Predigt zur Christvesper über Jesaja 9, 1ff

  • 24.12.2017 , 4. Advent, Heiliger Abend
  • Pfarrer Hundertmark

Finstere Nacht. Lichtsehnende Nacht. Heilige Nacht. Weih-Nacht. Aufgebrochen aus geschmückten Häusern, aus alltäglicher Dunkelheit - der Einsamkeit, tristem Tag und schlafloser Nacht entflohen, suchen die Herzen das große Licht, welches mit seinem Leuchten die Angstwogen durchbricht.

Ein ganzes Volk, im Finstern wandelnd. Finsteres Volk, zerrissenes Volk, kopflos umherirrend.

Wo wird Hoffnung schimmern? Wird einer kommen, der erlöst? Löst er, was sich fesselnd an sich selbst gebunden hat?

Weih-Nacht. Heilige Nacht. Lichtsehnende Nacht. Finstere Nacht.

In solche Nacht spricht der Prophet. Hören wir seine Worte aus dem Jesajabuch:

1 Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.

2 Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.

3 Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians.

4 Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.

5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst;

6 auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

Zerbrochenes Joch

Jesaja greift ein Bild auf, das für sprichwörtliche Unterdrückung steht. Mit dem Joch auf der Schulter, ist Freiheit schlichtweg nicht möglich. Anknüpfend an die Erfahrung des Gottesvolkes, das aus Knechtschaft und Unfreiheit geführt wurde, gilt die erneute Verheißung denen, die sich unterjocht fühlen, weil andere über ihr Leben bestimmen; sie nur noch funktionieren müssen im Getriebe einer effizienzsüchtigen Gesellschaft.

Gezwungen im Joch ziehen viele ihre Furchen auf dem Acker des eigenen Lebens, tagein tagaus. Abgestumpft wird nichts mehr wahrgenommen jenseits dieser Furchen - degenerierte Menschlichkeit.

Weihnachten ist das Fest des zerbrochenen Jochs und das Fest des nicht mehr funktionierenden Steckens, die Menschen zu Sklaven machen. Solch befreiendes Handeln darf und will den Mut in uns wecken, selber Joch der Unterdrückung zu zerbrechen. Aufzustehen, wo die Menschlichkeit unter den dröhnenden Stiefeln zerquetscht wird. „Nein“ zu sagen, wo im vermeintlich höherem Interesse diejenigen unter die Räder kommen, die schwach sind.

Widerstehen, wenn alle immer mitmachen, und niemand sich mehr traut, neu zu denken. Das Hoffnungslicht von Betlehem kündet von einer großen Befreiung. Es befreit uns davon, nicht mehr Mensch sein zu können. Gott gab unserer Menschlichkeit eine Chance und eine neue Qualität durch seinen menschgewordenen Sohn Jesus Christus.

Friede-Fürst

Welch große Verheißung, liebe Heilg-Abend-Gemeinde. Ein Fürst, der mit Frieden regiert anstatt mit Gewalt. Welch große Utopie? Wir erleben wohl eher die Kriegsfürsten rund um den Globus. Verbal aufgerüstet, schicken sie ihre Botschaften auf Twitter oder mittels Raketen, um Anderen das Fürchten zu lehren. Auf eigene Stärke vertrauend, machtabgesichert regiert oftmals die Gier nach noch mehr Einfluss, Manipulation, Bestätigung.

Wie wohltuend durchbricht der Friedefürst das Kriegsgeschrei der kleinen und großen Fürsten zu Hause und in den Häuser, wo bestimmt wird, was andere zu tun oder zu lassen haben. Gewartet haben sie damals viele Jahrhunderte. Der Friedefürst wollte sich nicht einstellen. Eingestellt war manche Hoffnung auf ein verändertes Morgen.

Ungewohnt durchbricht der Friedefürst dann aber alle Erwartungen, indem er Kind wird. Hineingeworfen in den Futtertrog unseres Alltags, elend, nackt und bloß – so ganz und gar nicht fürstlich, vielmehr hilfebedürftig und wimmernd.

Gott kehrt die Verhältnisse um. Maria, die Mutter des Friede-Fürsten Jesus hat am eigenen Leib erfahren, wie solch ein Gott an Menschen handelt. Unvorstellbares wandelt sich in Lebensmöglichkeiten. Diejenigen, die meinen, immer herrschen zu können, werden sich verwundert die Augen reiben, wenn sie plötzlich leer ausgehen. Leer an Liebe, weil sie verlernt haben, der Liebe zu vertrauen. Das Krippenkind also will fürstlich mit Liebe in Frieden regieren?

Zweifel mögen aufkommen, weil zum Verzweifeln ist, was Augen und Ohren wahrnehmen – Geschrei, blutgeschleifte Mäntel, trängengetränkte Pullover, schwerer, dröhnender Schuh, durch die Luft schwirrender Stein und unüberhörbares Geschrei voller Hass und Angst. Friede-Fürst? Das Fragezeichen will sich nicht so recht in ein Ausrufezeichen wandeln, wo es doch so nötig ist, dass aus den Fragen Gewissheiten werden.

Wir brauchen den Friedefürst mit Ausrufezeichen, liebe Gemeinde. Nicht als vertröstende Beruhigung, sondern als lebendige Gewissheit, dass das, was vor Augen ist und was die Ohren wahrnehmen, nicht das letzte Bild und der letzte Ton sind. Wir brauchen diesen Friedefürsten, weil nur durch sein Ausrufezeichen der Liebe, sich Menschen überhaupt bewegen lassen.

Ein ewiges Friedensreich verheißt der Friedefürst mit Ausrufezeichen. Das wird nur gelingen, wenn seine Liebe gestützt wird. Recht und Gerechtigkeit sind Stützen seiner Herrschaft. Und damit wird er zum Vorbild für alle Fürsten, denen Menschen anvertraut sind. Denn wo Recht und Gerechtigkeit keine hohlen Phrasen, sondern Fundamente für verantwortliches Handeln sind, da wird Friede einziehen können in das Zusammenleben von Menschen.

Wie schwer es ist, Recht und Gerechtigkeit zu leben, zeigen die Bezüge, in die wir eingebunden sind. Schnell wird Recht verwandelt in Unrecht, weil der eigene Vorteil lockt. Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke, wo es für ihre Durchsetzung zu anstrengend und unbequem ist. Die Hirten sind uns dafür das sichtbare Beispiel.

Ihr Leben, geprägt von Ungerechtigkeit und rechtlosem Dasein, kam an die Grenzen. Mitmenschlichkeit erfuhren sie nicht und konnten somit auch nichts damit anfangen, dass die Botschaft Gottes: ein neues Dasein mit uns Menschen anzufangen, eine frohe Botschaft ist. Vielmehr war es zum Fürchten.

Wo Gottes Evangelium wie ein Licht im Alltag leuchtet, zieht dieses Leuchten nicht zwangsläufig die Freude nach sich, sondern vielfach zuerst Furcht und Zweifel. Aber dabei muss es nicht bleiben. Denn das Kind, der Friede-Fürst, der Gott-Held, Ewig-Vater trägt alles, was uns belastet auf seiner Schulter. Später wird es der Kreuzesbalken sein – das Symbol für unsere Gottesferne, die er aufheben wird in grenzenloser Liebe. Auf dem Hirtenfeld leuchte dieses Liebe blitzartig und in vollster Klarheit auf.

Weihnacht. Helle Nacht. Liebenswürdige Nacht. Menschliche Nacht.

Lassen wir uns leiten von ihrer prophetischen und befreienden Botschaft. Kein Joch ist stark genug, um die Liebe Gottes niederzudrücken. Kein Stecken hat so viel Kraft, um Gottes Menschlichkeit niederschlagen zu können. Aber ein kleiner Lichtschimmer dieses neuen, menschgewordenen Gottes reicht aus, um uns in Bewegung zu setzen. So stehen wir, auferstanden aus tiefster Todesnacht, letztlich an der Krippe, mitten im Alltag und werden selber zur Heimstatt dieses menschgewordenen Gottes. Dafür braucht es nur das Vertrauen, ihm unser Herz zu öffnen. Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark, St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)