Predigt über Prediger 5,9-19

  • 25.07.2021 , 8. Sonntag nach Trinitatis
  • Prof. Dr. Andreas Schüle

Liebe Gemeinde,

Macht Geld glücklich? Macht viel Geld vielleicht sogar sehr glücklich? Fast könnte man geneigt sein, diese Fragen zu bejahen – jedenfalls wenn man mitverfolgt hat, wie einige der reichsten Menschen der Erde, Richard Branson und Jeff Bezos, aus eigenen Mitteln, Flüge ins Weltall ins Werk setzten. Und andere werden folgen. Ich kann mir vorstellen, dass das ein prägendes Erlebnis war und gebe es unumwunden zu: Ich würde den blauen Planeten auch gerne einmal von oben sehen. Menschen, die dieses Wunderwerk bestaunen konnten, haben berichtet, dass einen das verändert. Leider müsste ich wohl erheblich jünger sein, um noch zu erleben, dass Weltraumflüge auch für das normale Portemonnaie erschwinglich werden. Das Sparticket kostet im Augenblick 200 000 Dollar.

Mindestens genauso interessant wie diese Raumflüge selbst war die Diskussion um den Sinn und die Legitimität solcher Unternehmungen. Was hätte man nicht alles an Gutem tun können mit diesen irrwitzigen Summen Geldes? Ist es nicht überhaupt obszön, wenn einzelne Menschen derartigen Reichtum kumulieren? Vom Thema Geld ist es heutzutage nur ein kleiner Schritt zur Frage von Moral und sozialer Gerechtigkeit. Haben reiche Menschen eine höhere moralische Verpflichtung gegenüber ihren Mitmenschen als andere? Und wenn ja, warum? Wie reich darf man werden, bevor man anderen etwas schuldig wird? Und wer entscheidet darüber, wann das der Fall ist?  

Wir befinden uns in Zeiten eines Wahlkampfs, und wie jedes Mal geht es um die Verteilung von Geld. Vermögenssteuer, Freibeträge, Spitzensteuersatz, Benzinpreise. Diese Themen werden sehr schnell mit großen Worten wie Gerechtigkeit und Solidarität aufgeladen. Aber man muss gar nicht so genau hinschauen, um zu sehen, dass diese großen Worte am Ende dünnwandige Fassaden für ziemlich unverhohlene Lobbyarbeit sind. Gerecht und solidarisch ist das, was denjenigen guttut, deren Interessen man vertritt. So einfach kann das sein.

Geld verschafft Freiheiten und Möglichkeiten, Leben so zu gestalten, wie man das möchte. Ob und wie man diese Möglichkeiten nutzt oder nutzen kann, ist damit noch nicht gesagt. Und das zu einem glücklichen Leben führen, ist ebenfalls nicht garantiert. Mit anderen Worten, auf die Frage, was Geld mit Glück zu tun hat, gibt es keine pauschale Antwort.

Entsprechend ist die Frage auch gar nicht neu, sondern sie beschäftigt Menschen schon, seit das Geld erfunden wurde. Unser Predigttext aus dem Buch des Predigers Salomo stammt tatsächlich so ungefähr aus der Zeit, als das Geld erfunden wurde – also Münzen, deren Wert nicht mehr von dem Material (Silber oder Gold) abhing, sondern eben von einer Prägung, so wie wir das heute auch kennen. Was sagt also jemand zur Frage nach Geld und Glück, der sozusagen am Anfang mit dabei war. Hören wir selbst. Ich lese aus dem 5. Kapitel des Predigers Salomo, die Verse 9-19:

„Wer Geld liebt, wird vom Geld niemals satt, und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben. Das ist auch eitel. 10Mehrt sich das Gut, so mehren sich, die es verzehren; und was hat sein Besitzer davon als das Nachsehen? 11Wer arbeitet, dem ist der Schlaf süß, er habe wenig oder viel gegessen; aber die Fülle lässt den Reichen nicht schlafen.

12Es ist ein böses Übel, das ich sah unter der Sonne: Reichtum, wohl verwahrt, wird zum Schaden dem, der ihn hat. 13Denn dieser Reichtum geht durch ein böses Geschick verloren. Und wer einen Sohn gezeugt hat, dem bleibt nichts in der Hand. 14Wie einer nackt von seiner Mutter Leib gekommen ist, so fährt er wieder dahin, wie er gekommen ist, und nichts behält er von seiner Arbeit, das er mit sich nähme. 15Das ist ein böses Übel, dass er dahinfährt, wie er gekommen ist. Und was gewinnt er dadurch, dass er in den Wind gearbeitet hat? 16Sein Leben lang hat er im Finstern gegessen, in großem Grämen und Krankheit und Verdruss.

17Siehe, was ich Gutes gesehen habe: dass es fein sei, wenn man isst und trinkt und guten Mutes ist bei allem Mühen, das einer sich macht unter der Sonne sein Leben lang, das Gott ihm gibt; denn das ist sein Teil. 18Denn wenn Gott einem Menschen Reichtum und Güter gibt und lässt ihn davon essen und trinken und sein Teil nehmen und fröhlich sein bei seinem Mühen, so ist das eine Gottesgabe. 19Denn er denkt nicht viel an die Kürze seines Lebens, weil Gott sein Herz erfreut.“

Unser Prediger Salomo war, so darf man vermuten, ein wohlhabender Mensch. Was er schreibt, ist nicht hypothetisch („wenn ich einmal reich wär‘“), sondern hat etwas mit seiner eigenen Welt zu tun. Vielleicht gehörte er zu den Menschen, die davon profitierten, dass Wohlstand nicht mehr davon abhing, ob man aus einer wohlhabenden Familie kam, sondern dass man aus eigener Kraft Geld verdienen und auf diesem Weg sogar reich werden konnte. Und anscheinend gab es Menschen, um ihn herum, die unkritisch und ohne jede Einschränkung daran glaubten, dass Geld glücklich und viel Geld noch glücklicher macht.

Es gibt vor allem zwei Irrtümer, mit denen sich unser Prediger auseinandersetzt:

Irrtum #1: Geld auf der Bank macht glücklich. Damals gab es offenbar ebenso wie heute Menschen, die sich wohl dabei fühlten, möglichst viel Geld im Tresor zu haben. Sie kennen vielleicht die schöne Szene aus den Donald Duck Comics, wo dieser morgendlich ein Bad in seinen Goldstücken nimmt und sich anschließend argwöhnisch umschaut, ob ihn jemand dabei beobachtet hat. Wer Geld hortet, wird feststellen, dass das Zeit und Nerven kostet. Wer nicht auf sein Geld aufpasst, wird es irgendwann verlieren. Gebühren hier, Negativzinsen da. Vielleicht sogar einmal Geldentwertung oder gar ein Kontobetrug. Geld im Tresor bringt Sorge mit sich – und zwar die Art der Sorge, die einen Charakter verbiegt.

Irrtum #2: Man spart Geld für das Alter oder für seine Nachkommen. Für jeden Seelsorger eine allzu bekannte Situation: Ein Trauergespräch mit einem übriggebliebenen Ehepartner. Man hat gearbeitet, gespart, auf vieles verzichtet, damit man es später guthat und sich die Annehmlichkeiten des Alters leisten kann. Oder man hat gespart für die Kinder. Und dann kam alles anders. Auf einmal fehlt der Mensch, mit dem man den Lebensabend teilen wollte, und die Kinder gehen auch eigene Wege. Dann bleibt eine Leere zurück, die kein Geld der Welt auffüllen kann. Alle Menschen gehen so nackt aus dieser Welt hinaus, wie sie in sie hineingekommen sind. Wir würden vielleicht sagen: Das letzte Hemd hat keine Taschen. Das ist des Predigers düsteres Fazit, das freilich allzu wahr ist.

Aber wozu kann Geld dann gut sein? Die verblüffende Antwort darauf: Geld soll man in Genuss verwandeln und im wörtlichen Sinne zum Zeitvertreib. Für moderne Menschen, also für uns, ist das missverständlich, weil wir dabei an passiven Konsum und seichte Unterhaltung denken. Der Prediger dagegen kommt aus einer Welt, in der Genießen eine aktive Form der Weltgestaltung ist. Genießen heißt, sich in den Dingen versenken zu können, die einen umgeben. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn man intensiv den Duft einer Blume einatmet. Und so ist für den Prediger die Arbeit oder, wie er sagen kann, das „Werk“, das man verrichtet idealerweise eine Form des Genießens. Und wie man beim Einatmen des Dufts der Blume einen Moment die Zeit vergisst, so auch in der Arbeit, die man tut. Wer genießen kann, was er tut, entkommt dem Drängen der Zeit. Und das ist für den Prediger ein Geschenk Gottes. Wer so im Leben steht, dass es zu duften beginnt, erlebt das Gute und Schöne, das Gott in eine Welt gelegt hat, die sonst voller Plage ist.

Braucht man dafür Geld? Nein. Die elementaren Formen des Glücks setzen keinen materiellen Besitz voraus: „Wer arbeitet, dem ist der Schlaf süß, er habe wenig oder viel gegessen; aber die Fülle lässt den Reichen nicht schlafen“, so sagt es der Prediger. Ein armer Mensch hat die gleiche Chance glücklich zu sein wie ein reicher. So hat Gott die Welt gemacht, und darauf legt der Prediger den größten Wert. Auch wenn das Geld nun in der Welt ist, wird sie damit nicht neu geschaffen. Geld ist keine Vorbedingung des Glücks. Reichere Menschen sterben so nackt wie ärmere und ärmere Menschen können glücklicher sein als reichere. So hat Gott die Welt gemacht und da lässt er sich auch nicht ins Handwerk pfuschen.

Aber welchen theologischen Unterschied macht es dann, ob man mehr Geld hat oder weniger. Oder anders gefragt: Was hat Gott mit Geld zu tun? Wer Geld um des Geldes willen erstrebt, wird dadurch vermutlich nicht glücklich. Wie gesagt: Da letzte Hemd hat keine Taschen, und die Hemden davor haben oft löchrige Taschen. Aber, und das ist die Pointe des Predigers: Es kann sein, dass auch Reichtum zu einer Quelle von Genuss und vertriebener Zeit wird – und zwar dann, wenn Gott es so geschehen lässt. Wenn Geld nicht nur materiellen Wohlstand beschert, sondern eine Quelle von Glück wird, dann ist das eine besondere Gabe Gottes, für die reiche Menschen dankbar sein sollten. Geld macht nicht glücklich – und schon gar nicht automatisch. Und man braucht zum Glück auch kein Geld. Aber auch Geld kann glücklich machen. So differenziert betrachtet es uns Prediger gegen den Elitismus auf der einen und die Neidkultur auf der anderen Seite, die es auch zu seiner Zeit gabt. Oder in seinen eigenen Worten: „Denn wenn Gott einem Menschen Reichtum und Güter gibt und lässt ihn davon essen und trinken und sein Teil nehmen und fröhlich sein bei seinem Mühen, so ist das eine Gottesgabe. Denn er denkt nicht viel an die Kürze seines Lebens, weil Gott sein Herz erfreut.“

Alle Menschen haben die Chance auf Glück, aber die Wege dorthin sind verschieden. Und jeder dieser Wege kann scheitern oder gelingen. Gott ist kein Garant von Glück – für niemanden. Unser Prediger ist viel zu sehr Realist, um zu glauben, dass mit Gott im Gepäck alles gut ist oder alles gut wird. Für das Glück muss man dankbar sein können und zwar dann und in der Gestalt, in der Gott es einem schenkt. Das heißt nicht die Hände in den Schoß legen, bis einem das Glück als reifes Früchten in den Schoß fällt. Wozu uns der Prediger ermutigt, ist ein aktives, suchendes und gestaltendes Leben, das seinen besonderen Duft verströmt. Ein erfülltes Leben sollte man anstreben. Ob das dann auch besitzreiches Leben sein wird, liegt oft jenseits des eigenen Einflusses.

Wie gesagt, ich würde unseren Planeten schon gerne einmal von oben sehen, aber mein Glück hängt nicht davon ab, und der Weg ins All ist vielleicht doch nicht der nächste Weg, vor allem dann nicht, wenn Menschen hier unten gerade das Wasser im wörtlichen Sinne bis zum Hals steht.

Amen.