Predigt über Römer 6,3-11

  • 24.07.2022 , 6. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt am 24. Juli 2022, 6. Sonntag nach Trinitatis, Römer 6,3-11

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

es geschah in Tel Aviv am Strand. Ziemlich genau 28 Jahre ist das jetzt her. Wir hatten noch einen Nachmittag und eine Nacht vor uns bevor unser Flug nach Hause zurück ging. Unser Hotel war nicht weit weg vom Wasser, es war drückend heiß, also nichts wie los, das brausende Meer lockte. Die Strömung war ziemlich stark, das haben wir bald gemerkt, aber so lange man seine Klamotten am Strand im Auge behält, kann man sich ja daran orientieren und ein bißchen rausschwimmen. Und da ist es passiert, eine ziemlich große Welle hat mich erwischt und unter Wasser gedrückt, richtig runtergezogen, so dass ich nicht mehr wußte, wo oben und unten war. Ich bin in Panik geraten, habe keine Luft mehr bekommen und der berühmte Film, wo das Leben noch mal im Schnelldurchlauf an einem vorüberzieht: der ging schon los und ich dachte, das war's. Und dann habe ich irgendwann den Kopf doch noch über Wasser bekommen.

Für mich war das ein einschneidendes Erlebnis: Ich habe mich endgültig verabschiedet von meinen spätpubertären Unverwundbarkeitsphantasien. Und alles um mich herum hatte erst mal ganz neue Farben, neue Klänge, alles war intensiver: Ich habe das Leben wahrgenommen. Wirklich wahrgenommen. Ich darf leben und es war, als hätte ich es zum zweiten Mal geschenkt bekommen mitsamt diesem Mehr an Lebenserfahrung. Ich bin des Lebens und nicht des Todes. Dank sei Gott!

Mir kam das wieder in den Sinn als ich mir den Predigttext angeschaut habe für heute. Paulus schreibt im Römerbrief etwas darüber, wie wir als Christenmenschen unser Leben wahrnehmen und verstehen können – und vor allem in den Situationen, wo wir es als Kampf um Leben und Tod erleben, wo es wirklich ernst wird. Das macht er an der Taufe deutlich. Da geht's darum, dass Wasser, eigentlich ja das Element des Lebens, auch töten kann. Und dass aus dem Wasser heraus kommen Leben heißt, Leben in einer neuen Qualität, in einem neuen Bewußtsein. Leben mit einer neuen Sicht auf die Dinge. Hören wir den Predigttext aus Römer 6:

Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? 4 So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. 5 Denn wenn wir mit ihm zusammengewachsen sind, ihm gleich geworden in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. 6 Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, sodass wir hinfort der Sünde nicht dienen. 7 Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. 8 Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, 9 und wissen, dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod wird hinfort nicht über ihn herrschen. 10 Denn was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben ein für alle Mal; was er aber lebt, das lebt er Gott. 11 So auch ihr: Haltet euch für Menschen, die der Sünde gestorben sind und für Gott leben in Christus Jesus.

Die Taufe hat für Paulus damit zu tun, dass etwas von uns stirbt. Und dass wir nur dann wirklich leben werden, wenn das so ist. Das steht quer zu dem, was sich die meisten Eltern wünschen, die ihr Kind zur Taufe bringen: dass Gott ihr Kind unter seinen Schutz und Segen stellt – es soll doch leben und seinen Weg durch dieses Leben finden, dieses kleine Wesen!

Paulus würde wahrscheinlich sagen: Ja, genau. Aber dazu gehört eins unbedingt dazu. Dass wir eins verstehen und dafür steht die Taufe zeichenhaft und vor allem die tödliche Gewalt des Wassers: Wir sind mit Jesus Christus auf das engste verbunden, so eng, dass wir ihm gleich werden, enger geht es nicht. Schicksalsgemeinschaft könnte man es nennen, in die uns die Taufe hineinnimmt, oder man kann auch sagen: an ihm wir kleben im Tod und Leben, so haben wir's eben gesungen. Wenn ein ein Mensch, das waren zu Paulus Zeiten nur Erwachsene, bei der Taufe ganz untergetaucht wurde, das Wort Taufe kommt von Tauchen, dann ist an ihm sozusagen der Tod Jesu nachvollzogen. Wer untergetaucht wird, wird zeichenhaft begraben. Und taucht wieder auf. Was an Jesus geschehen ist, wird auch an uns geschehen, auch über uns hat der Tod nicht das letzte Wort. Er ist in ein neues anderes Leben auferweckt von Gott – und an uns wird es auch geschehen. Und wenn ich das weiß oder zumindest ahne, dann kann ich jetzt schon anders leben. Dieses neue Leben wirft sein Licht schon jetzt auf uns. Und wir können alles in anderen Farben sehen, anders riechen, wahrnehmen wie nach solch einem einschneidenden Erlebnis, fast ertrunken zu sein. Wir sind des Lebens, nicht des Todes.

Aber eins, das soll ertrinken. Eine Macht, eine Todesmacht, die Paulus „die Sünde“ nennt. Die Sünde, mit Artikel, nicht irgendeine andere Sünde - über kaum ein Wort gibt es so viel Mißverständnis und keins ist mehr mißbraucht worden in der Kirchengeschichte, um Menschen klein zu machen. Wenn Paulus von der Sünde spricht, dann meint er etwas anderes als eine vermeintliche böse, sündige Tat. Anders als in unserem sonstigen Sprachgebraucht ist in der Bibel Sünde kein moralischer Begriff. Sondern einer, der mit unserer Existenz zu tun hat. Paulus beschreibt das sehr aktuell im Römerbrief: Wir haben als Menschen etwas in uns, womit wir immer wieder auch trotz besserem Wissen und Wollen Chaos anrichten. Zwischenmenschlich, gesellschaftlich und ja sogar kosmisch. Es ist etwas in uns, was uns vorgaukelt: Du, Mensch, bist wie Gott: du kannst alles aus eigener Kraft erreichen, da brauchst du keinen anderen zu und wenn doch, dann lass ihn neben dir nicht zu groß werden, dann halt ihn schön klein, denn dann bist du groß. Es ist unser kleines, ewig ängstliches und misstrauisches, unser immer auf Sicherheit und Harmonie bedachtes kleines Ich, das alles korrekt machen möchte und gefangen ist von dem, was eigentlich sein müsste. Und dass am Ende am misstrauischsten gegenüber Gott selbst ist. Und das gilt auch für Menschen, die eigentlich so gern glauben wollen, es gilt für alle Menschen. Deshalb sagt Paulus sehr deutlich, wie gefangen wir darin sind, er sagt, wir sind die Sklaven und Sklavinnen dieser Macht.

Die gute Nachricht ist: Es gibt eine „Zeitenwende“. Wirklich eine Zeitenwende, die diesen Namen verdient und wo es um mehr geht als die verbesserte Ausrüstung der Bundeswehr oder darum, wie die freiheitlichen Demokratien jetzt ihr Verständnis von globaler Zusammenarbeit überdenken sollten und aus der Provinz des engeren politischen Interessenumfeldes heraustreten und endlich aus eigenem Interesse global solidarisch handeln - was alles sehr, sehr notwendig ist. Aber nach Paulus sind wir lokal und individuell schon längst von einer Zeitenwende betroffen. Sie ist schon längst passiert und wir müssen keine Sklaven bleiben. An der Taufe lässt sich eins ablesen, schade, dass wir heute keine haben: Wir stehen unter der Macht des neuen Lebens mitten im alten. Wir haben den Kopf schon über Wasser, auch wenn das Meer um uns tobt und immer noch versucht, uns die Beine wegzureißen. Und das gilt es zu leben für uns, für jede und jeden an seinem und an ihrem Ort, damit fängt alles an, dass wir begreifen: Es ist Land da, es gibt neue Farben, neue Töne, lasst sie uns leben und gestalten.

Das hat ja unter anderem auch diejenigen bewegt, derer wir in der letzten Woche gedacht haben, der Frauen und Männer des 20. Juli 1944. Die hatten ja nicht nur politische Ziele, sondern etliche von ihnen waren überzeugt: Nur wenn dieser christliche Geist wieder stark wird, wieder aus der Taufe gehoben wird, kann sich eine Gesellschaft in all ihren Facetten erneuern. Auch sie waren davon überzeugt, dass es eine Zeitenwende braucht und dass man dafür anfangen muss zu handeln und sich nicht zu fürchten. Auch nicht vor dem Tod.

Es gibt ja das berühmte Wort des Philosophen Theodor W. Adorno, der meinte: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Nun, auch Adorno wollte letztlich betonen, wie wichtig es ist, sich den Sinn für das Richtige nicht nehmen zu lassen – insbesondere unter den Bedingungen einer Diktatur. Christen können da aber erheblich weitergehen, wenn sie von einer Zeitenwende durch die Taufe in ihrem Leben ausgehen: Doch, es gibt immer auch richtiges Leben im falschen. Die Welt mag sein, wie sie ist, auch die Sünde mag noch in der Welt sein, und das ist sie, und sie greift immer wieder nach uns, diese Macht. Aber sie kann nicht verhindern, dass neues Leben möglich ist und wächst. Aus der Taufe leben, das bedeutet: Ich habe eine Zukunft. Das Neue ist möglich. Ich kann mich ändern, ich kann neu anfangen. Ich bin nicht zum Stillstand verdammt, nicht alles muß beim alten bleiben. Täglich in die Taufe zurück kriechen, nennt Martin Luther das. Uns täglich drauf besinnen: Wir sind dem Leben zugeordnet, nicht dem Tod! Die Zeitenwende – sie ist schon da. Wir sollten uns nur immer wieder selbst sagen: Lebe sie. Und verzage nicht.

Und der Friede Gottes, welcher gottseidank höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org

 

 

 

 

Fürbittgebet 6. Sonntag nach Trinitatis, 24. Juli 2022

Guter Gott, Herr allen Lebens, Jesus Christus, Retter der Welt, Heiliger Geist, der Du die Herzen der Menschen regierst,

wir danken Dir, dass Du jeden von uns beim Namen kennst. Durch die Taufe hast Du uns zugesagt, dass Du bei uns bis und uns erlöst hast von der Gewalt des Bösen und des Todes.

Wenn wir in dieser Welt noch Angst haben, so vertrauen wir dennoch im Glauben, dass wir mit Dir auferstehen und leben werden. Du gehst mit uns, wenn unser Leben bedroht ist. Was immer auch geschieht, Begreifliches und Unbegreifliches, Leichtes und Schweres, Frohes und Trauriges, in unserem Vertrauen auf Dich sind wir immer geborgen.

Wir bitten Dich für alle, die in Schrecken und Angst leben. Vor deren Haustür der Krieg wütet. Für die, denen das Wasser bis zum Hals steht. Und für die, die unter Dürre, Trockenheit und Feuer zu leiden haben. Wir bitten Dich für alle, die sorgenvoll in die Zukunft schauen, für alle, die finanziell und anderweitig in Not geraten werden.

Wir bitten Dich um Orientierung, wo wir ratlos sind. Sei bitte an unserer Seite und lass uns neue Wege finden, das Leben zu gestalten.

Möge unser Leben immer eine Reise zu Dir sein. Schenk uns Vertrauen zu Dir heute und allezeit. Darum bitten wir in Jesu Namen, mit dessen Worten wir beten:

Vaterunser…