Predigt zur Weihnachtsmotette am Heiligabend 2022

  • 24.12.2022 , Heiliger Abend
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Predigt zur Weihnachtsmotette am Heiligabend 2022 um 14 Uhr in der Thomaskirche zu Leipzig

 

Liebe Heiligabend Gemeinde,

„Es kommt ein Schiff geladen · bis an sein‘ höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, · des Vaters ewigs Wort.“

Mit diesem Adventslied haben wir uns gewissermaßen auf die letzte Wegstrecke des Advents begeben. Eine lange Wartezeit liegt hinter uns. Ähnlich der Menschen, die im 15. Jahrhundert, als dieses Lied in Straßburg entstand, sehnsüchtig auf die langsam den Rhein entlangschippernden Schiffe warteten, warteten wir auf das Fest der Geburt Jesu Christi. Damals stellte sich die Frage, was das Schiff bringen wird. Bringt es Lebensmittel oder den Tod durch die Pest?

Wir fragen auch heute, wie jedes Jahr, was bringt uns Weihnachten? Aufgezwungene Fröhlichkeit? Geschenkestress bis in die letzte Minute? Zusammenkunft mit denen, die wir lieben? Zuallererst bringt uns das diesjährige Weihnachtsfest wieder zusammen - hier in der Kirche bei gemeinschaftlichem Gesang und vollem Chorklang. Das könnte schon genug Freude auslösen. Denn damit ist ein wesentlicher Aspekt der Weihnachtsbotschaft umgesetzt: Menschen zusammenzubringen, die sich sonst vermutlich kaum begegnen würden.

Gott will Mensch werden und nimmt uns Menschen in seinen Dienst. Davon erzählt das Lied vom beladenen Schiff. Derjenige, der schon immer an Gottes Seite war, hier als Wort Gottes beschrieben, macht sich auf den Weg zu uns. Und das Schiff ist gleichsam die schwangere Maria, die Gott für seine Heilszusage in den Dienst nimmt.

Liebe Thomasser, wenn ihr in einigen Jahren eine Freundin oder Frau habt und diese ist schwanger, dann, und jetzt passt gut auf, dann sagt bitte nicht zu ihr: „Du siehst aus wie ein Schiff.“ Damit würdet ihr euch mit Sicherheit mächtig Ärger einhandeln.

Die wertvolle Last des Schiffes ist der Gott in Menschengestalt.

Dieses Bild verstanden die Menschen damals sofort.

Weil wir Menschen bei der Gestaltung unseres Lebensalltags immer wieder versagen und Schuld auf uns laden, kommt Gott zu uns auf die Erde, um Leid zu lindern und Hoffnung zu geben.

Am Ende der Motette werden wir singen:

„Stille Nacht! Heilige Nacht! · Die der Welt Heil gebracht, aus des Himmels goldenen Höh‘ n, · uns der Gnaden Fülle lässt sehn: Jesum in Menschengestalt.“

Liebe Gemeinde, Gott war sich nicht zu schade, sich an die Erde zu binden. In solcher Erdgebundenheit kommt er uns nahe und macht deutlich: Ihr seid mir als Menschenkinder wertvoll. Ich gebe euch nicht verloren. Das ist einer der Kernsätze aus der Weihnachtsbotschaft des Engels. „bei den Menschen seines Wohlgefallens“. Wir gefallen Gott wohl und deshalb haben wir trotz und gerade in Krisenzeiten eine Zukunft jenseits eigener Machenschaften.

An der Krippe stehend sind wir noch nicht am Ende unseres Weges. Weihnachten heißt auch, sich verwandeln lassen, so wie es die andere Liedstrophe besingt:

„Das ewig Licht geht da herein, · gibt der Welt ein‘  neuen Schein; es leucht‘ wohl mitten in der Nacht · und uns des Lichtes Kinder macht. Kyrieleis.“

Wer Kind des Lichts ist, braucht sich in der Finsternis nicht mehr zu fürchten – auch nicht in der Finsternis der eigenen Seele. Darauf weist der Engel hin. Deshalb dürfen wir auch als Kinder des Lichts leben und Leben gestalten. Doch da beginnt schon wieder das Drama, liebe Gemeinde,

Wir wollen die alleinigen Regisseure unseres Lebens sein und dabei machen wir dann alle unsere Mitmenschen zu Statisten, weil wir gleichzeitig die Hauptrolle spielen.

Unter solch gnaden-losem Egoismus leidet unsere Gesellschaft. Wir sahen das während der Coronakrise und sehen es heute während der Energiekrise aufs Neue.

Das Ich verfängt sich nicht mehr im Du, sondern degradiert sein Gegenüber zur nützlichen Figur zur Erfüllung eigener Interessen.

Weihnachten ist aber ganz anders, liebe Gemeinde.

Weihnachten ist die Begegnung, die zur Umkehrung aller Gewohnheiten und Verhältnisse führt.

Als lichtbegabte Kinder Gottes dürfen wir furchtlos dorthin gehen, wo es finster ist, um mit dem Lichtschein seiner Liebe das weiterzugeben, was wir selbst empfangen haben – bedingungslose, liebevolle Zuwendung.

Fahren Sie aber jetzt bitte nicht gleich alle zum Landrat nach Bautzen. Wir dürfen heute in aller Ruhe, entspannt und staunend an der Krippe stehen, um unser Herz, Seel und Mut dem Kind zu schenken und es zum Regisseur meines Lebens zu machen. Solche Gaben sind Zeichen dafür, dass wir Weihnachten ernst nehmen, ohne dabei die Freude zu verlieren. Alltag ist nach dem Fest. Dorthin schickt uns das Krippenkind und dort wird uns Gott auch in seinen Dienst nehmen, wie er es einst bei Maria und Josef tat.

Dann wird sich auch zeigen, ob der Lichtschein der Heiligen Nacht nur schöne Kulisse war oder ob er sich eingepflanzt hat im eigenen Herzen und eigener Seele, um von dort aus zu leuchten. Amen.

 

Pfarrer Martin Hundertmark

(hundertmark@thomaskirche.org)