Predigt zu Karfreitag Joh 19,1-30

  • 14.04.2017 , Karfreitag
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Johannes 19, 1-30 am Karfreitag, 14.04.2017, St. Thomas zu Leipzig um 9.30 Uhr

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Die Leidensankündigungen des alttestamentlichen Gottesknechtes aus dem Jesajabuch deuten Christen auf Jesus Christus hin. Zu auffallend sind die Parallelen. „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.“ Ein großer Bogen wird beschritten vom ersten Bund hin zum letzten Bund, dessen wir uns stets im Abendmahlsgeschehen vergewissern können. Weil der Gottesknecht Jesus Christus sich hingibt, um uns Leben zu schenken, welches an keine todbringenden Grenzen stößt, erfüllen sich ihn ihm alle messianischen Verheißungen, die unsere Glaubensvorfahren getragen haben durch Wüste und Entbehrung, durch Schilfmeer und über den Fluss ins verheißene Land. Am heutigen Karfreitag erinnern wir uns an diesen Gottesknecht, dessen Weg nach Jerusalem mit Jubelrufen und Begeisterung eingeläutet wurde.

Wenige Tage nur liegen zwischen dem begeisterten Jubelruf des „Hosianna“ und dem todbringenden „Kreuzige ihn“. Jesus wird gefangengenommen. Man verspottet ihn, macht ihn lächerlich. Solche Demütigungen sind schlimm. Als brennender Schmerz stechen sie in die Seele, derer, die dadurch beschämt und ausgegrenzt werden. Kinder, die sich Mobbing ausgesetzt wissen, weil man sie bloßstellt oder verspottet durch öffentliche Bilder, durch Missachtung oder verletzende Worte, die im Netz geteilt werden, können nachempfinden, dass solche Schmerzen mehr wehtun als offensichtliche Schläge.

Demütigungen auf der Arbeit, gezieltes Mobbing, verweigerte Anerkennung reißen tiefe Wunden in die Seele so wie eine mit Dornen bestückte Geißel, den menschlichen Körper zerfetzt.  Die Soldaten hatten damit ihren Spaß. Ihre verzerrten Fratzen offenbaren eine Rohrheit, die dem Soldatischen wohl immanent zu sein scheint. Nicht das jeder Soldat so wäre, bei weitem nicht. Aber es ist eben kein Einzelfall. Die Linie der am Quälen Freude findenden Soldaten aus der Jesusgeschichte lässt sich über die Jahrhunderte fortführen bis in die Gefängnisse von Abu Ghraib oder den in dieser Woche zu Tage geförderten Skandal um sexuelle Ausbeutung Minderjähriger durch Blauhelmsoldaten in Haiti. Wo die Schutzaufgabe durch Macht missbraucht wird, weil man sich über das Leben und die Würde anderer stellt, zeigt sich all die Hässlichkeit zu der wir Menschen fähig sind, wenn wir Macht über andere haben und sei es durch eine Waffe.

Wer dabei zusieht und seine Hände in vermeintlicher Unschuld zu waschen versucht, wird scheitern. Allzu schnell färbt sich das Wasser in Blut. Es ist das Blut derjenigen, die wissentlich unschuldig ins Leid, in den Tod getrieben werden. Auch wir, liebe Gemeinde, sitzen gelegentlich auf dem Richtstuhl und entscheiden uns gegen das eigene Gewissen, weil wir Angst haben alleine zu sein mit unserer Entscheidung, die unpopulär ist. Wenn alle rufen „Kreuzige ihn“, fällt es sehr schwer, ein Begnadigungsschreiben zu unterzeichnen. Pilatus steht in der Passionsgeschichte für unser menschliches Versagen angesichts einer Masse, die droht, ihren aus Enttäuschungen geborenen Zorn gegen uns zu richten.

Kreuzige ihn!

Wie gesagt, es liegen nur wenige Tage zwischen Begeisterung und Todesforderung. Wie schnell eine Stimmung kippen kann, das erfahren wir nur allzu oft, wenn Dinge sich anders entwickeln als erhofft. Die aufgehetzte Masse der Brüllenden lässt sich verführen von denen, die ihr eigenes Machtsüppchen kochen wollen und willfährige Helfer brauchen. Nicht nur unsere deutsche Geschichte liefert dafür erschreckende Beispiele. Leider auch die Gegenwart. Da, wo sich denkende Menschen blind ihren religiösen Führern anvertrauen, da wo sie nachplappern, was jene ihnen mit scharfen Worten eintrichtern, entsteht am Ende nur Unheil. Unschuldige kommen ums Leben oder ins Gefängnis. Beziehungen gehen kaputt. Freunde und Nachbarn werden plötzlich zu Feinden und Gegnern.

Machtspiele sind Todesspiele, weil sie Beziehungen zerstören, menschliches Miteinander vergiften oder den physischen Tod bringen. Es ist müßig, heute Morgen die aktuellen Beispiele aufzuzählen. Dafür reicht ein Blick in Zeitungen oder auf die Internetseiten der Nachrichtendienste. Wie schnell rufen wir das „Kreuzige ihn“, wenn sich Erwartungen nicht erfüllen? Karfreitag ist immer auch der Tag, an dem uns der Spiegel vorgehalten wird, wo wir stehen: Am Wegesrand? Anonym in der Masse? Am Kohlefeuer des Bekenntnisses? Auf dem Platz neben dem Richtstuhl? Unter dem Kreuz?

 Eilt, ihr angefochtnen Seelen

Als mit Macherqualitäten begabter Mensch ist mir das Kreuz ein Zeichen offensichtlicher Schwäche. Es ist gewissermaßen ein ziemlich großer und spitzer Dorn in der Krone eigener Selbstvergewisserung. Doch gelegentlich, in den Grenzerfahrungen menschlichen Daseins, tauchen die Fragen auf: Wohin mit all den Lasten, wohin mit Alltagsanfechtungen? Wohin fliehen, wenn Tod und Teufel mich jagen und treiben, wenn sie versuchen, Macht über mich zu erlangen? Wohin, wenn der von Freiheitsstreben und Autonomie besessene Mensch, sich selbst vergisst?

Zum Kreuz, lautet die Antwort. Der Karfreitag nimmt uns mit unter das Kreuz. Eilt zum Kreuz ihr angefochtnen Seelen. Dort stehen wir gemeinsam mit Johannes und der Mutter Jesu, mit Maria Magdalena und den anderen, die noch ausharren. Unter dem Kreuz werden wir Teil der neuen Familie Jesu, weil er dort auch uns neu aneinander weist. So geschieht mitten im Leiden und Sterben Gemeindeneugründung in Verantwortung füreinander. Das Kreuz erinnert uns stets daran, ob wir dieser Verantwortung noch gerecht werden und lädt ein, neu zu denken und neu zu leben, was Christus am Kreuz verheißen hat – siehe, das ist jetzt deine Familie, siehe, das sind jetzt die Menschen, um die du dich kümmern sollst. Immer dann, wenn wir schon den Nagel durch unsere Mitmenschlichkeit gebohrt haben, um sie zu kreuzigen, weist uns Jesus neu aneinander.  Wo wir zum Kreuz aufblicken als dem Zufluchtsort unserer angefochtenen Seele, da wandelt sich Anfechtung in Neubeginn. Das, liebe Gemeinde, dürfen wir uns gerne vor Augen führen.

Das Kreuz Christi ist auch mein ganz persönlicher Zufluchtsort. Dort wo meine Hoffnung und meine Anfechtungen die Waffen miteinander kreuzen, wird das Kreuz Christi zum Wegweiser in eine neue Zukunft, die ohne Kreuzigungen Unschuldiger auskommt. Sein Kreuz hat die Pläne des Todes durchkreuzt. Am Kreuz starb er auch für mich, damit ich mich nicht mehr vor dem Tod fürchten muss. Schaue ich nun zu ihm hinauf zum Kreuz, dann entdecke ich diesen persönlichen Christus, der sich im Glauben mit mir verbindet, auf ewig verbindet.

In tiefer und unverbrüchlicher Freundschaft, deren Bande stärker sind als alle todbringenden Mächte und Kräfte, steht Christus zu mir, wenn meine Sünden mich kränken, wenn ich selber zu Kreuze kriechen muss. Es gibt niemanden, der das sonst vermag. Die Treue Christi hält sogar meine Gottesferne, hält meine Verfehlungen aus. Wo andere mich längst fallen gelassen haben, hält er mich durch die Kraft seines Kreuzes.  "Darum“, schreibt Martin Luther, „lass dir´s nur nicht aus den Augen nehmen und suche dich nur in Christus und nicht in dir, so wirst du dich auf ewig in ihm finden.“

Es ist vollbracht

Das Ende naht als ein erlösendes Ende. Wenn wir Sterbende begleiten auf ihrem letzten Wegabschnitt, so ist jener oftmals von großem Leiden geprägt. Das auszuhalten, dafür braucht es besondere Stärkung. Ohnmächtig am Leidenskreuz zu stehen, nichts mehr tun zu können, all das ist schwer für den homo faber. Wer den Tod unweigerlich vor Augen hat, blickt gewiss anders auf letzte Wochen, Tage oder Stunden. Und das quälende Zuschauen mischt sich mit den Qualen dessen, der stirbt. Sich auf einen Leidensweg einzulassen, darum ringt auch Jesus in der Nacht in Gethsemane. Sein Tod als einer der grausamsten Hinrichtungen, die sich Menschen ausgedacht haben lässt sich nicht vergleichen. Aber der Kampf, sein letztes Ringen und dann die Ergebung in Gottes Hände, wird millionenfach nachempfunden, wo Menschen unschuldig leiden müssen, gefoltert werden oder wo der zerfallene Körper keine Kraft mehr besitzt, weil die Krankheit ihm selbige genommen hat. Jesus sehnt sich nach Erlösung durch den Tod. Denn sie bedeutet das Ende der Schmerzen.

In der Begleitung Sterbender erleben wir, dass dieser letzte Satz „Es ist vollbracht“ herbeigesehnt wird, obwohl jeder weiß, dass er unendliche Trauer auslösen wird.

Jesu Ruf „Es ist vollbracht“ zeigt uns, in welcher Konsequenz Jesus selbst den Weg geht – bis zum bitteren Ende in Gehorsam gegenüber Gott, den er im tiefsten Moment nicht mehr spürt und Fürsorge gegenüber uns Menschen. Damit komme ich ganz persönlich ins Spiel. Denn Jesus geht den Weg ans Kreuz auch für mich. Indem er das tut, werden seine letzten Worte am Kreuz zu Friedensworten für mich.  Damit wird der sich verdunkelnde Himmel des Karfreitags aufgebrochen von einem kleinen, feinen und hoffnungsfrohen Silberstreif, der sein Licht von Ostern her bezieht.    

Mein Blick zum Kreuz erinnert mich daran, wozu ich als Mensch eben nicht imstande bin – aus mir selbst heraus Frieden mit Gott zu schließen, der alles in sich birgt, was ich verfehlt habe.   Jesu Worte geben meiner Seele Frieden.

 

„Es ist vollbracht! Schweig mein Gewissen, ihr Sünden, schreiet nun nicht mehr. Das große Schuldbuch ist zerrissen, des Sohnes Blut erlangt Gehör; am Kreuz hats Frieden uns gemacht. O tröstlich Wort: Es ist vollbracht!“

 

Und dieser Friede, der wahrlich höher ist, als dass er mit dem Verstande erfasst werden könnte, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark, St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)