Predigt über 1. Kor 1,18ff

  • 04.07.2021 , 5. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

die prosperierende Großstadt zog viele Menschen an. Nicht alle Bemühungen waren erfolgreich und so hatte die bedeutende Hafenstadt mit den Problemen zu kämpfen, die wir im Korintherbrief vorfinden und die jeder aufstrebenden Großstadt in gewisser Weise eigen sind – Umgang mit verschiedenen Kulturen, Prostitution, religiöse Vielfalt und eine Kluft, die sich zwischen Wohlhabenden und den am Rande Stehenden auftat. Weit geöffnet war die Schere zwischen Armen und Reichen in Korinth. Dort gründete Paulus eine Gemeinde. Sie wuchs ihm ans Herz und auch an Mitgliedern.

Bei seinem 18-monatigen Aufenthalt konnte er an christliche Ideen anknüpfen. Denn Priscilla und Aquila, seine Gastgeber, bei denen er als Zeltmacher arbeitete, waren Christen; aus Rom geflohen, aufgrund eines Erlasses des Kaisers Claudius.

Paulus predigt in der Synagoge, sammelt gottesfürchtige Menschen um sich und so entsteht die christliche Gemeinde als ein weiteres Angebot auf dem Markt des Religiösen. Dort hatte sie sich zu behaupten. Neben all den Tempeln und Kultstätten sowie den Synagogen war das nicht leicht, zumal Paulus von einem Gott predigte, der sich doch so ganz anders darstellte. Es kam zum Streit und zur Vertreibung aus der Stadt. Paulus zog gemeinsam mit seinen Gastgebern nach Ephesus, um von dort aus dann Briefe an seine Gemeinden zu schreiben, so auch an die Korinther. Wir hörten vorhin einen Abschnitt aus dem 1. Kapitel des 1. Korintherbriefes.

Hinter den vielen uns heute vielleicht etwas befremdlichen Alltagsfragen, die Paulus mit seiner Gemeinde verhandelt, steht etwas, das die Besorgnis des Apostels wachsen lässt. 

Es ist die Wandlung weg von Christus hin zu einer aufgeblähten, vermeintlich durchgeistigten Weisheit, die am Ende doch nur sich selbst kennt. Das Wort vom Kreuz wurde aufgegeben und durch die eben beschriebene Weisheit ersetzt.

In ihrem Enthusiasmus rühmen sich die Korinther, der niederen Welt entkommen zu sein und selber teilzuhaben an der göttlichen Welt. Dem Geisterfüllten scheint alles erlaubt zu sein.

Schrill läuten da die Alarmglocken bei Paulus.

Wo das Wort vom Kreuz nicht mehr Kern der Botschaft ist, wird selbige wirkungslos, verflacht sich in Selbstvergnügungen und intellektuellen Spielereien.

Aus dem Skandalwort vom Kreuz wurde eine Wellness-Religion. In ihr fühlten sich die geisterfüllten Korinther so wohl, dass sie gar nicht mehr wahrnahmen, wie abgehoben sie unterwegs waren. Den Kreuzstab wollte keiner mehr tragen, weil der vermeintlich Heilige Geist sie so aufgepumpt hatte, dass sie über dem Boden schweben konnten.

Wichtiger als die Kernbotschaft wurde die Zugehörigkeit zu einer der unterschiedlichen Parteiungen, in denen man sich seiner Weisheit rühmen konnte.

Stop! Hier musste verrückt werden, was aus der Bahn geworfen wurde. Und so schreibt Paulus den Korinthern und uns:

„Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist´s eine Gotteskraft.“

Starker Gott – Schwacher Gott

Wo ich mich selber schwach fühle, kraftlos, suchend oder zweifelnd im Alltag umherirre, ist es da nicht verständlich, wenn die Sehnsucht nach dem starken Gott groß ist?

Gewiss, liebe Gemeinde.

Denn Schwachheit ist eine menschliche und keine göttliche Eigenschaft. Im spätantiken Korinth galt das so genannte Apathieaxiom – Nur ein nicht leidender Gott, kann ein Gott sein, der mir hilft. Schwäche war lächerlich. Ein Gott musste anders sein, durfte nichts gemein mit dem zerbrechlichen und schwächelnden Menschen haben. Das fing beim Schlafen an und hörte bei Schmerzen auf. Gut! Schön! Stark! = göttlich! Für weibliche und männliche Götter galt das gleichermaßen.

Und bei uns, liebe Gemeinde?

Da sieht es kaum anders aus. Besonders in Krisen ist Stärke gefordert. Und wenn ich sie selber nicht aufbringen kann, was an sich nicht problematisch ist, brauche ich doch die starke Schulter, schaue zur festen Hand oder nehme den stützenden Arm, um durch den Alltag zu kommen. Und genau das projizieren wir gerne auf Gott.

Tod, Leiden und Sterben passen da nicht ins Gottesbild. Gott erwählt sich aber auch (und manchmal besonders) die Schwachen.

Paulus erfuhr dies am eigenen Leib, wie uns die Apostelgeschichte erzählt.

Gott beruft sich Menschen aus allen Schichten. Vorgeschichte oder religiöse Verortung spielen bei ihm keine Rolle. Gottesferne und fehlgeleitete Menschen haben bei ihm ebenso einen Platz wie die Vermögenden und Starken.

Wenn aber Gottes Gemeinde eine Gemeinde aus allen ist, so stellt sich für uns heute die Frage, ob wir Gottes Gemeinde sind?

Wo haben die Schwachen ihren Platz?

Wo gefallen wir uns im Rühmen über großartig Gelungenes?

Wo verschwimmt das „Soli Deo Gloria“ im „Gloria mihi solum“?

Solche Fragen tun weh und provozieren genauso wie das Wort vom schwachen Gott am Kreuz.

Niemand ist ausgenommen von dieser Fragestellung, weder der auf der Kanzel Stehende, noch der Musizierende noch der Hörende oder Tuende.

Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, wollen wir solche Provokation nicht. Wir wollen lieber das Gemütliche, das, was uns in Motetten und Gottesdiensten gut tut. Wir wollen den Balsam für die Seele, weil der Corona-Alltag schon schwer genug ist.

Die Verkündigung des Kreuzes steht dem Wellness-Christentum entgegen. Sie war und sie wird immer ein Skandalon bleiben, anstößig und unbequem.

Sie muss es auch bleiben, weil sie nur so die Welt aufrütteln und verändern kann.

Denn aus dem a-pathischen Gott wurde ein sym-pathischer Gott. Der nicht-leidenden Gott der Spätantike verwandelt sich durch Christus in den mit-leidenden Gott. Sein Mitleid und das daraus resultierende Erbarmen erlösen uns und machen uns frei von allen Selbstoptimierungsbestrebungen des schönen, gesunden und starken Menschen. Gottebenbildlichkeit ist aber keine Frage des Aussehens. Gottebenbildlichkeit zeigt sich im Herzen und in der Nachfolge Christi unter dem Kreuz. Letztere fängt mit der Verkündigung des Kreuzes an.

Somit gilt es, dass Christen sich stets darin vergewissern müssen. Oder, um es mit Martin Luther auszudrücken. „Ein Christenherz auf Rosen geht, wenn´s mitten unterm Kreuze steht.“

Unsere Aufgabe als Christen ist es, Kreuz und Gesicht zu zeigen, um das Rückgrat nicht zu verlieren.

Da wird es dann schnell peinlich, liebe Gemeinde und wir sind auf einmal wie Paulus.

Wir suchen wie er stammelnd nach Worten für das Unaussprechliche und das Unlogische, wenn es gilt, Zeugnis vom Kreuz im Alltag abzugeben. Wer als Einzige am Arbeitsplatz sich dem christlichen Glauben noch verbunden weiß, wird nachempfinden können, wie es ist, sich in einer Gott-fremden und manchmal Gott-feindlichen Umgebung zu behaupten.

Wenn Gesundheit und Wellness zu den höchsten Werten emporgehoben werden und quasi religiösen Charakter bekommen; oder wenn die Frage nach Zutaten im Brot zum status confessiones wird, wird die Verkündigung von einem Gott, der den Schwachen und Imperfekten emporhebt und sich gerade ihn erwählt, ebenso lächerlich angesehen wie im Korinth des ersten Jahrhunderts.

Die Fragen nach dem Gott, der genau dann immer nicht da ist, wenn ihn alle in seinen Taten öffentlich sehen wollen, werden zum Spott.

Gottes Zeichen in unserem Alltag geschehen oft ohne großes Aufsehen. Deshalb müssen sie verkündigt werden. Sein Mitleiden braucht unsere Sprachfähigkeit, um den Nächsten anzurühren oder ihn zu stützen. Die Konsequenz der Verkündigung des Kreuzes Christi als Symbol für Leiden, Tod und Hoffnung ist nach biblischer Lesart ein Eintreten für die Schwachen.

Wer diese sind, muss stets neu definiert werden. In der Coronakrise hat sich gezeigt, dass die jüngere Generation zu Verlierern geworden ist. Bildungsrückstände verschärfen Milieuscheren, eine überbordende öffentliche Schuldenlast wird auf die nachfolgende Generation abgewälzt, weil Entscheider gar nicht mehr erleben werden, was ihre weitreichenden Entscheidungen für Auswirkungen in zwanzig oder dreißig Jahren haben. Investitionen in Schulen bleiben auch im zweiten Coronasommer weitestgehend aus.

Wer jetzt z. B. von Rentenerhöhungen spricht, hat nur wahltaktische Überlegungen im Kopf und nicht die Zukunft der Generation, die unsere Gesellschaft gestalten und deren Lasten tragen wird. Die junge Generation ist dabei doppelt schwach, weil sie vielfach gar nicht  mitentscheiden kann aufgrund mangelnden Wahlrechts. Natürlich muss hier und da differenziert werden und Einzelhilfe ist in jeder Altersgruppe auch notwendig. Aber die Tendenz in unserer Gesellschaft, sich die Zukunft schön zu reden und dabei gleichzeitig die Chancen der Gegenwart zu verspielen, ist deutlich erkennbar.

Das Wort vom Kreuz als Symbol für die Schwachen und Ausgegrenzten bleibt unbequem in der Verkündigung.

Liebe Gemeinde,

Von Gott sind wir, wie die ersten Fischer-Jünger des heutigen Evangeliums, zum Aufbruch berufen. Aufbrüche sind meist voller Elan und Zuversicht und trotzdem schleichen sich Zweifel ein – ist der Weg richtig?

Bist du es Herr, auf den wir vertrauen sollen?

Deshalb brauchen wir neben der Kraft zur Verkündigung des Kreuzes Christi auch die Vergewisserung im Glauben an einen Gott, der es grundsätzlich gut mit uns meint. Dass dies nicht immer für alle nachvollziehbar und offensichtlich ist, bleibt sein Geheimnis. „Denn die Torheit Gottes ist weiser als die Menschen sind.“

Gottes Kraft aber vollendet sich in Schwachheit. Darauf darf ich vertrauen. Aus diesem Vertrauen heraus kann ich auch mein Kreuz tragen und sein Kreuz zeigen. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher größer ist als unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.