Predigt über Römer 8,1-2.10-11

  • 05.06.2022 , Pfingstsonntag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt Pfingstsonntag, 5. Juni 2022,  Römer 8,1.2.10.11

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

ehrlich gesagt, ich wünsche es mir in diesem Jahr ganz besonders. Solch ein Pfingstwunder wie in der Apostelgeschichte. Dass Gott seinen Geist, ja sich selbst, auf uns schütten möge, wie wir es eben im Bass-Rezitativ der Kantate gehört haben. Geist, der heilt, der versöhnt. Wo Menschen wie hier die Jünger aus einer Sackgasse herausfinden. Wo sie wieder wissen, was Sache ist. Wo sie wieder den Mund aufkriegen. Und verstanden werden. Wo wir uns trotz unterschiedlicher Sprache selbstverständlich verständigen können, wo die Barrieren zwischen uns nicht mehr das letzte Wort haben. „Ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.“ Ja, man kann sich das nur wünschen, wo es überhaupt keinen Ansatz für Gespräche gibt geschweige denn sich zu verständigen. Wo es im Moment weder auf politischer Ebene noch auf generell menschlicher Ebene tragfähige Ideen gibt, wie der mörderische Krieg in der Ukraine zu beenden ist, zumindest das Kriegsgeschehen, unter dem die Zivilbevölkerung leidet. Und wo das noch genauso ist. Seit Jahren an all den Orten weiter weg, die wir jetzt schon fast gar nicht mehr im Blick haben, wo es aber ebenso verworren ist. Kein Anzeichen, wie es zwischen den aufs Schärfste verfeindeten Parteien sein kann, dass man aufeinander zugeht. Ja, möge es doch hineinfahren in all unsere Ratlosigkeit, dass auf einmal möglich wird, wo wir uns am liebsten verkriechen würden, wie vor allem bei der Frage, wie und ob wir beteiligt sind an dem Ganzen, welche Rolle wir spielen wollen und ob wir mehr bedenken wollen als nur die Frage, ob nun schwere Waffen liefern oder nicht. Werden wir denn zugleich auch eine Vorstellung davon entwickeln, wie denn das Ende und die Begrenzung ihres Einsatzes aussehen kann? Werden wir weiter hoffen können auf das Wunder, dass es doch geht, dass da bei oder in wem auch immer ein Geist am Werk ist, der die Mauern einreißt?

Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass das passiert, auf politischer und überhaupt auf jeder denkbaren Ebene des Miteinanders. Aber nun ist es das eine, auf dieses äußere Wunder von Pfingsten zu warten, dass da in uns etwas hineinfährt. Nichts gegen Geistesblitze – wir brauchen sie wie gesagt dringend. Aber der Geist Gottes, der Heilige Geist, wirkt auch noch anders als ein Brausen vom Himmel und einem gewaltigen Sturm. Wenn man so will: Er fegt auch mitten durch uns hindurch. Das in der Apostelgeschichte geschilderte Ereignis spielt sich auch in uns als einzelne ab. Der Heilige Geist fegt durch unser Innerstes, räumt auf, macht sauber. Denn er will dort wohnen und zuhause sein. So heißt es im Eingangschor der Kantate: „Entzünde die Herzen und weihe sie ein. Lass himmlische Flammen durchdringen und wallen. Wir wünschen, o Höchster, dein Tempel zu sein.“ Was da dann in uns geschieht und auf welche Widerstände der Geist auch stößt, davon hat wiederum der Apostel Paulus eine Vorstellung, die er an Gemeinde in Rom schreibt. Hören wir ein paar Verse aus dem 8. Kapitel des Römerbriefes, vom Anfang und dann von weiter hinten:

„So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes…Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“

Gesetz des Geistes – Gesetz der Sünde und des Todes. Beides wohnt in uns, beide Gesetze erheben Anspruch auf uns. Das klingt erst mal nach ganz altem, überholten theologischen Kram. Was heißt „Gesetz“ und was soll dieses Schema von Gut und Böse? Nun, Paulus wird zwischen diesen ausgewählten Versen noch deutlicher und redet von „fleischlicher“ versus „geistlicher“ Gesinnung, die in uns Menschen immer im Kampf liegen. Und der Heilige Geist ist es nun, der da aufräumt in uns, durchfegt. Paulus nennt ihn den Geist Christi, der eine solche Kraft und Gewalt hat, dass er stärker ist als der Tod. Es geht also nicht nur um irgendeine Kraft. Sondern um die, die unser Leben in diesem Sinne neu zu schaffen vermag. Die uns wirklich verändert und verwandeln kann – so wie wir das aus uns selbst heraus nicht können. Die uns hoffen lässt und bewahrt davor, abzurutschen in das, was die Mächte des Todes in uns jetzt schon bewirken können und das auch kräftig tun. Sie hemmen unser Verstehen. Sie befördern Hass, Egoismus, Nazismus und anderes im Übermaß. Es sind diese zwei Größen und damit auch zwei verschiedene Lebenszugänge, die wir nach Paulus in uns tragen. Und wenn man sich das genauer anschaut, dann ist das hochaktuell und entspricht durchaus dem, was dann später verschiedene psychologische Schulen über das Innenleben von uns Menschen behaupten. Der eine Lebenszugang ist das Leben nach dem Fleisch. „Fleischlich gesinnt sein“, sagt Paulus auch. Das ist und wird oft grandios moralisch oder sexualfeindlich missverstanden. Oder dass alles, was materiell ist, per se erst mal schlecht ist. Aber das hat damit nichts zu tun, obwohl Paulus Sprache das für unsere heutigen Ohren nahelegt. Es geht nicht um moralische Kategorien. Sondern um existentielle. Nach dem Fleisch leben oder dem Gesetz des Todes ist vielmehr der Versuch, allein sich selbst zu genügen. Sich selbst „Lebensmeister“ zu sein, wie es der Theologe Fulbert Steffensky mal gesagt hat. Zu denken, es wird alles gut und alles toll, wenn man es nur richtig macht. Sich selbst erlösen, sich selbst vor sich und anderen rechtfertigen. Egal womit und wodurch, es ist immer das gleiche Prinzip, bei dem ich auf mich selbst geworfen bleibe. Daneben, auch dagegen, aber vor allem erst mal daneben, will nach Paulus das Gesetz des Geistes unser Inneres gewinnen. Ein anderes Prinzip, ein anderer Lebenszugang. Ihr habt Christi Geist in euch, sagt Paulus. Christus lebt in euch und er schenkt Euch jetzt schon eine neue Qualität von Leben, die nicht stirbt. Die nicht dem Gesetz der Vergänglichkeit und des Todes unterworfen ist. Jetzt schon ist jede und jeder von euch in einer Weise lebendig, die ihr noch kaum ahnen könnt. Aber wo ihr davon etwas merkt und sei es noch so weiß, der erlebt Pfingsten. Und er oder sie weiß: Ich muss mich nicht selbst retten. Ich bin befreit von dem Zwang, aus meinem Leben ein Programm machen zu müssen. Und ich muss mich nicht krampfhaft nur an dem festhalten, was ich so zustande kriege. Und das ich dann gern schön zu reden versuche, anderen gegenüber und kurioserweise auch mir selbst. Und wundere mich dann, dass ich mir noch kläglicher vorkomme. Paulus sagt: „Schluss damit“! Hört auf, Euch selbst zu „verdammen“. Ja, ihr seid so wie ihr seid. Aber ihr seid anders angesehen nach dem Gesetz des Geistes. Geliebt, nicht weil, sondern obwohl wir so sind wie wir sind: fragmentarisch, widersprüchlich, manchmal leicht zu verunsichern, gleichgültig, inkonsequent und was wir alles noch von uns wissen und peinlich finden. Aber Paulus sagt, wir müssen noch nicht mal unsere Gebete aus eigener Kraft hinbekommen, vielleicht haben Sie diesen Satz im Ohr aus der Motette „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“: „Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich‘s gebührt. Aber der Geist selbst vertritt uns aufs Beste mit unaussprechlichem Seufzen.“ Welche Leichtigkeit kommt aus solch einem Satz. Ich muss mich nicht selbst fabrizieren, es völlig in Ordnung, ein bedürftiges Wesen zu sein. Und der andere auch. Für mich gilt wie für ihn und sie: „Es gibt nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Dass wir das verstehen – dass entzieht sich uns immer wieder. Der Kampf der beiden Gesetze in uns geht weiter, der Heilige Geist lässt sich nicht festhalten. Aber wir können versuchen, sein Gesetz zu verstehen und es uns immer wieder in Erinnerung zu rufen. Wenn ich weiß, ich lebe in und vom Blick der Güte Gottes, dann hat das beinahe eine anarchistische Kehrseite, weil ich allen Mächte, Einrichtungen, Personen und Lehren innerlich und äußerlich aufrecht entgegentreten kann, die sich als substantiell notwendig ausgeben oder aufspielen. Man kann sie mit fröhlichem Unglauben betrachten - alle diese Mächte, die Gottes Güte ersetzen oder ergänzen wollen. Sie kennen nur das Gesetz des Fleisches, sie erheben Anspruch auf die Wahrheit und dass man es alles richtig machen könne im Leben, wenn man nur den richtigen Vorgaben folgt. Und da kann man nun vieles nennen, auch aus unseren Tagen. Ja, zugeben überspitzt gesagt: z.B. dass nur strikte Veganer diese Welt retten können, dass nur noch Frauen etwas zu Frauenthemen und -geschichten sagen dürfen, dass nur people of colour etwas sagen dürfen zu ihren Erfahrungen mit Rassismus, dass nur bestimmte Leute bestimmte Frisuren wie etwa Rastalocken tragen dürfen. Auch und vielleicht gerade wenn man die Haltung der „Wokeness“ – Bewegung im Prinzip begrüßt, die besonders wach sein möchte gegenüber jeder Form von Rassismus und Benachteiligung, kann man auch auf der anderen Seite vom Pferd fallen und es kommt genau das heraus, was man eigentlich vermeiden wollte: Dass am Ende der oder die andere da steht und sich diskriminiert fühlt. Eine „Cancel Culture“, die Menschen mit auffallender Meinung systematisch aus der sozialen Öffentlichkeit ausschließt, ist ein gutes Beispiel für das, was Paulus mit Wandeln nach dem Fleisch meint. Oder das, was wie schon erwähnt, viele von uns ja innerlich in tiefste Zerrissenheit führt in diesen Tagen, wenn man denn im Grundsatz der Meinung ist, Waffen in Krisengebieten liefern, das sollte man nicht tun, es gibt im Krieg immer nur Verlierer, man kann ihn doch nicht weiter anheizen. Ja, wie ist es mit einem solchen Satz, der ja eigentlich total stimmt? Aber stimmt er jetzt auch in dieser konkreten Situation oder machen wir es uns da zu einfach, wenn wir damit losgehen und sagen, das ist alles, was dazu zu sagen ist? Kann uns das nicht auch geraten zum zynischen Kommentar derer, die sich für nicht betroffen oder beteiligt halten? Oder muss man jetzt gerade und trotzdem daran festhalten? Das ist alles wirklich schwer. Und immer geht es um die Frage, aus welchem Geist heraus ich dazu etwas sage. Und ob wir zulassen, dass das Gesetz der Sünde und des Todes sich durchsetzt oder das Gesetz des Geistes, der lebendig macht. Paulus Rat ist klar: „Das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus hat dich frei gemacht.“ Denke und handle in diesem Geist. Im Ergebnis kann das ganz unterschiedlich sein. Wir können zu total verschiedenen Antworten kommen. Aber es geht immer darum, aus welchem Geist heraus wir das tun.

Daher abschließend noch mal Paulus pfingstlicher Rat: Traut dem Geist Gottes, der in Euch wohnt, der immer wieder auch von neuem in Euch einziehen will, der Euch Frieden bringen will, Eurem Innern, Euren Beziehungen und dieser Welt. Lebt, was ihr seid. Und was immer passiert: Bleibt dabei auf ihn zu hoffen. Lasst ihn euer Inneres durchfegen. So möge es Pfingsten werden in uns und unter uns. Und der Friede Gottes, der gottseidank höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org