Predigt über Römer 1,13-17

Die Predigt wurde im Rahmen des "Kanzeltausches" mit der Dresdner Kreuzkirche gehalten.

  • 22.01.2023 , 3. Sonntag nach Epiphanias
  • Pfarrer Holger Milkau, Kreuzkirche Dresden

Predigt 3. Sonntag nach Epiphanias Römer 1, 13-17

 

Ich will euch aber nicht verschweigen, Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert –, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter anderen Heiden. 14Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Nichtweisen bin ich es schuldig; 15darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen. 16Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. 17Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Hab 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«

 

Es gibt Texte in der Bibel, die passen wirklich gut für eine Gastpredigt. Wenn etwa der Apostel sagt Ich will euch nicht verschweigen, Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert.

 

Ich wüsste nicht, was hilfreicher wäre, die freundschaftliche Verbundenheit zwischen Kreuz- und Thomaskirche, zwischen Leipzig und Dresden zu illustrieren. Oft vorgenommen zu kommen, wurde aber bisher gehindert. Lakonisch, aber wahr.

Es ist ja nun seit Corona-Zeiten und nach den Wahlen der beiden neuen Kantoren an Thomas und in Kreuz wirklich wieder die erste Zusammenkunft im Kanzeltausch.

Und zwischenzeitlich hat sich doch einiges ergeben.

Ich will euch nicht verschweigen, Brüder und Schwestern, dass ich oft gern zu euch gekommen wäre – wurde aber gehindert.

 

Dieser Wunsch wird nicht auf allen Kanälen zwischen Dresden und Leipzig gehört. Hindernisse gibt es immer.  Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe (Willy Meurer). Was hat Paulus da denn vorhergesehen? Wenn Paulus kommt, dann wird das nicht bloß ein fröhliches Miteinander. Er hat ein Ziel und sagt es klar: Jetzt seid ihr dran!

Jetzt seid ihr dran, dass Frucht geschaffen werde.

An welche Art Frucht ist da gedacht?

Natürlich denkt Paulus dabei an seine Gemeindegründungen in Hellas, in Mazedonien, Kleinasien. Er denkt an seine Erfolge – vielleicht ein wenig an seine Niederlagen – denkt an das Unkraut und die Disteln, die dem Aufgehen der Saat entgegen stehen. Denkt an seine geliebten Galater*innen, an die störrischen Korinther, an die etwas ausgeflippten Epheser, an die in Thessaloniki… so eben. Und nun eilen die Gedanken voraus. Ganz groß. Rom. Nabel der Welt. Den gibt es wirklich. Umbilicus mundi – mitten auf dem Forum Romanum steht ein kleiner Tempel, der galt als Nabel der Stadt und Mittelpunkt des Imperium Romanum. Die Legende weiß, dass dort eine runde Grube ausgehoben, Samen, Früchte und kleine Geräte hineingelegt wurden und zuletzt jeder eine Handvoll Erde aus dem Lande, woher er gekommen war, darauf warf. Und dann mischte man alles.

 

Anschauliche, konkrete Vielfalt, bereit bald Frucht zu tragen.

Da will Paulus hin. Gewissermaßen eine Handvoll Erde, eine Handvoll Glauben mitbringen, die Frucht des Christentums wachsen lassen. Frucht also heißt für Paulus: Orte schaffen, an denen Menschen im Austausch miteinander stehen, im Austausch mit Gott und Jesus Christus und sich dabei wohl fühlen. Fruchtbar, gedeihlich, effektiv.

So müssen wir als Christ*innen doch denken. Handeln noch viel eher. Gelingt denn das?

Die erste Voraussetzung dafür, wie bei Paulus: Menschen wie Freundinnen und Freunde, wie Geschwister betrachten und zu ihnen kommen wollen. Wie weit würde die Verbindung von Freunden untereinander gehen – oder Geschwister gar, wie Paulus das sieht. Und lieber Geschwister oder lieber Freunde? Freunde kann ich mir bekanntlich aussuchen, Geschwister nicht. Andererseits sind ja viele mit ihren Geschwistern ganz zufrieden, manche lieben sich sogar!

Nun besteht das Geheimnis der Liebe darin, dass sie sogar Spannungen und Schwierigkeiten aushält und damit umgeht.

Davon kann Paulus ein Lied singen.

Und tut es ausführlich im Hohelied der Liebe, wo gerade diese Liebe so viel aushält, hofft, erträgt, duldet alles – und hört niemals auf. Es geht also nicht darum, ob Freund oder Bruder, Freundin oder Schwester, es geht um die Qualität der Beziehung. Die Qualität der Beziehung zwischen Dresden und Leipzig steht ja bei ihm zum Glück nicht zur Debatte.

Paulus betrachtet die Beziehung zwischen Jerusalem und Rom. Zwischen der Wiege der jüdischen Christenbewegung und der Wiege des heidnischen Imperiums und seiner Kultur. Wie’s halt so ist, was einem in die Wiege gelegt wird, davon kann man sich oft nicht so ohne weiteres lösen.

Alte Gewohnheiten, Bräuche und Auffassungen geben Halt – aber sie halten auch fest. Alternativen, neues Denken haben es oft schwer. Paulus möchte beide zusammenführen. Möchte damit tatsächlich den Zugang zum Glauben leichter machen. Keine hohen Schwellen. Keine starren Vorschriften

Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Nichtweisen

gegenüber möchte er offen bleiben, und sie verbinden. Der Völker-Apostel ist getrieben von dem Wunsch, einander fern Stehende sich nahe zu bringen. Von seiner Warte aus nennt er das: auch euch in Rom das Evangelium predigen.

Der dritte Epiphanias-Sonntag feiert das gelungene Miteinander der vielen Kulturen, das Zusammenspiel ihrer Interessen und Begabungen. Paulus lässt den Ring der Ökumene gern leuchten, so wie Leipzig leuchtet – als Zeichen, Menschen und Meinungen zu verbinden. Vielfalt liebend zu tragen, manchmal zu ertragen. Ja, die Liebe ist verbindend. Paulus traut dieser Liebe schon ganz schön viel zu.

Um ihretwillen darf nichts so schnell preisgegeben werden.

Das wissen wir nun.

Es gibt ein weiteres, verbindendes Element: den Glauben an Jesus Christus. Diejenigen, die sich auf ihn beziehen sind einander schon recht nahe – trotz mancher Trennwände. Wer sich in Nah und Fern auf diesen Christus bezieht, dem können eigentlich andere trennende Auffassungen, Formen und Gesetze nichts ausmachen. Eigentlich.

 

So Paulus. Jetzt hast du uns schon ganz schön weit gebracht. Jetzt kommt die Schluss-Runde. Alte, weise Worte hast du da geschrieben; für die Protestanten so weise, dass sie zum Aushängeschild geworden sind. Du sagst, du schämst dich des Evangeliums nicht; weil es Gottes Kraft ist, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Die Gerechtigkeit wird offenbart, die vor Gott gilt, sie kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht bei Habakuk: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«

Jetzt wird es noch mal ernster. Das Thema Gerechtigkeit aus Glauben kann bis zum Reformationstag warten. Beziehungsweise bis zum Predigtlied. Vorher sehe ich auf den früher oft als Konfirmationsspruch verwendeten Satz: Ich schäme mich des Evangeliums nicht… Das ist ein Satz, der über viele Jahrzehnte in Ostdeutschland böse Wirklichkeit war. Der von vielen genau diese innere Treue und Festigkeit verlangte, mit der Paulus zu den Römern spricht.

Sich schämen, weil man an das Evangelium glaubte als Teil der christlichen Kirchen, weil das Regime es so wollte.

Diese Zeit des Schämens ist vorbei.

Offenbar hat die Freiheit von dieser Art der Unterdrückung die Menschen dem Evangelium nicht wirklich nähergebracht. Vieles gibt es darüber hinaus, sich zu schämen, was im Namen des Evangeliums geschehen ist.

Das Schämen ist ein eigenwilliges Gefühl. Es lässt mich minderwertig und klein werden – und zwar vor mir selbst.

Weil ich meinen Ansprüchen nicht genügen konnte, weil etwas fehlt, oder etwas verloren gegangen ist.

Es geschieht ebenso, wenn ich unangemessen entblößt werde. Von anderen herabgewürdigt.

Das darf jedenfalls durch die Verkündigung in Wort und Tat des Evangeliums niemals geschehen.

Zu Paulus Zeiten im fernen Rom gab es Menschen, die spottend und belustigt den Gott der Christen als einen Esel zeigten. Zu dumm und zu schwach, sich der Gewalt und dem Hohn der Menschen zu entziehen. Das war dem Augenschein nach verständlich. Nicht aber, wenn die Spötter einmal tiefer geblickt hätten. Wenn sie den Trost und die innige Liebe erfahren der Christengemeinden kennen gelernt hätten.

Die Freude über ein kleines Kind, die Erleichterung, wenn Konflikte gemeinsam gelöst werden können, die Ergriffenheit der Angehörigen, wenn eine totkranke Frau mit Würde und Zuneigung auf ihrem letzten Weg begleitet wurde. Das Aufatmen, wenn mit Sorgen ein Verirrter ein Stück Hilfe erfahren konnte, die Leichtigkeit, wenn sie dankbar und wie beschenkt von ihren stillen Versammlungen nach Hause gingen. Wenn ein schönes Lied erklang, wenn ein kraftvoller Chor mit Kunst und Können jubelte. Die Erleichterung, wenn die in Leid und Schmerz und Angst, wieder einmal hörten, dass jener Gott am Kreuz ihnen nicht den Rücken kehrt, sondern an ihrer Seite ihre Tränen mit ihnen teilt - und ihr Lachen. Wenn selbst schwere Fehler und Missetaten dem Mann am Kreuz anvertraut und von ihm Heilung erbeten werden konnte. Und Heilung kam.

 

Wenn das Evangelium ist, braucht sich wirklich keiner zu schämen. Denn Gott schämt sich nicht für uns.

Er lässt sein goldenes, heiliges Kleid liegen und macht sich nackt für uns. Er schickt Gesandte aus in alle Welt und lässt von sich erzählen. Und lässt ihnen sagen:

 

Ich will euch nicht verschweigen, Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen. Und siehe: Ich bin da.                                                           Amen.

UND DER FRIEDE GOTTES…

EG 357 Ich weiß, woran ich glaube