner oder die Partnerin geworfen wird, die so gar nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen wollen. Die schlafberaubten Nächte, weil das Kind zu viel arbeitet bzw. keine sinnvolle Beschäftigung findet könnten in einem weiteren Kapitel erzählen. Oder der Anruf nach langer Urlaubsfahrt, der schlicht vergessen wurde.

„Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen sagt uns die Weisheit des Sprichwortes.“ Sorgen um unsere Kinder und Kindeskinder treiben uns um, egal wie groß oder alt sie sind. Einer, der große Sorgen um seinen Kleinen hatte, kommt zu Jesus. Von dieser Begegnung erzählt der Evangelist Markus in unserem heutigen Predigttext im 9. Kapitel

 17 Einer aber aus der Menge antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist.

18 Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn zu Boden; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten's nicht.

19 Er antwortete ihnen aber und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir!

20 Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn hin und her. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund.

21 Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist's, dass ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf.

22 Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!

23 Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.

24 Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

25 Als nun Jesus sah, dass die Menge zusammenlief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein!

26 Da schrie er und riss ihn heftig hin und her und fuhr aus. Und er lag da wie tot, sodass alle sagten: Er ist tot.

27 Jesus aber ergriff seine Hand und richtete ihn auf, und er stand auf.

Der Vater hat sich zu Jesus vorgekämpft, um seinen von einem bösen Geist besessenen Knaben heilen zu lassen. Die Krankheitsgeschichte klingt nach Epilepsie. Letztlich ist das aber völlig unerheblich, weil die Begegnung zwischen Jesus und dem Vater im Vordergrund steht. Aus ihr erwachsen uns drei Aspekte, über die es sich lohnt nachzudenken. 

1.)  „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“

 Seine ganze Verzweiflung legt der Vater in diese fünf Worte. Verdichtet wird für alle hörbar, wie schlimm die Lage der Familie ist. Wie ein Blitzlichtgewitter leuchten die Szenen vor den Augen des Vaters – das Kind rennt ins Feuer. Ein anderes Mal droht es im Wasser zu ertrinken. Und immer rennt einer der Eltern hinterher. Manchmal geschieht die Lebensrettung in knappster Not. Unzählige Beulen und Schürfwunden vom unkontrollierten Hin-und Herreißen tun nicht nur körperlich weh. Sie zehren an den Nerven der Eltern. Jahre geht das so. Alle wissen Bescheid und doch stechen die mitleidigen Blicke der Anderen mitten ins Herz. Ja, er liebt sein Kind noch, trotz aller Krankheit und der damit einhergehenden Behinderung. Aber keiner sage, dass ein solches Leben nur schön und erfüllend ist. Es ist zuallererst anstrengend, sorgenvoll und ungemein kräfteraubend.

In der Begegnung mit Jesus Christus erfährt der Vater nicht sofortige Hilfe, zumindest nicht so, wie er es vielleicht erwartet hätte. Denn mit einem Blick auf das Kind müsste Jesus doch klar werden, worum es geht. Den Blick richtet er aber auf den Vater, also das Umfeld und die Familie des Kindes. Viele Probleme, mit denen sich eine geschundene Seele plagt, haben oftmals ihre Ursachen in der Familie. Deshalb das Gespräch mit dem Vater. „Wie lange geht das schon?“ fragt Jesus. „Von Geburt an“, antwortet der Vater. Und wieder brechen die Erinnerungen an all das mit dem Kind Erlittene auf, hineingefressen in die eigene Seele. Wie ein Vulkan, der kurz vorm Ausbrechen ist, steht der Vater vor Jesus. Der wiederum lässt ihn weiter erzählen. In zweifelnder Hoffnung bittet er nun Jesus, falls es ihm möglich ist, zu helfen. Und nun wird der Knopf gedrückt, der alles herausbrechen lässt: Alles ist möglich dem, der da glaubt.

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ schreit der Vater als Antwort. Ja, ich will glauben, aber wo bitte, bist du Gott in all meiner Not? In kaum einer Bibelstelle liegen Glaube und Zweifel so dicht beieinander, dass sie von Martin Luther zu Recht als ein Zwilling bezeichnet wurden. Alle enttäuschten Hoffnungen, alles erlittene Leid sammelt sich in diesen fünf Worten. Das seelsorgerliche Gespräch ist nun zu Ende, denn die gaffende Menge eilt herbei und will befriedigt werden. Jesus wirkt das Wunder und schließt dadurch die neugierige Menge vom Eigentlichen aus.

2.) Sprachloser und tauber Geist

Es scheint ein Gebot der Stunde zu sein, denen zu helfen, die ihre Sprache über eigenen Bedürfnisse verloren haben und nur noch brüllen können oder sich von einem Extrem ins andere reißen lassen. Da wirken dann wahrlich dämonische Kräfte in all ihrer Lebensfeindlichkeit, weil Zusammenleben nur schwer möglich ist mit Menschen, die unfähig sind, sich auszudrücken und mit denen, die nicht mehr zuhören können. Mit erschreckender Geschwindigkeit nehmen Hass und Unwahrheit sowie Beharrungsvermögen zu, besonders in sozialen Netzwerken, die diesen Namen kaum noch verdienen, weil es oft a-sozial darin zugeht. Gegen alles, was anders ist wird gehetzt.

Hass versteckt sich hinter einer Anonymität, die es erleichtert sämtliche Hemmungen zu verlieren. Wer einerseits gegen Verschleierung auf die Straße geht und andererseits sich mit verschleiertem Namen in Internetforen bewegt, um dort seine Kommentare abzulassen, bei dem scheint der dämonische Ungeist sich gemütlich eingerichtet zu haben. Unkontrollierbar werden die Bewegungen. Der Schaum vor dem Mund zeugt nur einmal mehr von Sprachlosigkeit und fehlender Empathie gegenüber seiner Umgebung. Hier Liebe aufzubringen, fällt schwer. Sprachlosigkeit und Taubheit lassen sich beseitigen, wo ein starker Glaube an die lebensbejahenden Kräfte verkrustete Seelen aufbricht, damit sie wieder frei sein können. Genau solch ein Befreiungswunder erhofft sich der Vater des Knaben und kommt zunächst zu den Jüngern Jesu. Sie aber können nichts ausrichten.

3.) Dämonenglaube

Den Errungenschaften der Aufklärung ist es zu verdanken, dass bildhafter Dämonenglaube weitestgehend aus unserem Denken verbannt worden ist. Bildhafte Dämonen wie im Mittelalter, die dem Menschen Angst machen sollten, haben wir hinter uns gelassen. Was dem Dämonenglaube jedoch zu Grunde liegt, ist eine menschliche Grundangst vor Kontrollverlust. Sie schlummert tief im Verborgenen und bricht sich hin und wieder kraftvoll ihre Bahn, indem wir, von ihr dominiert, dann nicht mehr Herr unserer Sinne und manchmal auch unseres Körpers sind. Die Bestie, die in uns schlummert, möge ja still sein. Vor ihrem Erwachen fürchten wir uns, wie wir ebenso Angst haben vor den undefinierbaren Gefahren im Dschungel des uns umgebenden Alltags mit all seinen nach uns greifenden Kräften. Das kleine Kind in uns hat davor Angst. Sie lässt sich nicht nehmen, indem ich diesem kleinen Kind sage, es gibt keine wilden Tiere im Dschungel. Da hilft alles Zureden nicht. Was aber hilft ist dies:

Das ängstliche Kind in uns muss im Glauben erleben können, dass Gott zu ihm steht gerade und besonders da, wo das Dschungeldickicht besonders groß ist. Im Kampf gegen alles Widerwärtige, das uns umgibt, gegen alles, was dem Leben Schaden zufügen will, haben wir Gott zum Mitstreiter. Als unser treuer Verbündeter gibt er uns nicht verloren. Wo dieser Glauben erwachsen werden kann, verliert sich die Angst des Kindes im Vertrauen auf einen Gott, dessen Willen unbedingt das Leben will.  Solch ein Glaube ermöglicht die Erfahrung, dass Gott gegenwärtig ist unter uns und in uns. Dafür brauchen wir wegzehrende Stärkung durch die Gemeinschaft an seinem Tisch. Brot und Wein, geteilt unter denen, die in ihrem Unglauben kraftvoll glauben, werden zur Lebensquelle.

4.) Ausblick

Der sprachlose und taube Geist aus unserem Predigttext zieht seine Macht aus der Lebensfeindlichkeit. Er zerstört Beziehungen. Jesus traut seiner Gemeinde, seinen Jüngern zu, hier heilsam intervenieren zu können. Auch wenn jene mit hängenden Köpfen zu analysieren versuchen, warum es bei ihnen nicht geklappt hat, gibt Jesus Christus sie nicht auf. Vielmehr richtet er sie auf das Zentrum hin aus – das Gebet. Im Gespräch und Kontakt mit Gott wird das möglich, was zuvor unmöglich schien, weil wir von ihm zuallererst auf Liebe hin ausgerichtet werden. Er traut uns Veränderung zu.

Warten wir nicht länger vergeblich auf ein spektakuläres Wunder, sondern vertrauen wir vielmehr darauf, dass Gott durch uns und unseren Glauben an das Leben im Leben anderer wunder- und heilsam wirkt.

Wo der sprachlose und taube Geist, der von immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft Besitz ergreift, seiner Macht beraubt wird, geschieht Befreiung. Sie führt in eine lebensbejahende Gemeinschaft, die Beziehung fördert anstatt sie tot zu machen. Solche Befreiung, liebe Gemeinde, ist lebens-not-wendig. Amen.