Predigt über Rut 1,1ff.

  • 24.01.2021 , letzter Sonntag nach Epiphanias
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Vier Frauen, liebe Gemeinde, schafften es in den Stammbaum Jesu, von Maria, seiner Mutter einmal abgesehen. Im Matthäusevangelium ist zu Beginn davon zu lesen. Neben Tamar, Rahab und Batseba finden wir dort auch Rut. Sie ist eine Ausländerin, die im fremden Land und in fremder Religion ein neues Zuhause finden konnte. Ein Teil ihrer Geschichte ist uns heute als Predigttext aufgegeben. Wir hören aus dem Buch Rut des 1. Kapitels.

1 Zu der Zeit, als die Richter richteten, entstand eine Hungersnot im Lande. Und ein Mann von Bethlehem in Juda zog aus ins Land der Moabiter, um dort als Fremdling zu wohnen, mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. 2 Der hieß Elimelech und seine Frau Noomi und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon; die waren Efratiter aus Bethlehem in Juda. Und als sie ins Land der Moabiter gekommen waren, blieben sie dort. 3 Und Elimelech, Noomis Mann, starb, und sie blieb übrig mit ihren beiden Söhnen. 4 Die nahmen sich moabitische Frauen; die eine hieß Orpa, die andere Rut. Und als sie ungefähr zehn Jahre dort gewohnt hatten, 5 starben auch die beiden, Machlon und Kiljon. Und die Frau blieb zurück ohne ihre beiden Söhne und ohne ihren Mann.

Wir machen hier eine kleine Lesepause, liebe Gemeinde, denn es lohnt sich, auf den Erzähler dieses Büchleins zu schauen. Kunstvoll führt er uns in die Geschichte ein, verortet sie in die Richterzeit, jene Jahrzehnte vor dem ersten König in Israel. Entstanden ist die Erzählung aber deutlich später. Unter der Erfahrung, dass auch und besonders im Ausland, fern der Heimat und fern des Tempels Gott als barmherziger Begleiter anwesend ist, wurden die insgesamt 85 Verse niedergeschrieben. Viel interessanter ist jedoch dem Umgang mit den Namen. Namen können Schall und Rauch sein – oder eben aber auch nicht. Mit Namen lässt sich eine Geschichte erzählen. Ihr Klang verrät uns schon, wohin es gehen wird und manchmal ist das Spiel mit den Worten sehr feinsinnig. So auch hier:

Gleich zu Beginn zieht ein Mann von Bethlehem weg, weil es eine Hungersnot gegeben hat. Bethlehem bedeutet eigentlich „Haus des Brotes“ oder „Brothausen“. Dort nun gibt es eine Hungersnot – feinsinniger kann eine Geschichte kaum beginnen und dem aufmerksamen Leser wird schon hier klar, dass sie gut ausgehen wird, dass am Ende Brot in Hülle und Fülle da sein wird in Bethlehem, dass dort später das Brot des Lebens geboren werden wird, der Messias und neue König David. Der Hunger im Haus des Brotes kann erst gestillt werden, wenn sich dessen Bewohner selbst verschenkt.

Der Hungerflüchtling Elimelech muss in die Fremde. „Mein Gott ist König“ bedeutet dessen Name. In der Fremde stirbt er, fern von seinem Gott Jahwe. Seine Frau Noomi, die Liebliche, lässt sich bei ihrer Rückkehr in die Heimat „Mara“, die Bittere nennen. Denn ihr Lebensweg ist gepflastert von bitteren Erfahrungen. Dazu zählt auch der Verlust ihrer beiden Söhne.

Hier wird wiederum schon beim Klang deren Namen deutlich, dass sie kein langes Leben zu erwarten haben. Wer „kränklich“ und „schwächlich“ heißt, von dem darf man in diesem Erzählduktus nicht viel erwarten. So sterben sie denn auch vor der Zeit. Dem nicht genug, sie sterben auch ohne Nachkommen. Denn Orpa, „die Umkehrende“ und Rut, deren Namensbedeutung etwas unklarer ist, gebären keine Kinder. Bei Rut wird sich das ändern als sie, soweit darf hier schon vorgegriffen werden, erneut heiratet. Denn Boas, „in ihm ist Kraft“ so sein Name, wird ihr Kinder zeugen können. Rut wird zum „Labsal“ für ihre Schwiegermutter, für ihren Mann Boas und auch für ihr späteres Kind Obed (der Knecht bzw. Diener).

Die sprechenden Namen aus der Geschichte, die selber eher fiktiv ist, sprechen auch in unsere Zeit. Denn auch wir begegnen ihnen in konkreten Personen, in Hungernden und Schwachen. Wir erleben Menschen, die uns zum Labsal werden oder solche, die sich von uns abwenden in Not. Im Laufe des eigenen Lebens müssen wir auch die Erfahrung von Gebrechlichkeit machen und dürfen uns gleichermaßen über Starke freuen, die Zukunft schenken. Die seelischen Hungerzeiten nach Brot, nach Kräftigung in Zeiten der Not sind uns ebenso wenig fremd, wie die wunderbare Erfahrung, des Ankommens im geistlichen „Brothausen“. Auf dem Weg dorthin verwandeln sich manche liebliche Gefährten in bittere Zeitgenossen.

Hören wir weiter auf die Geschichte:

 6 Da machte sie sich auf mit ihren beiden Schwiegertöchtern und zog aus dem Land der Moabiter wieder zurück; denn sie hatte erfahren im Moabiterland, dass der HERR sich seines Volkes angenommen und ihnen Brot gegeben hatte. 7 Und sie ging aus von dem Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter mit ihr. Und als sie unterwegs waren, um ins Land Juda zurückzukehren, 8 sprach sie zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht hin und kehrt um, eine jede ins Haus ihrer Mutter! Der HERR tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den Toten und an mir getan habt. 9 Der HERR gebe euch, dass ihr Ruhe findet, eine jede in ihres Mannes Hause! Und sie küsste sie. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten 10 und sprachen zu ihr: Wir wollen mit dir zu deinem Volk gehen. 11 Aber Noomi sprach: Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Wie kann ich noch einmal Kinder in meinem Schoße haben, die eure Männer werden könnten? 12 Kehrt um, meine Töchter, und geht hin; denn ich bin nun zu alt, um wieder einem Mann zu gehören. Und wenn ich dächte: Ich habe noch Hoffnung!, und diese Nacht einem Mann gehörte und Söhne gebären würde, 13 wolltet ihr warten, bis sie groß würden? Wolltet ihr euch einschließen und keinem Mann gehören? Nicht doch, meine Töchter! Mein Los ist zu bitter für euch, denn des HERRN Hand hat mich getroffen. 14 Da erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr. Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter, Rut aber ließ nicht von ihr. 15 Sie aber sprach: Siehe, deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott; kehre auch du um, deiner Schwägerin nach. 16 Rut antwortete: Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. 17 Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden. 18 Als sie nun sah, dass sie festen Sinnes war, mit ihr zu gehen, ließ sie ab, ihr zuzureden.

Während die eine Schwiegertochter dem Rat der Noomi folgt und zurückkehrt, gibt die andere, Rut, einen Treueschwur ab. „Wo du hingehst, da will auch ich hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch.“ Ruts Treue wird für Noomi zum Labsal in schwieriger Zeit. Die Schwiegertochter erweist sich als Freundin und verlässliche Begleiterin.

So finden beide ihren Weg und ihren Platz im neuen Lebensabschnitt.
Interessant ist, wie hier der Erzähler von Entgrenzung spricht und uns damit wieder beispielhaft Gottes Güte vor Augen führt. In ihr ist grenzenlose Freiheit für alle ihm Vertrauenden.
Darin ist auch Orpa eingeschlossen. Sie kehrt auf ausdrücklichen Wunsch zurück in ihr Land, zu ihrem Gott, zu ihrem Volk.
Rut und Noomi lassen sich aneinander binden im Treueschwur, alles miteinander zu teilen, Glaube, Land, Heimat, Lebenszeit. So aneinander gewiesen erleben sie eine ungemeine Freiheit. Ihr solidarisches Verhalten vermag es, alle Grenzen zu überwinden. Sie trotzen dem Hunger, dem physischen wie auch dem seelischen. Religiöse Grenzen sind durchlässig und bilden gerade keine Mauer, weder im Kopf von Rut noch durch Abwehr der Familie von Boas. Grund dafür ist das liebevolle Betrachten. An erster Stelle steht der Mensch, der vor einem steht.
Als selbstbewusste Frau lässt sich Rut in den Dienst des für sie neuen Gottes nehmen und gebärt ihm einen Diener.
Entgrenzt ist auch der Glaube. Gott lässt sich nicht an Steine und Landmarkierungen binden, auch nicht an Blut oder eine Volksgemeinschaft.
Und auch hier wieder – feinsinnige Erzählung eines feinsinniges Erzählers.
So wie die Israelitin Noomi in Moab eine neue Heimat fand, findet die Moabiterin Rut in Israel Zukunft. Selbst die Grenze des Todes wird überwunden durch geschenktes, neues Leben in einer neuen Familie.
Die Offenheit für Schwache, für Arme, für Kranke oder Hungernde wird zum Markenzeichen dieser Geschichte. Wo sie sich zeigt, zeigt sich Gott als Verbündeter.
Zwei Dinge nehme ich aus der Geschichte mit in meine Gegenwart.
Das Hungerhausen muss wieder zum Brothausen werden. Dann haben ehemalige Flüchtlinge eine Chance zum Neubeginn.
Und: Verantwortlicher und menschlicher Umgang mit Fremden eröffnet lebendige Zukunft für alle.