Predigt über Prediger 3,1-15

  • 18.07.2021 , 7. Sonntag nach Trinitatis
  • Prof. Dr. Andreas Schüle

Liebe Gemeinde,

es gibt in der Bibel ein Buch, das in unseren Predigtordnungen ganz unrühmlich vergessen wurde – vielleicht weil es kein besonders frommes Buch ist. Darin gibt es keine schönen Geschichten, keine Verheißungen, keine Ermahnungen. Gott tritt darin kein einziges Mal auf. Aber es ist ein Buch, das so tief und eindringlich wie kaum ein anderes darüber nachdenkt, wie ein Leben in Gottes Welt ein glückliches Leben sein kann. Heute soll es um einen Abschnitt dieses Buches gehen, in dem die Frage nach dem Glück als Frage nach der Zeit gestellt wird, die in allen Dingen steckt. Das klingt so:

„1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: 2 Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; 3 töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; 4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; 5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; 6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; 7 zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; 8 lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. 9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. 10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. 11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. 12 Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. 13 Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. 14 Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. 15 Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist.“

Schon vor einiger Zeit gab es im Fernsehen eine Zeichentrickserie mit dem schönen Titel „Herr Rossi sucht das Glück“. Herr Rossi, ein kleiner Angestellter in einer Fabrik, ist mit seinem Leben nicht so recht glücklich. Jeden Tag dost er Fische ein, dazu hat er einen cholerischen Chef, von dem er beständig malträtiert wird und der auch noch einen etwas anstrengenden Hund hat. Als Herr Rossi angesichts seines völlig unspektakulären und vorgespurten Lebens einen Verzweiflungsschrei gen Himmel loslässt, kommt eine Fee angeschwebt. Auch die ist nicht so richtig glücklich, weil niemand mehr ihre Dienste in Anspruch nehmen will. Da schenkt sie Herrn Rossi eine magische Trillerpfeife, mit der er durch Zeit und Raum reisen kann, denn irgendwo, so hofft er, muss das Glück doch auch für ihn zu finden sein. Doch das gelingt nicht recht. Überall, wo er hinreist, gibt es so etwas wie eine Fischfabrik und jemanden, der aussieht und sich aufführt wie sein tyrannischer Chef. Und so kommt Herr Rossi von seinen Zeitreisen zurück – ernüchtert, aber doch auch irgendwie froh, wieder zuhause zu sein.

Gibt es das Glück? Kann man Glück finden – es gar erzwingen? Oder geht es einfach darum, dass man das Beste aus dem macht, was einem im Leben vor die Füße fällt? So oder ähnlich hat sich vermutlich jeder von uns diese Frage schon einmal gestellt. Christinnen und Christen tun sich manchmal schwerer mit dem Glück als ‚normale‘ Menschen. Wer darauf hofft, dass Gott es gut mit einem meint und einem alle Dinge zum Besten dienen lässt, braucht kein Glück, sondern Glaube. So könnte man denken.

Der unbekannte Theologe, den wir den Prediger Salomo nennen, war da anderer Meinung. Er hat auf seine Weise versucht, Glück als Teil seines Glaubens zu beschreiben. Und dabei beginnt er mit einer Meditation auf die Zeit, die in allen Dingen innewohnt. „Alles Ding hat seine Zeit“, sagt er – lachen und weinen, jung sein und alt sein, reden und schweigen, einpflanzen und ausreißen, lieben und hassen. Das Leben besteht aus seinen Gegensätzen, aus seinen Kontrasten. Wer immer nur lacht, wirkt unecht. Ohne Jugend gäbe es kein Alter und umgekehrt. Wer immer nur redet und nicht schweigen, nervt. Unser Prediger scheut auch nicht davor zurück, Krieg und Frieden als einen Gegensatz zu nennen, ohne den es nicht geht. Nur Friede wäre der Himmel, nur Krieg die Hölle auf Erden. Das eine wird es wohl nicht geben, das andere soll es nicht geben.

Im Leben kommt es darauf an – so will unser Prediger sagen – die Dinge dann zu tun, wenn sie ‚dran‘ sind, und ihnen dann auch die Zeit zu lassen, die sie brauchen. Das ist eine Kunst, die man lernen muss. Wer Kinder großgezogen hat, weiß, dass man dabei eben nichts beschleunigen kann, sondern dass das seine eigene Zeit braucht. Und wer schon ein bisschen weiter im Leben steht, hat erlebt, dass manches schnell geht und manches langsam und dass es lohnt, mit sich selber geduldig zu sein, damit etwas in einem zur Reife gelangt. Ich denke da heute an meine Mutter, die gestern ihren 80. Geburtstag gefeiert hat. Oder wer schon einmal ernsthaft krank war, weiß, dass Heilung in ihrer eigenen Zeit geschieht. Da denke ich an unsere Pfarrerin hier in St. Thomas, die das gerade erlebt.

„Alles Ding hat seine Zeit.“ Tatsächlich leben wir in unseren Familien, in unseren Berufen und nicht zuletzt in unseren Körpern in unterschiedlichen Zeitzonen. Die große Kunst ist, dem gerecht zu werden. Wenn das gelingt, sprechen wir von einem erfüllten Leben. Wenn es nicht gelingt, werden wir aufgerieben. Moderne Menschen tun sich damit nicht leicht. Vielleicht, weil es heute zu viele solcher Zeitzonen gibt – zu viele Stopp- und Stechuhren und zu viele Reifen, durch die man springen soll. Oft tun wir Dinge, nicht weil sie dran sind, sondern weil sie auf irgendeinem Plan stehen. Moderne Menschen führen durchgetaktete Existenzen mit wenig Luft zum Innehalten. Das ist nicht immer gut – wenn z.B. der Beruf auch noch Berufung sein soll, wenn Familienplanung nicht nur eine Synchronisierung zweier Karriereverläufe ist und wenn das Hören auf den eigenen Körper nicht erst dann stattfindet, wenn die medizinischen Einschlagskrater näherkommen.

„Alles Ding hat seine Zeit.“ Aber wo in alle dem kann man denn nun auch glücklich sein. Die Antwort unseres Predigers darauf lautet so: Gott hat dem Menschen auch, wie er sagt, die „Ewigkeit ins Herz gelegt“. Das heißt, dass Menschen in jedem Moment bewusst oder unbewusst das suchen, was keine Zeit mehr braucht, weil es sein und bleiben kann, wie es ist. Ewigkeit heißt nicht mehr zurück oder nach vorne schauen zu müssen, weil die Zeit stillsteht – so wie für Gott selbst, für den es keinen Anfang und kein Ende gibt. Diese Momente, in denen nichts fehlt, nichts verloren ist, aber auch nichts mehr dazukommen muss, sind für den Prediger Momente echten Glücks. „Ich merkte“, sagt er „dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. 15 Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist.“

Ich denke wir wissen, wovon der da spricht, weil wir solche Momente schon erlebt haben. Für den Prediger sind sie geradezu Beweise dafür, dass es Gott gibt, weil wir Momente des Glücks nicht machen und sie auch nicht festhalten können. Für uns tickt die Uhr – immer, irgendwie. Was wir aber tun können, ist unser zeitliches Leben so zu führen, dass sich diese Momente des Glücks darin verfangen.

„Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. 13 Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ So sagt es unser Prediger, und damit meint er nicht Konsum und Genuss. Essen, Trinken, fröhlich sein – das alles sind Erlebnisse, die man mit anderen teilt und die Momente sein können, in denen sich Gottes Ewigkeit in unseren Leben verfängt. Das ist Glück.

Dabei spielt es keine Rolle, wie alt oder jung, busy oder relaxed man ist. Manchmal dehnen sich solche Momente und es werden ganze Lebensabschnitte daraus. Aber sie sind niemals ewig, das ist das Tragische daran – das wissen wir, und das war auch unsem Prediger schmerzlich bewusst. Dem Glück steht immer das Drama und das Tragische im Weg. So ist Leben. Aber Glück, wo es gelingt, ist in alle dem ein Appetithappen der Ewigkeit, der Lust auf mehr macht.

Amen.