Predigt über Offenbarung 21

  • 22.11.2020 , Ewigkeitssonntag
  • Pfarrer Martin Hundertmark

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Da ist er wieder. Vorhin sah ich ihn ganz deutlich beim Besuch des Wochenmarktes. Hinter dem Gemüsestand verschwand er, noch ehe ich ihn ansprechen konnte. Zu Hause angekommen, versuche ich die Bilder zu sortieren. Erinnerungen an gemeinsam erlebte Besuche überlagern meinen Verstand. Zu verschwimmen droht, was doch glasklar getrennt sein müsste – Wirklichkeit und Wunsch. Aber so leicht ist es nicht. Die Sehnsucht nach dem, was nicht mehr sein wird, ist groß. Sie ist übergroß. Die Erinnerungsbilder bestimmen die Gegenwart, obwohl sie doch in die Vergangenheit gehören. Und das Auge folgt dann dem Wunsch.

Gern schläft sie in seinem Bett. Auch wenn er schon lange gegangen ist, spürt sie seinen Duft noch wenn am Morgen die Sonne den neuen Tag ruft. Doch die Hand tastet ins Leere. Und so macht sich auch wieder die Leere in ihrem Herzen breit.

Beim Blättern im Fotoalbum höre ich das Zischen des Streichholzes. Jeden Nachmittag hat sich der Großvater eine Zigarre angezündet. Als Kind mochte ich diesen Moment ganz besonders. Rauchringe steigen auf und verlieren sich im Zimmer. Der Duft der Zigarre kündet von Wohlbehagen und Frieden.

In diesem Gefühl verschwimmen Gegenwart und Vergangenheit, lassen sich nicht mehr genau trennen.

Am heutigen Tag prägen sich uns die Bilder der Vergangenheit ein. Wir denken an unsere Verstorbenen. Gelebtes Leben zu zweit oder in großer Gemeinschaft. Erinnerungen an erfüllte Liebe über viele Jahre an der Seite der Partnerin oder des Partners. Das Tränenmeer wird gefüllt.

Die Brust krampft sich zusammen, weil noch so viel geplant war. Doch plötzlich machte die Krankheit einen tödlichen Strich durch alle Zukunft. Der letzte glückliche Moment leuchtet im Nachhinein heller als es ihm eigentlich zusteht.

Bilder aus der Vergangenheit mischen sich mit dem Hier und Jetzt. Doch wo ist die Zukunft, wo ist Leben?

Dass Bilder aus der Vergangenheit auch in die Zukunft weisen können, davon will der Seher Johannes uns erzählen. In Buch der Offenbarung weisen seine Bilder in eine Zukunft, die unvorstellbar ist. Alles wir neu. Verwandelt in Freude sind die Dinge, die uns bedrücken.

Doch hören wir selber:

PREDIGTTEXT

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.

2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.

3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;

4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, [b]noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!

6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.

7 Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

Stark sind solche Bilder von Verwandlung und Neuschöpfung. Doch es stellt sich gleich die Frage, werden sie auch trösten. Reicht ihre Kraft, um aus der Dunkelheit von Trauer und Schmerz ins Licht eines lebendigen Alltags zu führen?

Nehmen wir drei Gedanken aus der Vision des Johannes auf in der Hoffnung, dass sie uns den Weg weisen zu einem Leben in Gemeinschaft mit Gott trotz allen Leides, trotz Tod, Schmerz und Tränen.

„Und er wird bei ihnen wohnen“

Der Traum von einer Gemeinschaft mit Gott wird wahr. Das Trennende der Gottesferne – Paulus bezeichnet es später in seinen Briefen als Sünde – dieses Trennende wir aufgehoben sein. Der garstige Graben zwischen mir als fehleraffinen Menschen und Gott ist überbrückt durch sein eigenes Handeln. Gott wird bei uns wohnen, weil er Christus schickte, um unter uns Menschen zu sein. Der ferne, vielleicht unnahbare Gott, wird Mensch und dadurch uns Menschen nahe. Diese göttliche Wohngemeinschaft eröffnet mir als Menschen eine ganz neue Zukunft. Nicht mehr fern ist Gott, sondern so nah, dass er selber tätig werden kann, wie eine Mutter oder wie ein Vater.

„Gott wird abwischen alle Tränen“

Diejenigen, die von Trauer umfangen sind, weil das Liebste verlorenging, hören heute gewiss sensibler.

Was tröstet, wenn jemand sagt:

Es wird alles anders?

Zunächst spüre ich da Angst. Angst vor Veränderung. Angst, dass ich auf mich allein gestellt bin, weil der Partner nicht mehr da ist, weil das Kind aus dem Haus oder gar ganz verloren gegangen ist.

„Es wird alles anders“ kann aber auch heißen: Hinter dem, was du, lieber Mensch dir vorstellen kannst, gibt es noch eine Wirklichkeit, die ganz anders ist.

Visionen vom neuen Leben beschreibt der Seher Johannes mit kräftigen Bildern. Visionen vom Leben im Angesicht von Trauer – das, liebe Gemeinde geht nur mit großer Kraft, die selbst das Leben in sich trägt.

Wenn alles kaputt gegangen ist im Leben, dann ist es schwer in eine Hoffnung bringende Zukunft zu schauen.

Wenn Trauer über verlorene Zeit überwiegt, dann fehlt oft die Kraft, um an die Zukunft zu glauben.

Mit den Worten des Sehers Johannes, das alles einmal anders sein wird, als wir es uns vorstellen können, nimmt er uns mit. Er führt uns zu seinem Blick hinter die Leinwand. Dann, wenn ich Gott schauen darf von Angesicht zu Angesicht, wird es so unvorstellbar gut sein, dass aller Schmerz vergessen ist.

Auch Johannes kann nur mit menschlichen Bildern versuchen, Gottes Wirklichkeit zu beschreiben.

Mit diesen, seinen Bildern erzählt er von einer hingebungsvollen Liebe, die alles Leid überwindet.

In der ganzen heiligen Schrift gibt es nur wenige Stellen, die so wunderbar von Gott erzählen, wie in diesem Abschnitt.

Gott wird mir seine Hand entgegenstrecken und wird die Tränen von den Augen wischen.

Er wird mich ansprechen und, was noch viel wichtiger ist, er wird mich aufnehmen in ein Leben ohne Schmerzen und Leid.

Das ist so großartig anders, dass es unvorstellbar ist; vielleicht wirklich nur als große Vision zu begreifen.

Aber diese Vision von einer Zukunft ohne Schmerzen und Tränen muss eine unbeschreibliche Kraft haben.

Denn Vielen wurde sie zum Trost, Jahrhunderte vor uns und, diese Prognose darf gegeben werden, auch Jahrhunderte nach uns wird das so sein.

Jesus Christus ging ans Kreuz, weil er an die andere Wirklichkeit Gottes glauben konnte, weil er darauf vertraute, dass auch in tiefster Gottverlassenheit ich „meinen Geist in deine Hände befehlen kann.“ Und er spürte nicht mehr den Schmerz dieser, unserer Welt, sondern wurde durch kraftvolle, wirkmächtige Liebe aus ihr erlöst, um vom neuen Leben zu erzählen.

In Gottes wirkmächtiger Liebe verschwimmen Vergangenheit Gegenwart und Zukunft. Das ist das Andere, das Unvorstellbare.

„Siehe, ich mache alles neu“

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – wir kennen das aus dem Gedicht von Hermann Hesse. Doch was ist, wenn der Anfang so gar nicht verzaubert ist, weil plötzlich alles alleine geregelt werden muss? Er hat immer alles gemacht, hat Briefe an Behörden geschrieben, alle Raten im Blick gehabt. Sie kümmerte sich um den alltäglichen Kleinkram, hatte alle Termine im Blick, vergaß nie einen Geburtstag in der Verwandtschaft. Doch nun? Alles anders, alles neu. Alles muss selber geregelt werden. Der Tagesablauf neu strukturiert. Wo zwei Schultern des Alltags Last trugen, ist jetzt nur noch eine da.

Gottes Neuschöpfung will uns mitnehmen in eine Zukunft jenseits unserer Vorstellungen. Der Seher Johannes wurde mit einem Blick genau auf diese Zukunft beschenkt. Daran möchte er uns teilhaben lassen. „Siehe, ich mache alles neu“ kann eben auch heißen – alles, was dich gebunden, belastet und behindert hat, ist jetzt irrelevant. Sogar der Tod spielt keine entscheidende Rolle mehr in deinen Beziehungen. Weil ihm die letztendliche Macht genommen wurde, kannst du auf ein Wiedersehen in Gottes unendlicher Gemeinschaft hoffen.

Solche Hoffnung wird nicht enttäuscht werden.

Jesus Christus hat mit seinem Mitleiden uns ein Land erschlossen, das keine Grenzen kennt. Seine Einladung am Kreuz „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Erholung geben“ ist die Eintrittskarte in Gottes Ewigkeit. Mag sein, dass wir am Ende unseres Lebens erkennen: Wir stehen vor Gott mit leeren Händen. Das christliche Aber hat eine so große Kraft, dass es alle Zweifel besiegen kann. 

Ja, Gott wird mich aufnehmen in sein gelobtes Land, so wie er aus schon mit den Vorausgegangene getan hat. Und ich werde dort mit allen, die mir ans Herz gewachsen sind in seinem Frieden leben. Gehalten von Gottes Hand und geborgen in seiner Ewigkeit darf ich mich freuen auf das große Wiedersehen. Vielleicht schmeckt die gemeinsame Zigarre mit dem Großvater dann besonders köstlich.

Ich weiß es nicht – aber die Vorstellung ist schön. Sie tut gut und trägt über die Trauer des Verlustes hinweg.

„Siehe, ich mache alles neu.“ Amen.     

 

 

Und dieser Friede Gottes, der höher ist als all das, was ich zu verstehen vermag, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.